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- Paella in Spanien
Spiel mit dem Feuer
Reiskochen nach strengen Regeln: In Valencia ist Paella Glaubenssache
In Valencia kommt Reis nicht als traurige, farblose Beilage daher. Er ist der Star in der Pfanne und auf dem Teller. Die Köche hören ihm zu, denn der Reis spricht mit ihnen. Sie küren bei Wettbewerben ihre Paella-Könige. Wer eine gute Paella macht, hat das Lokal garantiert voll. Reis ist in Valencia kein Lebensmittel, sondern eine Lebenseinstellung. Es gibt klare Regeln für die Zubereitung der Paella, sogar der Zeitpunkt, wann man sie essen darf, ist festgelegt. Als unbedarfter Tourist kann man in so manche Falle tappen. Wer nicht als Reis-Rowdy enden will, sollte auf jeden Fall weiterlesen.
Am größten See Spaniens
So schwer es fällt – zunächst einmal müssen wir Messer und Gabel zur Seite legen, raus aus dem Lokal und dorthin, wo der Reis wächst. Zehn Kilometer von Valencia entfernt liegt die Albufera. Es handelt sich um den größten Süßwassersee Spaniens, der im Oktober 2024 von einem Jahrhundert-Unwetter mit starken Überschwemmungen heimgesucht wurde. Die Region Valencia wurde heftig getroffen, mehr als 200 Menschen starben damals im spanischen Süden.
Heute schnappen die Valenciakärpflinge im Albufera-See wieder nach Mücken, als sei nichts gewesen. Entenfamilien umkurven Schilfhalme. Obwohl es heiß und trocken ist, bekommen Vogelfreunde hier feuchte Augen. Seeschwalben kreisen über unserem Boot, Schwarzkopfmöwen ziehen Richtung Meer, das nur wenige Meter entfernt ist. Süß- und Salzwasser sind lediglich durch eine Sandbank getrennt. Silberreiher liefern sich einen Kampf um die leckersten Fische. Der Drosselrohrsänger stimmt sein prasselndes »krikri« an. Der junge Flamingo, der noch ein graues Kleid trägt, stakst unbeholfen durch das Wasser. Der Naturpark Albufera ist ein Vogelparadies. Touristen aus ganz Europa kommen für ornithologische Führungen.
Maurische Resteküche
Wir aber sind hier, weil uns der Reis interessiert. Der wächst nämlich dort, wo der See endet. Genau genommen wurde die Albufera im 18. und 19. Jahrhundert von den Rändern her trockengelegt, um Platz zu gewinnen. Auf rund 15 Quadratkilometern gedeiht heute Reis. Im April wird er gesät, ab Juni recken die jungen Pflänzchen ihre Hälse in den Himmel und überziehen die ganze Region mit einem grünen Teppich. Die Ernte im Herbst bringt alljährlich rund 120 Millionen Kilogramm Reis, der – ähnlich wie Wein – sogar eine eigene Ursprungsbezeichnung trägt: Arroz de Valencia DO.
Die erste Paella köchelte vermutlich schon im 8. Jahrhundert in einer valencianischen Pfanne. Damals beherrschten die maurischen Könige große Teile Spaniens. Sie hatten den Reis mitgebracht und hinterließen bei ihren Mahlzeiten Reste von Hähnchen oder Gemüse. Die Diener packten alles ein und schmissen es zusammen mit Reis in eine Pfanne. Der Begriff Paella könnte also vom arabischen Wort »baqiyah« abstammen, das Reste bedeutet. Die moderne Paella hat ihren Ursprung im 19. Jahrhundert. Die Arbeiter auf den Reisfeldern der Albufera sammelten alles, was sie finden konnten. Auch Schnecken landeten im Topf. Sie gehören noch immer zur traditionellen Paella, schrecken aber so manchen Touristen ab.
Die Kunst des Feuers
Heute wachsen rund um Valencia vier unterschiedliche Reissorten: Bomba, Senia, Dacsa und Albufera. Sie alle eignen sich bestens für die Paella. Aber wie beim Reis gilt auch in diesem Punkt: Paella ist nicht gleich Paella. Je nachdem, ob sie secco (trocken) oder meloso (cremig) werden soll, ist eine andere Reissorte nötig. Senia ist die cremige Variante, Bomba eignet sich besser, um eine braune Kruste zu erhalten.
Als Anfänger kann man sich bei der Paella nur die Finger verbrennen. Damit es keine Panne in der Pfanne gibt, haben wir uns David Zorilla an die Seite geholt. Er betreibt in Cullera das bekannte Restaurant Casa Salvador. Viele Valencianer nehmen die knappe Stunde Fahrt bis zu ihm gerne in Kauf, um seine als meisterhaft besungene Paella zu verkosten. In der gusseisernen Pfanne (Paellera), die zwei Leute tragen müssen, brutzeln bereits die Rojos. »Paella ist das schwierigste spanische Gericht«, sagt Zorilla, während er die roten Riesengarnelen aus der Pfanne schöpft und dafür Stückchen vom Seeteufel und vom Tintenfisch hineingibt. Es folgen Zwiebeln, Paprika, Tomaten und Safran, ehe der Senia-Reis seinen Auftritt hat. Zorilla brät ihn kurz an, dann kommt Gemüsebrühe hinzu.
Das war der einfache Part. Jetzt geht es darum, das Feuer im Zaum zu halten. Die Pfanne steht auf einem schneckenförmigen Gestell, aus dem Dutzende kleine Flammen züngeln. Immer wieder dreht der Koch am Gashahn. »Die Paella braucht stets das richtige Feuer, das muss man im Gefühl haben.«
Nach 18 Minuten, der offiziellen Kochzeit für Senia, legt Zorilla den Zeigefinger auf den Mund. »Psst, jetzt müssen wir zuhören! Der Reis spricht mit uns.« Die Pfanne blubbert noch kurz, dann ist alle Flüssigkeit gewichen, und der Reis meldet mit einem tiefen Summen, dass er nun genug hat. Aber Achtung: Auf den Teller kommt die Paella noch nicht. Sie muss zwölf Minuten ruhen, bis man sie aufgabeln darf.
Von Römern und Regen
Paella ist ein Gericht für Familie und Freunde. Valencianische Mütter besitzen Pfannen in verschiedenen Größen, je nachdem, wie viele Gäste kommen. Die Einladung wird aber stets zum Mittagessen sein. Abends liegt der Reis nach Meinung der Spanier zu schwer im Magen. Ein interessanter Aspekt, der angesichts der spanischen Esskultur doch ein wenig verwundert. Schließlich kommt in vielen Restaurants der Hauptgang nicht vor 22 Uhr auf den Tisch und sorgt für Schwerstarbeit im Verdauungstrakt.
Logisch, dass der »Concurs Internacional De Paella Valenciana« auch zur Mittagszeit stattfindet. Im Örtchen Sueca versammeln sich alljährlich die 40 besten Paella-Köche der Welt, die sich in Vorausscheiden qualifizieren müssen. Zehn Plätze sind für Nicht-Spanier reserviert, einer der letzten Sieger kam glatt aus Mexiko. Tony Landete, Chef der Veranstaltung, erklärt: »Jeder erhält die gleichen Zutaten. Es kommt wirklich nur darauf an, wer Paella am besten kann.«
Die Teilnehmer kochen den Klassiker, Paella valenciana, die nur aus Hühnchen, Kaninchen, Schnecken, Bohnen, Olivenöl, Salz, Safran, Tomate, Paprika, Rosmarin, Knoblauch, Wasser und Reis bestehen darf.
- Anreise: Direktflüge von zahlreichen deutschen Flughäfen nach Valencia
- Unterkunft: Hotel Silken Puerta de Valencia: zentral gelegen, guter Service, reichhaltiges Frühstück. www.hoteles-silken.com
Albufera: Bootstour inkl. Paella: ca. 24 € pro Person. www.visitvalencia.com/de/shop/gastronomie/spanische-paella/bootsfahrt-und-paella-in-el-palmar. Fahrradtour im Naturpark: www.bikeinmindvalencia.com - Paella: Casa Salvador (Cullera): 75 Jahre altes Traditionsrestaurant, »Reiskathedrale« – www.casasalvador.com. Nou Racó (El Palmar): nicht günstig, aber berühmt für Paella Valenciana mit Schnecken – www.nouraco.com. Paella-Wettbewerbe: 14. September in Sueca – www.concursodepaella.com.
- 20. September: Welt-Paella-Tag
Zurück zur Albufera, wo wir wieder im Boot sitzen, um Flamingos und Entenfamilien zu beobachten. Eine Abkühlung würde uns guttun, Baden ist aber verboten. Der Mensch soll die Tierwelt nicht stören. Außerdem ist das Wasser maximal zwei Meter tief, der Boden voller Schlick und Lehm. Dass ausgerechnet hier im trockenen Südosten der größte Süßwasser-See Spaniens liegt, ist auch ein Verdienst der Römer. Sie zapften die Flüsse Turia und Júcar an und überzogen das Land mit Kanälen, die die Felder bewässerten und in die Albufera mündeten.
Die Region Valencia kommt auf nur 50 Regentage pro Jahr. Die Wolken bleiben in den nahen Bergen hängen, die die Stadt umzingeln. Eine halbe Stunde später gießt es aus Kübeln. Unser Boot legt in El Palmar an, schnell ist ein Restaurant gefunden. Wir müssen eine Weile auf den Koch einreden, aber dann erklärt er sich bereit, die Paella ausnahmsweise ohne Schnecken zu machen.
»Der Reis spricht mit uns.«
David Zorilla Paella-Koch
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