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- S-Bahn Berlin
Nach der ersten Sanierungsrunde folgt die zweite
Letzte Fahrgastfahrt der letzten vier noch nicht aufgehübschten S-Bahn-Wagen
Großer Bahnhof in Wannsee. Dutzende Eisenbahnfans warten auf den Bahnsteigen, um das tolle Foto zu schießen oder Video zu drehen. Da fährt das Objekt der Begierde ein: der letzte Vier-Wagen-Zug der S-Bahn-Baureihe 481 in alter Lackierung, der noch im Fahrgasteinsatz steht.
Als S9 geschildert tritt der Zug der Baureihe, die wegen ihrer charakteristischen Frontscheibe von Fans auch Taucherbrille genannt wird, am Dienstagvormittag seine letzte Fahrgastfahrt im alten Kleid an. Bis Schöneweide hält er an jedem Bahnhof und wird ordentlich gefüllt sein. Kein Wunder, ist er doch halb so lang wie reguläre Züge auf der Stadtbahn.
Nicht jedem der regulären Fahrgäste erschließt sich die Besonderheit, sieht der Zug doch aus wie eine stinknormale S-Bahn der mit 1000 Wagen größten Fahrzeugserie. Doch mit seinen grünen Sitzpolstern und dem rot-gelben Farbkleid mit schwarzen Absetzstreifen ist er der Letzte seiner Art. Die modernisierten Wagen haben dunkelblaue Sitze im DB-typischen Würfeldesign, Videoüberwachung und sind außen in etwas helleren Farbtönen lackiert.
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»Sie wirken wie Neuwagen«, sagt Karsten Preißel, Geschäftsführer Produktion der S-Bahn Berlin GmbH. Das sei das, was die Fahrgäste auf den ersten Blick wahrnähmen. Für ihn und letztlich auch die Kunden viel wichtiger: »Die Züge dürfen weiterhin fahren.«
Denn in erster Linie ist das Sanierungs- und Modernisierungsprogramm gestartet worden, damit der S-Bahn nicht die betriebsfähigen Fahrzeuge nach und nach ausgehen. Bekanntlich zieht sich die Ausschreibung für neue Fahrzeuge und den Betrieb von zwei Dritteln des S-Bahn-Netzes seit vielen Jahren.
»Sicherheit steht an erster Stelle im Eisenbahnbetrieb«, sagt Preißel. Die zunehmende Korrosion nagte jedoch an den Wagenkästen. Wenn dann noch die Längsträger unter dem Fahrzeugboden betroffen sind, gefährdet das die komplette Struktur und damit die Sicherheit.
250 Millionen Euro sind in die Sanierung der Fahrzeugserie geflossen. Durchschnittlich rund drei Monate dauert es, bis ein Wagen die Modernisierungskur durchlaufen hat und wieder in den Fahrgasteinsatz kann.
»Das können wir hier alles in unserer Betriebswerkstatt Schöneweide erledigen«, sagt Preißel vor den Toren des Werks, wo die Sonderfahrt endet. Auf dem letzten Stück durften nur noch Eisenbahner und die Medien mitfahren. »Das ist die Besonderheit bei der Berliner S-Bahn. Minuten nach der letzten Fahrgastfahrt können unsere Fahrzeuge bereits in der schweren Instandhaltung sein«, erläutert er.
Erst werden die Wagenkästen mit einem Riesenkran von den Drehgestellen gehoben, dann wird inklusive Türen und Fenster fast alles bis auf den dicken Kabelbaum entfernt und schließlich werden die aufgearbeiteten oder neuen Teile wieder eingebaut.
»Wir haben geliefert im Zeit- und Kostenrahmen«, sagt Preißel. Bis April 2026 sollen die letzten Fahrzeuge der Baureihe wieder im Fahrgasteinsatz stehen. Doch bald steht das nächste Programm an. »Wir haben festgestellt, dass die Verkabelung in absehbarer Zeit erneuert werden muss«, so der Experte. Ummantelungen seien in den Jahrzehnten spröde geworden.
»Als wir das Modernisierungsprogramm 2015 konzipiert hatten, waren wir von einem Einsatz der Züge bis 2029 ausgegangen. Doch inzwischen gehen wir von einem Zeitraum bis 2037 aus«, sagt Preißler. Das liegt am Ausschreibungsdebakel. »Dazu darf ich mich inhaltlich nicht äußern«, sagt er noch.
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