Kommunalwahlen NRW: Die verlorene Herzkammer der Sozialdemokratie

Der Duisburger Norden ist heute eine AfD-Hochburg. Ein Richter versucht derweil, Menschen für Die Linke zu gewinnen

  • David Bieber, Duisburg
  • Lesedauer: 6 Min.
Wohnkomplexe in Duisburg Neumühl. Dort gibt es einen massiven Zuzug aus Rumänien, begleitet von Müll und vielen Leuten die dort unterwegs sind. Mitarbeiter des Ordnungsamtes in Duisburg auf einem Streifengang.
Wohnkomplexe in Duisburg Neumühl. Dort gibt es einen massiven Zuzug aus Rumänien, begleitet von Müll und vielen Leuten die dort unterwegs sind. Mitarbeiter des Ordnungsamtes in Duisburg auf einem Streifengang.

Hendrik Thome steht vor seinem Informationsstand und ist überzeugt: »Die meisten Menschen hier sind keine echten Nazis.« Wenn er vor den Zielen der Partei warne, kämen viele Leute in Duisburg-Neumühl ins Nachdenken, sagt er. Thome will für Die Linke in die Bezirksvertretung Duisburg-Hamborn, die auch Neumühl vertritt. Er trägt einen grünen, runden Sticker. In der Mitte ein niedlicher Iltis mit erhobener Faust, rundherum die Aufschrift »Love Iltispark Hate Nazis«. »Das ist meine Initiative für Neumühl«, erklärt er. »Eine sanfte Antifa, die das menschliche Miteinander im Stadtteil wieder stärkt.« Die weitläufige Parkanlage im Norden Duisburgs ist ein positiver Bezugspunkt für ihn.

36 Prozent der Stimmen hat die AfD bei der zurückliegenden Bundestagswahl im Februar in Neumühl erhalten. Das war Rekord für die Rechtsaußen-Partei in Duisburg, wo sie gleichwohl auch 20,9 Prozent erhielt. Auch bei der anstehenden Kommunalwahl droht ein solches Szenario. Der AfD-Oberbürgermeisterkandidat für Duisburg, Carsten Groß, könnte sogar in die Stichwahl kommen. Längst ist nämlich der gesamte Duisburger Norden – einst eine Herzkammer der Sozialdemokratie – zu einer AfD-Hochburg geworden.

Dieses starke Abschneiden der extremen Rechten bei der Bundestagswahl war für Thome ein Wendepunkt. »Ich will der AfD aktiv entgegentreten. Das ist mein Dienst für die Demokratie«, sagt der 65-Jährige. Er steht an seinem kleinen Infostand, trägt eine große Brille mit markanten Rändern und sortiert Blätter und Flyer. Einige junge Menschen helfen ihm am Stand. Interessierte bleiben stehen. Thome, der als Richter am Amtsgericht Hamborn arbeitet, redet behutsam, freundlich und ist klar in der Ansprache.

Hendrik Thome tritt für Die Linke in Duisburg-Neumühl an
Hendrik Thome tritt für Die Linke in Duisburg-Neumühl an

Neumühl ist ein traditioneller Arbeiterstadtteil. Im 19. Jahrhundert wurde hier begonnen, Steinkohle abzubauen. Das Stahlwerk von Thyssen-Krupp ist nicht weit. Im Stadtteil leben diverse Nationalitäten und Kulturen dicht beisammen. Nach der Schließung der Zeche 1962 wurden die Tagesanlagen abgerissen, und auch die Wohnhäuser sollten weichen. Aber Anwohner haben für den Erhalt ihrer Bergarbeitersiedlung gekämpft und konnten einen Teil der Gebäude retten. Rund um die Siedlung entstanden die typischen Wohnblöcke der 70er Jahre, die heute das Ortsbild prägen. Viele Russlanddeutsche und Spätaussiedler aus Polen haben im Viertel eine neue Heimat gefunden.

Das St.-Barbara-Hospital ist ein berüchtigter verlassener Ort in Neumühl. Das Backsteinensemble steht derzeit leer und soll zwangsversteigert werden. 2015 entstand dort eine zentrale Aufnahmeeinrichtung für Geflüchtete überwiegend aus Syrien. »Viele Neumühler haben sich sehr für die Integration der Geflüchteten engagiert«, erinnert sich Thome. »Inzwischen haben etliche die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen und leben gerne in Neumühl.« Aber er weiß, dass diese Geschichten gelungener Integration nicht darüber hinwegtäuschen können, dass der Zusammenhalt im Viertel bröckelt.

Thome weiß, wie schwierig das Pflaster in Neumühl für ihn ist. »Auf meinen Spaziergängen höre ich immer wieder: ›Ich wähle AfD, damit sich was ändert, die anderen Parteien haben versagt.‹« Für ihn sind die Umfragen, die der AfD starke Ergebnisse versprechen, Sinnbild für Frust, Wut, Ärger und Abstiegsängste. Aber anders als noch vor elf Jahren, als die ersten Flüchtlinge ankamen, brüllen zurzeit keine Nazis rechtsradikale Parolen in den Straßen. Es herrscht latenter Rassismus vor, gepaart mit Frust und Sozialneid. Naziaufmärsche wie in Dortmund-Dorstfeld haben in Neumühl noch nicht stattgefunden.

Hinter vorgehaltener Hand erklärt ein Mann aus der ehemaligen Sowjetunion: »Mindestens 75 Prozent Ausländer leben hier. Das ist doch bedrohlich.« Auf die Frage, was daran beunruhigend sei, antwortet er: »Die klauen, rauben und bedrohen uns, wir fühlen uns nicht sicher.«

Altenheim auf dem Gelände des ehemaligen St. Barbara Hospitals
Altenheim auf dem Gelände des ehemaligen St. Barbara Hospitals

Thome versucht dahinterzukommen, was die AfD gerade in Neumühl so stark macht. Bei seinen Haustürbesuchen treffe er auch Syrer, Polen, Russen, Ukrainer und Iraker an. »Die Nachbarschaft funktioniert meistens«, stellt er fest. AfD-Anhänger wie -Gegner wohnten hier dicht an dicht. »Dennoch bleibt der Umgangston nachbarschaftlich, manchmal sogar herzlich.« Politische Auseinandersetzungen würden oft gemieden. Aber trotzdem treffe er immer häufiger auf Menschen, die sich demonstrativ zur AfD bekennen.

Streit um wildes Wohnen

Einschneidend war bei vielen Bewohnern der Ärger in der Wohnblocksiedlung an der Otto-Hahn-Straße. Bulgaren und Rumänen sollen dort mit falschen Mietverträgen eingezogen sein. Als das Ausmaß im vorigen Jahr immer größer wurde, verschärfte sich die Stimmung deutlich, erinnert sich Thome. »Zahlreiche Anwohner versammelten sich hinter der Forderung, dass die Menschen wegziehen sollten.« Mehrmals durchsuchte die Polizei mit einem Großaufgebot Wohnungen.

Es ist davon auszugehen, dass sich noch mehr Wähler bei dieser Kommunalwahl in Duisburg von der SPD und der CDU abwenden. Schon bei der vergangenen Stadtratswahl mussten die beiden großen Parteien starke Einbußen hinnehmen. Manfred Güllner, Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Forsa, erklärte in der »Westdeutschen Allgemeinen Zeitung«, dass sich 39 Prozent der AfD-Wähler in NRW für die AfD entschieden, weil sie unzufrieden mit den anderen Parteien seien. Außerdem wird wohl auch die Bundespolitik Einfluss auf die Wahlentscheidung haben: Eine Befragung habe ergeben, dass 31 Prozent der AfD-Wähler bei der Kommunalwahl ihr Kreuz bei der radikalen Rechten als Reaktion auf die Bundespolitik machen wollen.

Diese Gemütslage spiegelt Jarko, der vor einem Supermarkt steht. Er will einkaufen, muss aber schnell noch aufrauchen. Angesprochen auf die Kommunalwahl sagt er, dass er AfD wähle. »Ich habe die Schnauze voll. Die Migranten tanzen uns auf der Nase herum.« Er spricht Müllkippen, Diebstähle und Raub an, die er Zugewanderten zur Last legt. Beweise dafür hat er keine. Nur einmal hat er gesehen, wie junge Roma einer alten Dame vor dem Discounter die Tasche entrissen hätten. Er habe versucht zu helfen, sich dann aber überlegt: »Stopp, die haben doch bestimmt alle Messer dabei.«

Klar gebe es Probleme, sagt auch Thome. Viele sogar. »Aber diese einseitige und pauschale Missachtung dieser Menschen wurde über Jahre gezielt herbeigeführt.« Auch von der SPD um Oberbürgermeister Sören Link, der einmal sagte, dass er lieber Syrer als Roma sowie Migranten aus Rumänien und Bulgarien in Duisburg aufnehmen würde. Das alles sind Steilvorlagen für die AfD.

Davon will sich Thome absetzen. »Ich will zeigen, dass es in der Demokratie möglich ist, positive Veränderungen zu erreichen, die unsere Stadt und alle ihre Einwohner nach vorne bringen«, erklärt er. Auch wenn er weiß, dass sein Wahlkampf allein nicht ausreicht, »die rechten Parolen aus den Köpfen zu kriegen«.

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