Bundespolizei will 2000 Taser anschaffen

Pilotprojekt an Bahnhöfen kostete über drei Millionen Euro – Schüsse »möglichst gegen den Rücken«

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) bei der Vorführung der neuen »Taser 10« durch Bundespolizisten.
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) bei der Vorführung der neuen »Taser 10« durch Bundespolizisten.

Die Bundespolizei will nach jahrelangen Tests vorraussichtlich 2000 Taser beschaffen und darüber bis Ende 2025 endgültig entscheiden. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen hervor. Ein seit 2020 laufendes Pilotprojekt mit den sogenannten Distanzelektroimpulsgeräten (DEIG) hat bereits über 3,2 Millionen Euro gekostet. Allein in diesem Jahr gab die Behörde über 2,2 Millionen Euro für 320 Geräte des neuesten Modells »Taser 10« aus.

Taser verschießen pfeilförmige Projektile mit Drähten, die sich in der Haut verhaken und Stromstöße übertragen. Diese lösen schmerzhafte Muskelkontraktionen aus und setzen den Getroffenen außer Gefecht. Befürworter*innen argumentieren, die Einführung von Tasern können das Ziehen von Schusswaffen vermeiden. Gegner*innen sehen darin aber ein zusätzliches Zwangsmittel für die Polizei.

In allen Bundesländern werden die Elektroschockwaffen schon lange von Spezialeinheiten genutzt, immer mehr von ihnen führen sie seit 2018 auch im Streifendienst ein – derzeit sind es Bayern, Brandenburg, Bremen (Bremerhaven), Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein.

Die Grünen kritisieren in ihrer Anfrage die geplante Ausweitung auf die Bundespolizei scharf, sie halten die Waffe – wie etwa auch Amnesty International – für gefährlich. Die Fraktion bemängelt, dass der ursprünglich für November 2021 angekündigte Abschlussbericht bis heute nicht vorliegt – dieser sei vertraulich und werde nicht veröffentlicht, schreibt dazu das Bundesinnenministerium.

Die Bundespolizei führt seit 2020 Taser-Tests in vier Inspektionen mit bahnpolizeilichem Schwerpunkt durch – in Berlin-Ostbahnhof, Kaiserslautern, Frankfurt am Main und seit 2022 auch Berlin-Hauptbahnhof. Zudem sind 320 »Taser 10« an 16 Dienststellen in allen Bundespolizeidirektionen im Einsatz. Die Tests werden medizinisch vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf begleitet.

Das Bundesinnenministerium stellt die Waffe als harmlos dar: Bei bisher 24 Einsätzen gegen Personen habe es eine Platzwunde im Gesichtsbereich durch einen Sturz sowie in 20 Fällen leichte Hautverletzungen durch die Pfeilelektroden gegeben. Schädigungen oder Todesfälle seien nicht aufgetreten.

Eine fortlaufende Statistik der Zeitschrift »Bürgerrechte & Polizei/Cilip« stellt dies anders dar. Darin werden Tausende Taser-Einsätze in den Bundesländern ausgewertet. Bei fast der Hälfte aller Einsätze 2023 kam es zu Verletzungen, meist leicht oder oberflächlich durch die Pfeile und Elektroden sowie durch Stürze infolge einer Muskelverkrampfung. In 229 Fällen war eine ambulante, in mehreren Dutzend Fällen eine stationäre Behandlung notwendig. Ein Fünftel der Betroffenen wurde anschließend nach Psychisch-Kranken-Gesetzen in Einrichtungen zwangseingewiesen. Das belegt, dass die Einsätze häufig gegen Menschen in psychischen Ausnahmesituationen eingesetzt wird – und diese deutlich zunehmen.

Seit 2018 sind auch mindestens elf Todesfälle im Zusammenhang mit Taser-Einsätzen dokumentiert – davon je einer in Bayern und Niedersachsen, zwei in Hessen, drei in Rheinland-Pfalz und vier in Nordrhein-Westfalen. Als offizielle Todesursachen wurden meist Herzprobleme, Drogen- oder Alkoholkonsum sowie psychische Ausnahmesituationen genannt, der Zusammenhang mit dem Taser-Einsatz wird in den Obduktionsberichten ausgeschlossen.

Das Bundesinnenministerium unter Alexander Dobrindt (CSU) plant, die Geräte für die Bundespolizei im Gesetz über den unmittelbaren Zwang als Waffen einzuordnen – analog zu den meisten Bundesländern. Einen Entwurf hat das Kabinett im Juli beschlossen, nun muss der Bundestag darüber abstimmen.

Eine entsprechende Verwaltungsvorschrift verbietet bereits den Taser-Einsatz gegen bestimmte Personen und in bestimmten Situationen. Welche das sind, schreibt das Innenministerium in der Antwort auf die Anfrage nicht. Aus einer von Frag den Staat veröffentlichten Version von 2020 ist aber bekannt, dass keine Menschen mit Herz-Kreislauf-Problemen, Schwangere oder Minderjährige getasert werden sollen. Schüsse sollen demnach »möglichst gegen den Rücken« oder auf den unteren Oberkörper der Zielperson abgegeben werden.

Die Bundespolizei will die Taser künftig in allen Aufgabenbereichen , aber »insbesondere im Bahnbereich« einsetzen. Nur Polizist*innen mit entsprechender Einweisung dürfen die Geräte führen. Die Kosten für Beschaffung und Ausbildung sollen aus vorhandenen Haushaltsmitteln getragen werden.

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