Ein Leck im Boot fern von Neuenhagen

Ex-Landtagsabgeordneter Michael Jungclaus (Grüne) segelte um die Welt

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.
Hat durchgehalten: Die zwölf Meter lange Yacht »Daphne« fern des Heimathafens vor Anker
Hat durchgehalten: Die zwölf Meter lange Yacht »Daphne« fern des Heimathafens vor Anker

»Einige Male stand ich kurz davor, aufzugeben, umzukehren oder ›Daphne‹ unterwegs zu verkaufen«, berichtet der ehemalige Brandenburger Landtagsabgeordnete Michael Jungclaus (Grüne). »Aber irgendwie ging es dann doch immer wieder weiter.«

Am 7. Juli 2019 war Jungclaus mit seiner Frau Uta in Stralsund in See gestochen – sieben Wochen vor der Landtagswahl, bei der er nach zehn Jahren im Parlament nicht wieder kandidierte. Jungclaus wollte sich endlich einen Traum erfüllen: Einmal die Welt umsegeln. »Daphne« heißt sein Boot. Jetzt liegt es wieder in Stralsund, wo Jungclaus am Samstag eingetroffen und seitdem mit dem Ausräumen der Yacht beschäftigt ist. Nächste Woche soll sie aus dem Wasser gehoben werden. Dann kehrt Jungclaus nach Neuenhagen bei Berlin zurück.

20 Jahre hat er für dieses Abenteuer gespart und nur Radtouren und ähnliche preiswerte Ferien gemacht, war mit seiner Frau nur selten mal weiter weg im Urlaub. Die Weltumseglung selbst sei gar nicht so teuer, versichert der 61-Jährige. Das Problem sei der Verdienstausfall.

Für drei Jahre sollten die Ersparnisse reichen, und Ehefrau Uta sollte nach anderthalb Jahren aus beruflichen Gründen in Australien von Bord gehen. Doch es kam alles anders: Durch die Corona-Pandemie hing das Paar monatelang in Kolumbien fest, und Michael Jungclaus durchfuhr dann mit seiner nachgekommenen Tochter Antonia den Panamakanal, weil seine Frau wieder arbeiten musste. Die Tochter kam nach den ersten neun Monaten später noch einmal für sechs Monate an Bord. Auch Freunde segelten abwechselnd mit, einmal auch ein fremder Australier, später wieder Ehefrau Uta. Der russische Angriff auf die Ukraine, »die Eskalation im Nahost-Konflikt und Wetterkapriolen aufgrund des Klimawandels wirbelten unsere Pläne gehörig durcheinander«, berichtet Jungclaus.

»Einige Male stand ich kurz davor, aufzugeben, umzukehren oder ›Daphne‹ unterwegs zu verkaufen. Aber irgendwie ging es dann doch immer wieder weiter.«

Michael Jungclaus Weltumsegler

»Von über 30 000 Seemeilen bin ich nur 2000 allein gesegelt«, erzählt er. An 187 verschiedenen Stellen hat die zwölf Meter lange Yacht »Daphne« geankert und 77 Häfen in 37 verschiedenen Staaten angelaufen. Bei aller Sparsamkeit unterwegs hätte das Geld für sechs Jahre nicht gereicht, wenn Jungclaus seine Reise nicht dreimal unterbrochen und in dieser Zeit in Deutschland in seinem erlernten Beruf als Tischler gearbeitet hätte. So hat er beispielsweise einen Dachboden ausgebaut, bevor er seine Weltumrundung fortsetzte. Mit den eingelegten Pausen ging Jungclaus auch den Saisons für Hurrikane und dem Monsun aus dem Weg. Brenzlige Situationen erlebte er trotz aller Vorsicht, beispielsweise ein Leck im Roten Meer, bei dem er eine Weile brauchte, die Stelle zu finden, durch die das Wasser eindrang. Außerdem ist das Boot zwei- oder dreimal auf Grund gelaufen, weil Untiefen nicht in den Seekarten verzeichnet waren.

Bei allen Schwierigkeiten versichert der 61-Jährige, es sei eine »unvergessliche, atemberaubend tolle Zeit« gewesen, und er sei »unendlich dankbar, dies erlebt zu haben«. Nun muss er in den Alltag zurückfinden. Sechs Jahre hat er noch bis zur Rente, und eins steht für ihn fest: Er bleibe Mitglied der Grünen, Politiker wolle er aber nicht mehr sein. Als Abgeordneter habe er immer realpolitisch diskutieren müssen, wie sich Vorschläge finanzieren lassen würden. Darauf habe er keine Lust mehr.

Dass Jungclaus in ein Land Brandenburg zurückkehrt, in dem die Grünen bei der Landtagswahl 2024 aus dem Parlament geflogen sind, während die AfD von 23,5 auf 29,2 Prozent zulegte, ist ihm bewusst. Er hat die Ereignisse aus der Ferne verfolgt. »Es ist natürlich frustrierend, wenn man zehn Jahre im Landtag für den Klimaschutz kämpft und am Schluss wieder da steht, wo man 2009 angefangen hat«, bedauert der frühere Abgeordnete.

Unterwegs auf den Weltmeeren hat er Umweltschutzprojekte besucht, sich über bedrohte Korallenriffe und den in Kolumbien angespülten Plastikmüll informiert. Er teilte seine Erkenntnisse in einem ins Internet gestellten Logbuch mit allen, die sich dafür interessieren. Auch bei der Hilfsorganisation Seawatch, die Flüchtlinge im Mittelmeer aus Seenot rettet, ist Jungclaus gewesen, und er hat sich im Sudan mit der bitteren Armut der Bevölkerung beschäftigt.

Michael Jungclaus (l.) führt in Kolumbien ein Interview über Plastikmüll in den Weltmeeren.
Michael Jungclaus (l.) führt in Kolumbien ein Interview über Plastikmüll in den Weltmeeren.

»Auch wenn ich bei der Ankunft in Stralsund nicht dabei sein konnte, verfolgte ich die Reise von Michael Jungclaus mit großer Anerkennung«, sagt Brandenburgs Grünen-Landesvorsitzender Clemens Rostock. »Seine Weltumseglung war ein starkes Signal dafür, wie eng die Themen Klimaschutz und globale Gerechtigkeit miteinander verknüpft sind. Die Erfahrungen, die er unterwegs gesammelt und öffentlich gemacht hat, sind ein wertvoller Beitrag für unsere politische Arbeit hier in Brandenburg.«

Muckefuck: morgens, ungefiltert, links

nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik – aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin – ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.

Während Michael Jungclaus seine zehn Jahre im Parlament in der Opposition zubrachte, waren die Grünen in den fünf Jahren, in denen Clemens Rostock ab 2019 im Landtag saß, in einer Koalition mit SPD und CDU, die in vielerlei Hinsicht ein Desaster war. Die Quittung gab es bei der Wahl 2024. Die CDU sackte von 15,6 auf 12,1 Prozent. Die Grünen stürzten sogar von 10,8 auf 4,1 Prozent ab – und wenn heute Landtagswahl wäre, müsste die Ökopartei erneut bangen. Dagegen ist die AfD in den Umfragen bis auf 34 Prozent enteilt.

Indessen will Michael Jungclaus überlegen, ob er ein Buch über seine Weltumseglung schreiben wird. Erst einmal hält er mit seiner Frau Vorträge und sammelt dabei Spenden für Projekte, denen er auf seiner Reise begegnete. Bei bisher 30 Vorträgen während der eingelegten Reisepausen seien bereits 6500 Euro zusammengekommen, freut sich der 61-Jährige. Die folgenden Termine, zum Beispiel in Falkensee, sind im Internet zu finden.

Die nächste Aufgabe von Jungclaus ist eine ehrenamtliche: Am 15. Oktober reist er als Wahlbeobachter der OSZE nach Nordmazedonien. Was danach folgt, werde er sehen, sagt Jungclaus. Er lasse das auf sich zukommen.

www.sailingdaphne.com

Wir haben einen Preis. Aber keinen Gewinn.

Die »nd.Genossenschaft« gehört den Menschen, die sie ermöglichen: unseren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die mit ihrem Beitrag linken Journalismus für alle sichern: ohne Gewinnmaximierung, Medienkonzern oder Tech-Milliardär.

Dank Ihrer Unterstützung können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen sichtbar machen, die sonst untergehen
→ Stimmen Gehör verschaffen, die oft überhört werden
→ Desinformation Fakten entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und vertiefen

Jetzt »Freiwillig zahlen« und die Finanzierung unserer solidarischen Zeitung unterstützen. Damit nd.bleibt.

- Anzeige -
- Anzeige -