Skopje in Nordmazedonien: Kitschhauptstadt als Kulturhauptstadt?

Nordmazedoniens Hauptstadt will sich als moderne Metropole zeigen – zwischen antiken Helden, Betonvisionen und dem Erbe des 2014-Größenwahns

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 5 Min.
Pompös: 22 Meter Höhe misst die Alexander-Statue.
Pompös: 22 Meter Höhe misst die Alexander-Statue.

Skopje gilt als die unbekannteste Hauptstadt Europas. Die Hauptstadt der einstigen jugoslawischen Teilrepublik Mazedonien, die nach dem erbitterten Streit mit Griechenland nun Nordmazedonien heißt, protzt allerdings mit frisch errichteten Monumenten. Sie verfügt über Baudenkmäler aus zahlreichen Epochen und will neuerlichen Aufschwung erreichen – durch die angepeilte Wahl zu Europas Kulturhauptstadt 2028.

In Skopje treffen sich die Kulturen, seit Jahrtausenden schon. Fundstücke aus der Römerzeit, als Skopje unter dem Namen Scupi eine wichtige Garnisonsstadt war, befinden sich im Archäologischen Museum und im Museum der Mazedonischen Republik. Authentische Basaratmosphäre verströmt der türkische Markt, in dem von Obst und Gemüse über Fleisch und Gewürze bis hin zu Haushaltswaren alles Wichtige für den Alltag zu erwerben ist. Ottomanische Tee- und Kaffeekultur gibt es in den engen Straßen der Altstadt zu erleben. Und nach dem schlimmen Erdbeben von 1963 wurden teils futuristisch anmutende Betonarchitekturen wie etwa die Universität Skopje und die Kliment-von-Ohrid-Kirche errichtet.

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Die postsozialistische Gesellschaft ließ sich ebenso wenig lumpen. Davon zeugt unter anderem ein gewaltiges Denkmal für den einstigen Mazedonier-König Alexander den Großen, der bekanntlich ein Weltreich von Ägypten bis Indien eroberte. Eine Replik des Pariser Triumphbogens, den der Alexander nacheifernde Franzosen-Kaiser Napoleon einst in Auftrag gab, befindet sich ebenfalls im Stadtzentrum. Objekte wie diese, erdacht und umgesetzt im Rahmenplan von »Skopje 2014«, verhalfen der Stadt zum etwas zweifelhaften Titel »Kitschhauptstadt Europas«.

»Skopje 2014« war ein von der Regierung Nikola Gruevski (VMRO-DPMNE) ab 2010 aufgelegtes Stadtumbau-Programm, das der Innenstadt mit klassizistischen Fassaden, neuen Museen, Brücken und Dutzenden Denkmälern eine »glorreiche« nationale Erzählung verpassen sollte. Offiziell sollten Identität stiften und Tourismus ankurbeln, faktisch wuchsen Kosten und Umfang rasant.

22 Meter Höhe misst beispielsweise die Alexander-Statue. »Gegossen wurde die Bronzestatue in Italien und dann in Einzelteilen hergeschafft«, erzählt Robert Alagjozovski »nd«. Er ist Schriftsteller und Verleger. Er war von 2017 bis 2018 Kulturminister und hatte sich daher beruflich mit den Hinterlassenschaften von »Skopje 2014« zu befassen. »Über Ästhetik mag man streiten«, sagte er mit spöttischem Lächeln am Rande eines Theaterfestivals. »Was wir als Bürger aber vermissen, ist eine Rückkehr der veruntreuten Gelder«, fügte er mit ernstem Gesicht hinzu.

Tatsächlich ist der Auftraggeber der frühere Premierminister Nikola Gruevski in diversen Korruptionsverfahren verurteilt worden. Der Haftstrafe entzog er sich aber durch die Flucht nach Ungarn. Jetzt sind die pompöse Statue, der Triumphbogen à la Napoleon und auch zwei Riesenschiffe auf dem Fluss Vardar die Zeugen einer Imponier-Orgie mit öffentlichen Geldern.

Ursprünglich waren es sogar drei Schiffe, die spanischen Galeonen nachempfunden waren. Nur eines ist eine Dekade nach der Einweihung überhaupt noch als Restaurant und Hotel in Betrieb. Ein zweites gammelt als Ruine vor sich hin, ein drittes ist komplett verschwunden. Touristen belustigen all diese schrägen Akzente bei einer Balkanrundreise. Einheimische sind eher beschämt.

Skopje hat aber nicht nur Skurriles zu bieten. Die Altstadt mit ihren kleinen, geduckten Häusern aus der ottomanischen Zeit, den vielen Moscheen, Karawansereien und mittlerweile als Kulturstätten genutzten Hammams entführt in einen komplett anderen Kulturkreis. Oberhalb der Altstadt locken das Museum für zeitgenössische Kunst sowie die bis aufs 6. Jahrhundert zurückreichende Festungsanlage. Der Ausblick von dort auf die Stadt ist prächtig.

Beliebte Reiseziele außerhalb Skopjes sind die knapp 20 Kilometer entfernte Matka-Schlucht, die zum Kajakfahren einlädt, sowie der etwa zwei Autostunden entfernte Ohridsee. Der See und einige der angrenzenden Ortschaften wurden zum Unesco-Natur- und Kulturerbe erklärt. Ohrid selbst ist mit seinen aufwändig restaurierten orthodoxen Kirchen und der aus ottomanischer Zeit stammenden Altstadt ein Juwel ganz eigener Prägung. Von dort aus brechen auch Ausflugsschiffe auf den See auf. Sie bieten unter anderem einen Blick auf die einstige Sommerresidenz von Jugoslawiens Gründungsvater Tito.

In jüngster Zeit geriet der Status von See und Uferzone als Unesco-Naturerbe allerdings aufgrund von rasanter Bautätigkeit in Gefahr. Die rechte Balance aus Tourismus und Naturschutz muss noch gefunden werden.

Die Hauptstadt Skopje versucht in jüngster Zeit durch internationale Großevents zu punkten. Im Sommer 2025 fanden die European Youth Olympic Games statt, ein den Olympischen Spielen nachempfundenes Sportfest von Nachwuchsathletinnen und -athleten. Und für 2028 erhielt die Stadt den Zuschlag als Kulturhauptstadt Europas. Eine Grundlage dafür gibt es mit den vielen Museen und Theatern durchaus. Der erste Zwischenbericht der EU-Kulturkommission fiel allerdings ernüchternd aus. Den Gastgebern wurde vorgeworfen, noch keine ausreichenden Planungen für besondere Events vorgelegt zu haben. Dieser Blick von außen deckt sich mit dem von innen. Die Theaterwissenschaftlerin und Dramaturgin Ivanka Apostolova Baskar klagt im Gespräch mit »nd«, dass weder die Stadtverwaltung noch die lokalen Medien die Chance ergriffen hätten, die die Wahl zur Kulturhauptstadt bedeute.

Skopje könnte bei weiterer Untätigkeit seinen unfreiwilligen Status als am wenigsten bekannte Hauptstadt Europas behalten. Für die Entdeckungsfreudigen unter den Reisenden ist das möglicherweise reizvoll, für die Einwohner, die der zwischen Korruption und Kitsch-Exzess mäandernden Politik müde sind, bedeutet das aber nichts Gutes.

Tipps
  • Anreise: Flüge unter anderem ab
    Berlin, Wien und Zürich nach Skopje (SKP), einfache Tickets ab 80 Euro.
  • Einreise: Für EU-Bürger*innen
    bis 90 Tage kein Visum nötig;
    gültiger Reisepass oder Personalausweis erforderlich.
  • Sehenswert: Altstadt mit Basar
    und Moscheen, Festung Kale,
    Matka-Schlucht, Ohrid­see (Unesco-Welterbe, etwa zwei Stunden Fahrt).
  • Mehr Infos:
    tourismmacedonia.gov.mk/?lang=en

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