- Kommentare
- Staatliche Unabhängigkeit
Souveränität mit Hindernissen
Palästinas Staatsbildung wird kompliziert. Im Falle Finnlands war das nicht anders
In letzter Zeit wurde viel über die Anerkennung Palästinas als Staat gesprochen. Es wurde jedoch weniger darüber gesagt, was es eigentlich bedeutet, ein anderes Land anzuerkennen.
Es wurde gesagt, dass die Anerkennung eines Palästinenser-Staates im Wesentlichen eine symbolische Geste ohne praktische Bedeutung wäre. Es wurde argumentiert, dass die Zeit nicht reif dafür sei. Oder dass die Anerkennung schwierig oder sogar schädlich sei, weil nicht klar ist, was denn da anerkannt werde. Und nicht zuletzt: Wer tatsächlich die Macht in einem solchen Staat hätte.
Die linke Medienlandschaft in Europa ist nicht groß, aber es gibt sie: ob nun die französische »L’Humanité« oder die schweizerische »Wochenzeitung« (WOZ), ob »Il Manifesto« aus Italien, die luxemburgische »Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek«, die finnische »Kansan Uutiset«, der britische »Morning Star« oder »Naše Pravda« aus Prag. Sie alle beleuchten internationale und nationale Entwicklungen aus einer progressiven Sicht. Mit einer Reihe dieser Medien arbeitet »nd« bereits seit Längerem zusammen – inhaltlich zum Beispiel bei unserem internationalen Jahresrückblick oder der Übernahme von Reportagen und Interviews, technisch bei der Entwicklung unserer Digital-App.
Mit der Kolumne »Die Internationale« gehen wir einen Schritt weiter in dieser Kooperation und veröffentlichen immer freitags in unserer App nd.Digital einen Kommentar aus unseren Partnermedien, der aktuelle Themen unter die Lupe nimmt. Das können Ereignisse aus den jeweiligen Ländern sein wie auch Fragen der »großen Weltpolitik«. Alle Texte unter dasnd.de/international.
Historische Analogien führen oft in die Irre. Aber wenn man über die palästinensischen Bedingungen spricht, um sich »unter die Nationen zu begeben«, ist es nützlich, sich an den Beginn der Unabhängigkeit Finnlands zu erinnern – die alles andere als ein einfacher Prozess war.
Der finnische Unabhängigkeitstag wird am 6. Dezember gefeiert, dem Tag, an dem das Parlament 1917 die Unabhängigkeitserklärung annahm. Zu dieser Zeit war Finnland noch weit entfernt von einer stabilen politischen Ordnung und internationaler Anerkennung. Doch es war ein symbolischer Tag für unsere Identität.
In Schweden, Dänemark, Frankreich und Deutschland wurde damals bezweifelt, dass die Bedingungen für die Unabhängigkeit Finnlands existierten. Es wurde gefordert, dass zunächst Russland den finnischen Staat anerkennen müsse. Die Reaktion des großen Russlands war allerdings zurückhaltend – man wollte nicht den ersten Schritt tun und sich in die inneren Angelegenheiten Finnlands einmischen – also boten wir selbst unsere Hand. Schließlich vollzog das bolschewistische Sowjetrussland, unter der Führung von Lenin, die Anerkennung zum Ende des Jahres 1917 – auch in dem Glauben, dass die sozialistische Revolution bald ausbrechen und Finnland sich wieder an das neue Russland binden würde. Erst nach diesem Schritt folgten die anderen Staaten, die meisten von ihnen, obwohl sie auf eine andere Entwicklungsrichtung als Russland setzten.
»Kansan Uutiset« (Volkszeitung) ist seit August 2020 das Organ des finnischen Linksbündnisses Vasemmistoliitto. Zuvor hat sich das 1957 gegründete Blatt als Stimme verschiedener linker Parteien und Parteienbündnisse in Finnland verstanden. Gedruckt erscheint »KU« seit März 2020 als Monatsmagazin; die Webseite wird allerdings täglich aktualisiert. Schwerpunkte der Berichtserstattung sind insbesondere die innenpolitische Entwicklung in Finnland sowie Aktivitäten der linken Parteien und Kräfte.
»Kansan Uutiset« befand sich ursprünglich im Besitz unter anderem von Gewerkschaften, ist aber heute eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung.
Die Anfänge unserer Unabhängigkeit waren gewalttätig und die Gewaltenteilung recht unterentwickelt. Weniger als einen Monat nach dem Bekenntnis zur Unabhängigkeit brach der Bürgerkrieg aus (zwischen revolutionären Garden und »weißen« bürgerlichen Kräfte, die letztlich die Oberhand gewannen – d. Red.).
Der aktuelle internationale Status von Finnland und Palästina ist sehr unterschiedlich. Palästina wurde von etwa 150 Staaten anerkannt, viele vollzogen den Schritt seit den 1980er Jahren. Anerkannt zu werden ist ein zentrales menschliches, soziales und politisches Bedürfnis. Die Anerkennung bekräftigt das Existenzrecht von Menschen, einer Gruppe von Menschen, einer Identität oder eines Staates. Sie zu verweigern bedeutet, ebendiese Menschen, Identitäten oder Staaten als nicht gleichwertig mit uns anzusehen. Und: Anerkennung setzt das Recht eines anderen voraus, ernst genommen zu werden.
Damit bedeutet Anerkennung im Wesentlichen, dass wir das Leben anderer achten. Ginge dieses verloren, würden wir darum trauern. Was das Leben der Palästinenser betrifft, scheint dies nicht immer der Fall zu sein.
Dieser Text ist am 17. September in unserem Partnermedium »Kansan Uutiset« (Finnland) erschienen. Er wurde nachbearbeitet und gekürzt.
Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen
Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.