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Irlands Westen: Das Mantra des Meeres
Im Westen Galways offenbart sich das wilde Irland: Torfmoore, Seen und Berge, die Landschaften eine Seele verleihen
Da findet man das echte Irland, haben sie gesagt, wo uralte Traditionen gepflegt werden, die meisten Menschen noch Gälisch sprechen und dunkle Torfmoore, tausend Seen und allgegenwärtige Berge einem die Frage beantworten, ob Landschaften eine Seele haben. Und dann landet man in einer Zweigstelle des afrikanischen Kontinents, umringt von Zebrafellen, Massai-Speeren, Jagdtrophäen und Holzmasken?
Julia und Paddy Foyle, die Besitzer des B&B The Quay House, schicken einige ihrer Gäste auf Safari und quartieren sie in ihrer Africa Suite ein. Die Wahl hätte auch auf das Skandinavien-Zimmer in nordisch blau-weißen Tönen samt Schneeschuh-Deko und Muschelfries fallen können, auf die Spiegel-Suite, den asiatischen Bambus-Raum oder das Napoleon-Appartement mit dem Porträt des französischen Kaisers über dem Bett. Julia und Paddy haben das zweihundert Jahre alte Hafenmeisterhaus in Connemaras Hauptort Clifden in einen einzigartigen Kosmos voller Antiquitäten und Artefakte verwandelt. Jeder Raum ist eine eigene kleine Galerie.
Bei einer Tasse Tee in der African Suite zu sitzen und auf die Fischkutter in Clifdens Hafen zu schauen, ist wunderbar skurril. Für irische Authentizität sorgt immerhin das Gerücht, gelegentlich husche ein Geist im Gewand eines Mönchs durch die Gästeräume.
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Nach Afrika hat er sich allerdings nicht getraut, und so starten Irlandreisende ihre Connemara-Expeditionen ohne übernatürliche Begegnung und finden es tatsächlich – das Irland, von dem die Kenner der Grünen Insel so schwärmen. Tiefhängende Wolken wehen in Windeseile über einsame Torfmoore und schimmernde Seen, in denen sich die blauen Gipfel der Twelve Bens und der Maumturk Mountains spiegeln.
Kilometerlange Steinmauern durchziehen das Land, in den kleinen Hafenorten dümpeln bunte Fischkutter vor sich hin, auf weiten Wiesen trocknen pyramidenförmig gestapelte Torfsoden in der Sonne, und an den Küsten fegen harsche Winde über zerklüftete Klippen. Oscar Wilde wusste genau, wovon er schwärmte, als er Connemara eine »wilde Schönheit« nannte.
Weil die vielen kleinen Landstraßen durch das größte der als Gaeltacht bekannten Sprachreservate führen, werden ausländische Autofahrer hier allerdings flugs zu Analphabeten. Die Verkehrszeichen sind meist ausschließlich Irisch beschriftet und sorgen so im Wagen für knifflige Ratespiele oder gereizte Diskussionen darüber, ob sich hinter Cloch na Rón oder An Claideach Dubh tatsächlich Ortsangaben oder doch eher lebensrettende Warnhinweise verbergen. Vielleicht sind es ja auch nur heitere Trinksprüche als Hinweis auf den nächsten Pub – den Iren wäre das durchaus zuzutrauen.
»Die erste Musik waren Wind und Meer.«
John O’Donohue Irischer Philosoph
Und wo bitte geht es zum Killary Harbour? Keine Bange, Irlands einziger Fjord, der die Bergwelt im Norden Connemaras auf einer Länge von sechzehn Kilometern wie ein samtblaues Band durchschneidet, ist – Irischkenntnisse hin oder her – ebenso wenig zu verfehlen wie der Weg in den Connemara National Park. Knapp 15 Kilometer von Clifden, dem Hauptort von Connemara, entfernt, führen zahlreiche Wanderwege durch die unberührte Moor- und Heidelandschaft des rund dreißig Quadratkilometer großen Schutzgebietes, in dem wilde Connemara-Ponys, Rotfüchse, Baummarder und Falken leben. Einst gehörte das ganze Gebiet zur Kylemore Abbey.
Das Märchenschloss, das seit über einhundert Jahren im Besitz des Benediktinerinnenordens ist, setzt sich am Fuße eines samtgrünen Berghangs und direkt am Ufer des Lough Pollacappul besonders eindrucksvoll in Szene. Kein Wunder, dass es zu den meistfotografierten Bauwerken Irlands gehört. Erbauen ließ es der wohlhabende Arzt und Politiker Mitchell Henry als nachträgliches Hochzeitsgeschenk für seine Frau Margaret. Die hatte sich während der Flitterwochen von Connemaras Landschaft so hingerissen gezeigt, dass ihr Gatte tief in die Taschen griff. 1,25 Millionen Pfund kostete ihn der neue Familiensitz.
Das Glück der Henrys währte jedoch nicht lange. Nachdem Margaret während einer Ägyptenreise an Nilfieber gestorben war, verkaufte Mitchell das Anwesen bald. Zuvor baute er zum Andenken an seine Frau allerdings noch eine neogotische Kirche. Deren juwelenfarbene Buntglasfenster locken gemeinsam mit dem zum Niederknien schönen Klostergarten viele Connemara-Besucher nach Kylemore.
- Lage: Der Connemara National Park
liegt im Westen Irlands, etwa
80 Kilometer nordwestlich von Galway. - Webseiten:
www.nationalparks.ie/connemara
www.kylemoreabbey.com
thequayhouse.com
www.connemara.net - Wandern: Das Besucherzentrum des Nationalparks organisiert regelmäßig geführte Wanderungen. Eine besonders schöne Route verläuft durch das Kerngebiet des Reservats auf den Diamond Hill.
- Radtour: Die Traumlandschaft von Lough Corrib ist das perfekte Ziel für eine etwa 100 Kilometer lange Radtour, die in Galway startet und rund um den größten See der Republik verläuft. Fahrradverleiher und Anbieter geführter Touren in Galway: westirelandcycling.com, westsidecyclesgalway.com
Klösterliche Stille erfährt man hier deshalb auch nur in der Nebensaison. Ganz für sich allein haben kann man indes eine der vielen Buchten, in denen das Meer gegen massige Felsen brandet und die bröckelnden Überreste verlassener Fischerkaten samt rostiger Krabbenkörbe vom alten Irland erzählen.
Eine von Moos und Unkraut überwucherte Ruhe prägt diese Orte, die niemand poetischer beschrieb als der irische Priester und Philosoph John O’Donohue: »Am Anfang war die Stille. Die erste Musik waren Wind und Meer. Bevor die Symphonie anderer Klänge begann, verbrachte die Natur Millionen von Jahren in Meditation, ihre große Einsamkeit beruhigt und besänftigt durch das Mantra ihres eigenen Atems.«
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