Was tust du?

Die Kunst der DDR zeigt sich in Jena mit beeindruckender Bildfantasie und Sinnlichkeit

  • Peter Arlt
  • Lesedauer: 4 Min.
Wohin geht die Weltbewegung? Erschöpfte werden geehrt: »Porträt nach Dienst« von Horst Sakulowski, 1976
Wohin geht die Weltbewegung? Erschöpfte werden geehrt: »Porträt nach Dienst« von Horst Sakulowski, 1976

Auf einer Theaterbühne schauspielern Politiker, vom Regiepult aus gesteuert, den »Sieg der absoluten Demokratie«. Das ist eine Karikatur von Eberhard Dietzsch, veröffentlicht 1987 in der DDR. Vom untergegangenen Staat übriggeblieben landet sie in der Gegenwart. Josef Nowinka malte 1975 ein Ölbild zum damaligen staatlichen Ziel der Steigerung der Fleischproduktion, auch das ist karikierend gegen die Massentierhaltung gerichtet und durchaus modern.

Heiter und ernst präsentiert gegenwärtig das Stadtmuseum Jena die Ausstellung »So viel Silber im Grau«, mit Kunst aus fast allen Perioden der DDR, entnommen der städtischen Sammlung und der darin neuerdings befindlichen Prange-Privatsammlung. Kuratiert von Erik Stephan und Manuela Dix ist es eine fulminante Schau mit 465 Werken von 135 Malern, Grafikern und Bildhauern auf zwei Etagen. Als wäre es ein Komprimat der späteren Kunstausstellungen der DDR, bis zu ihrer X. Ausgabe 1987/88 in Dresden, sind Werke zu sehen, an denen ein Millionenpublikum Freude empfand. So viel Zuspruch und Aufmerksamkeit hat die Kunst der damaligen BRD nicht bekommen. Die DDR, gewöhnlich als Gesellschaft in Grau abgewertet, birgt in ihrer Kunst mit ästhetischen und gesellschaftlichen Lichtpunkten tatsächlich, wie im Titel der neuen Ausstellung angedeutet, viel Silber. Die Qualität begeistert auch heute viele Besucher, man trifft auf Studenten, die sich als Fans der Kunst der DDR begreifen.

Künstlerisch eindrucksvoll sind solche staatlich geförderten Grafikmappen: »Um Brot und Frieden«, 1987, von Joachim John, Ronald Paris, Karl-Georg Hirsch, Christine Perthen, Rolf Kuhrt; »Bildnisse. Persönlichkeiten der Arbeiterbewegung«, 1986, darunter der Holzschnitt »Rosa und Karl« von Gudrun Brüne, »Revolutions- und Freiheitslieder«, 1984, mit Lithografien Arno Rinks, in denen der Lustgewinn des ikarischen Aufstiegs ein erotisches Sinnbild findet. Mehrere Holzschnitt-Mappen brachte der befreundete Schwabe HAP Grieshaber höchst preiswert mit dem Leipziger Reclam-Verlag heraus.

Weiterhin ist die Mappe der privaten Galerie am Sachsenplatz Leipzig von 1969 mit Arbeiten von Carlfriedrich Claus zu sehen und die »Grafikkalender«, auch die vom Kunsthandel vertriebenen Grafiken, so von Wolfgang Mattheuer »Der übermütige Sisyphos«,1973, oder »9. Mai 1945, zu Ilja Ehrenburg«, 1984, von Heidrun Hegewald. Weil Grafik kostengünstig war, entstand ein Kunstsammelland DDR. Diese Jenaer Sonderschau zeigt: Eine Sammlung von Kunst der DDR ist ohne Grafik nicht vorstellbar. Und sie zeigt das Manko der gegenwärtigen Kunst, die kaum mehr Bildnisse arbeitender Menschen kennt.

Diese Bilder und Plastiken präsentierten noch in vielfältigen Stilkonzeptionen die menschliche Figur: wie sie sich beim Wettlauf ins Ziel stürzt (Lothar Zitzmann), mit anderen ringt (Bernd Göbel), das Pferd als Partner sieht (Ernemann Sander), an den verstorbenen Partner denkt (Lea Grundig), Erschöpfte nach Dienst ehrt (Horst Sakulowski), im Gespräch Sorgen mitträgt (Gustav Weidanz), den Kopfständler, nicht mit dem Aufständler verwechselt (Baldwin Zettl), als blinder Krieger den Weg sucht (Theo Balden), vom Kreuz geborgen wird (Fritz Keller) oder als Prometheus das Feuer den Göttern entreißt (Fritz Cremer). Tragisch ist der »Weihnachtstraum des unbelehrbaren Soldaten«, ein Ölbild um 1975/77 von Bernhard Heisig, dem der gewünschte Panzer wie ein Alb auf der Brust liegen wird.

Aus dieser fast erdrückenden Menge an Kunst können einzelne Werke leicht übersehen werden. Die kleine Radierung »Mann mit Stützkorsett« (1982) von Jochen Kuhlmann zeigt in Symbolsprache, wie ein Gestütztsein auch als Eingegittertsein empfunden werden kann. Die fürsorgliche Anteilnahme des Staates DDR auch am Künstlerischen war für manche zu beengend und verbiegend und »vormundschaftlich« (Rolf Henrich).

Joachim Kuhlmann ist hierfür ein exemplarischer Fall. Zwar bekam der Künstler ununterbrochen Aufträge, ohne aber Kreatives herauszufordern; stattdessen wurde ihm die Konzeption für die Reliefwand »Lied des Lebens« für Gera mit unerwartetem Affront aus der Hand genommen. Über den Vertrauensbruch, die Ächtung und Ausweglosigkeit führte diese Situation zu seinem Entschluss, das Land zu verlassen. Ohne diesen Schritt gäbe es sein Gesamtkunstwerk Skulpturengarten Darmstadt heute nicht. Trotzdem gewinnt Joachim Kuhlmann, ehemaliger Meisterschüler von Willi Sitte, der kommunistischen Analyse weiterhin vieles ab. Sein Bild »Quo vadis oder was tust du?«, 1979, ist der Schwierigkeit gewidmet, tiefgründig eine gesellschaftliche Weiterbewegung zu erkennen. Dass die Taten dem entsprechen oder entgegengesetzt sind, wird im Bild von den allegorischen Händen gespiegelt: sensibel untersuchend, freundlich ausgestreckt, rechnend, verkrüppelt und zerrissen oder als Faustschlag.

Die Kunst der DDR zeigt sich in Jena in ihrer Vielfalt und Qualität mit beeindruckender Bildfantasie und Sinnlichkeit. Sie wird als ein kostbares Erbe erfahrbar.

»So viel Silber im Grau. Kunst aus der DDR«. Stadtmuseum Jena, Markt 7, bis 16. November, Di–So, 10– 17 Uhr

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