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Brandenburgs AfD bleibt unberechenbar
Landesverband lehnt Abkehr von Mitgliederparteitagen zu Delegierten ab
Es ist nasskalt am Samstag und über der Stadt Brandenburg/Havel hängt Nebel, auch über dem Stadion am Quenz, wo die Fußballer der BSG Stahl Brandenburg seit 1955 ihre Heimspiele austragen. Die größten Erfolge, als der Verein in der DDR-Oberliga und später in der 2. Bundesliga spielte, liegen schon Jahrzehnte zurück. Heute kickt die Mannschaft in der 6. Liga und muss am Samstag auswärts beim BSC Preussen 07 in Blankenfelde-Mahlow antreten.
Auf dem Rasen hinter dem Stahlpalast tummeln sich stattdessen nur ein paar Kinder. In dieser hochtrabend Palast genannten Halle hat die AfD bei ihrem Landesparteitag am Wochenende eine Art Heimspiel. Denn in Brandenburg/Havel lag die Partei bei der Bundestagswahl im Februar weit vor allen anderen Parteien. Überhaupt hat sie im Land Brandenburg neun von zehn Bundestagswahlkreisen gewonnen, woran Bundestagsfraktionschefin Alice Weidel in einem Grußwort erinnert, das als Video eingespielt wird. Jetzt soll der AfD-Stadtverordnete Axel Brösicke diesen Erfolg am Sonntag mit einem Sieg bei der Oberbürgermeisterwahl krönen.
»Die Aussichten sind ja gut«, frohlockt Landtagsfraktionschef Hans-Christoph Berndt. Eine Umfrage sehe Brösicke auf Platz eins. Sechs Kandidaten treten an, darunter der bisherige Oberbürgermeister Steffen Scheller (CDU) und die parteilose Birgit Pätz, der eine Außenseiterchance eingeräumt wird.
Mit einer Jackentasche voller Wahlwerbung für Kandidatin Pätz kommt René Kretzschmar zur Gegendemonstration, die kurz nach 12 Uhr am Hauptbahnhof startet. Kretzschmar ist Linksfraktionschef in der Stadtverordnetenversammlung. Die Linke und die Grünen unterstützen Birgit Pätz. Kretzschmar will ihr an Türklinken zu hängendes Werbematerial im Anschluss noch verteilen.
Gegendemonstration auf Distanz
Die Gegendemonstration zieht nicht bis zum Stahlpalast, sondern endet schon gut drei Kilometer vorher am Nicolaiplatz. Dort befindet sich eine Gedenkstätte für die Todesopfer der Euthanasie in der Nazizeit. Leiterin Sylvia de Pasquale schließt sich der Demonstration an und auch ihr Direktor Axel Drecoll von der Stiftung brandenburgische Gedenkstätten, der extra angereist ist. Aus Potsdam sind die Studis gegen rechts gekommen, aus Berlin Opas und Omas gegen rechts. Den Lautsprecherwagen stellt wie gewohnt der Landesverband der Linken. Bei Parteitagen der Berliner AfD in Jüterbog kam dieser Transporter auch schon zum Einsatz. »Scheiß AfD, scheiß AfD«, dringt ein provozierend fröhliches Lied aus den Boxen. Sein Text besteht nur aus diesen zwei Worten.
Hinter der Demonstration steht ein Bündnis, bei der Polizei angemeldet hat sie der Stadtverordnete Jan Ole Teichmann (Linke). Vom Bahnhof laufen reichlich 350 vor allem junge Leute los. »Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda«, skandieren sie. Unterwegs pöbelt ein Passant, die Demonstranten sollten arbeiten gehen, und ein Radfahrer zeigt den Mittelfinger und ruft: »Pack!« Ein Polizist drängt diesen auf dem Gehweg fahrenden Mann aber zur Seite.
Bei der Zwischenstation Neustädtischer Markt schließen sich noch etliche Familien mit Kindern und weitere Menschen an, darunter die Potsdamer Gleichstellungsbeauftragte Claudia Sprengel mit ihrer kleinen Tochter. Weiter zieht die Demonstration zum Altstädtischen Markt. In einem der Häuser dort unterhält rechts vom Torbogen die AfD ihre Kreisgeschäftsstelle. Der Kreisverband der CDU ist links vom Torbogen zu finden. Bis 2005 hatte die PDS diese Räumlichkeiten gemietet und ist dann umgezogen. Es scheint ein Sinnbild für die politischen Verhältnisse in der Stadt zu sein. Nach einer schweren Niederlage bei der Kommunalwahl 2024 besteht die hiesige Linksfraktion aus lediglich noch drei Köpfen. AfD und CDU sind derweil fast gleichauf vorn und sprechen auch miteinander, wie Linksfraktionschef Kretzschmar erzählt.
Dem AfD-Büro, das vorsorglich von Fahrzeugen der Polizei gedeckt ist, schenken die Demonstranten keine Beachtung. Sie widmen sich verschiedenen rechten Youtubern, die filmend herumschwärmen. Ihnen wird die Sicht immer wieder mit Fahnen und Transparenten verdeckt. Einer dieser Youtuber hat vorher schon bei der AfD im Stahlpalast gefilmt, wo er und seinesgleichen wie sehr gute Freunde empfangen werden.
Kritik an Satzungsänderung
Dass es für die AfD gut laufe, obwohl sie vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft ist und von anderen Parteien noch weitgehend gemieden wird, illustriert AfD-Landtagsfraktionschef Berndt im Stahlpalast an einem Beispiel aus seiner Heimat Golßen. Er hatte Geld für das Stadtfest gespendet. CDU, SPD, Linke und Grüne wollten, dass sein Geld zurückgewiesen wird. Doch in einer Bürgerbefragung haben sich Berndt zufolge 70 Prozent der Einwohner dafür ausgesprochen, die Spende anzunehmen.
Nach Ansicht von Berndt hilft die sogenannte Brandmauer der AfD. Sie treibe seiner Partei alle Unzufriedenen zu und sie schütze gegen die Verlockung, sich für Regierungsposten zu verbiegen. Die Reifeprüfung komme aber erst noch, meint Berndt. Die AfD würde sie bestehen, wenn ihr einmal ernsthafte Koalitonsangebote unterbreitet werden und sie sich weigere, bestimmte Mitglieder auszuschließen, um den Weg für eine Regierungsbeteiligung freizumachen. Regieren will die AfD durchaus und zwar bald, am liebsten mit einer absoluten Mehrheit.
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Der Landesverband zählt inzwischen 3600 Mitglieder und wird bis Ende des Jahres die Marke von 4000 erreichen, wie der Landesvorsitzende René Springer ankündigt. Künftig sollten nach dem Willen des Landesvorstands nicht mehr alle Mitglieder zu Parteitagen eingeladen werden, sondern stattdessen Delegierte bestimmt werden. Das ist einer der Punkte, über die am Samstag gestritten wird.
Gegner der Delegiertenlösung fürchten, die AfD werde damit eine Partei wie alle anderen. Sie verlangen, die Satzungsänderung von der Tagesordnung zu nehmen. Dafür finden sie allerdings keine Mehrheit. Es fällt mit 107 zu 235 Stimmen die Entscheidung, die Satzungsänderung wie vorgesehen zu beraten. Es stimmen dann auch später 54 Prozent der anwesenden Parteimitglieder dafür, künftig Delegierte zu benennen. Doch daraus wird vorerst nichts. Denn für eine Satzungsänderung wäre eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich und die ist klar verfehlt. Es bleibt also bei den gewohnten Gesamtmitgliederversammlungen, zu denen immer einige hundert Männer und Frauen kommen.
CDU will Probleme lösen
Die zweite Oppositionspartei im brandenburgischen Landtag, die CDU, hält am Samstag ebenfalls einen Landesparteitag ab. Sie wählt in Schönefeld ihren Landtagsfraktionschef Jan Redmann für weitere zwei Jahre zum Landesvorsitzenden. Generalsekretär bleibt Gordon Hoffmann. »Wir müssen uns neu erfinden, um die Werte der CDU auch in Zukunft zu bewahren«, erklärt Partei- und Fraktionschef Redmann. »Die CDU Brandenburg wird sich als moderne Volkspartei neu aufstellen, die vor Ort wahrgenommen wird und sich um die Probleme der Leute kümmert.« Redmann nannte die Bahnverbindungen und Dorfkneipen, die es zu erhalten gelte, und die Abschaffung der Grundsteuer für Kleingärten. »Die CDU wird Problemlöser«, sagte er.
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