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Wo Europas Abtreibungsgesetze am strengsten sind
Trend zur Liberalisierung nicht überall: Finanzielle Hürden und verpflichtende Bedenkzeiten behindern Selbstbestimmung in vielen Ländern
»Kriminalisierung stoppt Abtreibungen nicht – sie macht sie nur weniger sicher«, dies war die zentrale Botschaft von Noemi Grütter, Frauenrechtsexpertin der Schweizer Sektion von Amnesty International, anlässlich der Vorstellung eines Reports über die Rechtslage in Europa in Genf. Der sichere Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen sei eine Frage der öffentlichen Gesundheitsfürsorge und sollte auch so behandelt werden, beschrieb sie die Haltung der Menschenrechtsorganisation.
Von diesem Anspruch sind viele europäische Länder noch weit entfernt, obwohl es in den meisten einen Trend zur Liberalisierung gibt. »Die Daten zeigen deutlich, dass viele europäische Länder ihre Abtreibungsgesetze und -richtlinien kontinuierlich verbessern und an internationale Menschenrechtsstandards sowie Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation anpassen«, erklärte Leah Hoctor. Sie ist die Vizepräsidentin des Center for Reproductive Rights, das diese Woche den Report »Europäische Abtreibungsgesetze 2025 – Politiken, Fortschritte und Herausforderungen« veröffentlicht hat.
»Dennoch stehen in der Region noch immer zu viele Frauen vor unüberwindbaren rechtlichen Hürden, die ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden gefährden«, so Hoctor weiter. Auch finanzielle Hürden, verpflichtende Beratungsgespräche und vorgeschriebene Bedenkzeiten erschweren demnach die Selbstbestimmung in vielen Ländern. Politische Entscheidungsträger könnten den »Safe Abortion Day«, den Internationalen Tag für sichere Schwangerschaftsabbrüche an diesem Sonntag, zum Anlass nehmen, die Lage zu analysieren und sich für Maßnahmen zur Stärkung dieses Rechts einzusetzen, schlägt Hoctor vor.
Deutschland wird im Bericht für die Pflicht zur Teilnahme an »voreingenommenen« Beratungsgesprächen kritisiert – also solchen, die nicht zur sachlich-neutralen Information dienen, sondern mit dem Ziel geführt werden, eine Abtreibung zu verhindern.
In 43 von 49 europäischen Staaten ist Abtreibung in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten legal oder wie in Deutschland zumindest straffrei möglich, ohne dass Ausnahmegründe wie Vergewaltigung, Inzest oder Lebensgefahr für die betroffene Frau vorliegen müssen. Polen, Andorra, Liechtenstein, Malta und Monaco haben dagegen weiterhin sehr restriktive Abtreibungsgesetze. Ausnahmen vom vollständigen Verbot im Fürstentum Andorra, das weniger als 100 000 Einwohner zählt, sind selten und setzen voraus, dass das Leben der Schwangeren direkt bedroht ist.
Das britische Parlament hat hingegen in diesem Jahr eine Gesetzesänderung zur Entkriminalisierung von Abtreibungen auf den Weg gebracht; deren Vollzug gilt als Formsache. In Nordirland erfolgte die Legalisierung 2019. In der Praxis sei Abtreibung auch in Großbritannien weit verbreitet, heißt es in dem Report. Insgesamt 20 europäische Länder hätten in den letzten zehn Jahren Abtreibungsverbote oder Restriktionen aufgehoben. Rückschritte gab es dagegen in Armenien, Georgien, Ungarn, Italien, Moldawien, Polen und Russland.
Trotz Legalisierung oder Straffreiheit in den meisten Ländern Europas erschwerten vielfach Beratungspflichten und Wartezeiten, finanzielle Hürden oder die Notwendigkeit einer »Genehmigung durch Dritte« den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen. In Deutschland muss zumindest eine Bescheinigung über ein Gespräch in einer staatlich anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle vorgelegt werden, das mindestens drei Tage vor dem geplanten Eingriff stattgefunden haben muss.
In der Praxis können genau diese drei Tage »Bedenkzeit« einen legalen Schwangerschaftsabbruch unmöglich machen – denn nicht bei allen Schwangeren bleibt sofort die Periode aus; bei manchen Frauen ist sie ohnehin unregelmäßig – vor allem bei sehr jungen und älteren. Wer eine Schwangerschaft zu spät bemerkt, hat Schwierigkeiten, die vorgeschriebenen Fristen einzuhalten, insbesondere, weil die Zahl der Ärzt*innen, die bereit sind, einen Abbruch vorzunehmen, immer weiter zurückgeht. So müssen Frauen insbesondere im ländlichen Raum Bayerns weite Wege auf sich nehmen und haben Schwierigkeiten, in der gesetzten Frist überhaupt einen Termin zu bekommen.
Wer finanziell in prekären Verhältnissen lebt und nach dem Beratungsgespräch die Kostenübernahme durch das Bundesland klären muss, steht noch mehr unter Zeitdruck. Denn Schwangerschaftsabbrüche ohne schwerwiegenden medizinischen Grund sind keine Kassenleistung; Normalverdienende oder deren Ehepartnerinnen müssen die Kosten selbst tragen.
Als positives Gegenbeispiel gilt die Entwicklung in der Schweiz: Deren Parlament hat in diesem Jahr entschieden, dass ab 2027 die Kosten für Schwangerschaftsabbrüche vollständig von den Krankenkassen übernommen werden müssen. Dabei galt die Alpenrepublik lange Zeit als besonders rückständig: Erst seit 1990 gilt hier in allen Kantonen das Frauenwahlrecht.
Regierende müssten entschlossen handeln, um bestehende Lücken zu schließen und schädliche Hindernisse für den Zugang zu sicheren, bezahlbaren und rechtzeitigen Schwangerschaftsabbrüchen zu beseitigen, forderte Amnesty-Expertin Leah Hoctor bei der Vorstellung des Reports, der übersichtliche »Landkarten« der Rechtslage in Europa enthält.
Deutschland wird darin unter anderem für die Pflicht zur Teilnahme an »voreingenommenen« Beratungsgesprächen (»biased counselling«) kritisiert – also Gesprächen, die nicht zur sachlich-neutralen Information dienen, sondern teilweise mit dem Ziel geführt werden, eine Abtreibung zu verhindern. Dies trifft insgesamt nur auf drei von 16 Ländern mit Beratungspflicht zu – andere bieten Schwangerschaftskonfliktberatung auf freiwilliger Basis an.
Report online: https://reproductiverights.org/wp-content/uploads/2025/09/Europe-Abortion-Laws-2025.pdf
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