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Das Loch in der Fresdorfer Heide
Mitten in einem Landschaftsschutzgebiet südlich von Berlin soll eine Mülldeponie entstehen. Menschen vor Ort widersetzen sich
»Bis hierhin.« Elisabeth Schroedter deutet auf den Waldboden. Dort, zwischen Grashalmen, herabgefallenen Nadeln und Blättern, ragt ein kleiner, moosbewachsener Grenzstein nur wenige Zentimeter aus dem Boden. Bis hierhin soll die Deponie reichen. Den ganzen Waldweg entlang rage dann anstelle der Kiefern, jungen Traubeneichen und Hainbuchen ein Müllberg auf Höhe der Baumwipfel aus der Landschaft. »So sieht das hier in 30 oder 40 Jahren aus, wenn wir die Deponiepläne nicht durchkreuzen.«
In leuchtend blauer Regenjacke, eine Mappe unter den Arm geklemmt, steht Schroedter im Mischwald der Fresdorfer Heide, ein Landschaftsschutzgebiet rund 15 Kilometer südlich von Potsdam. Kaum jemand kennt es so gut wie sie. Immer wieder zaubert die 66-Jährige Karten und Diagramme aus der Mappe, deutet, erklärt. Sie wolle klarmachen, was hier auf dem Spiel stehe, sagt sie. In den Wäldern lebe ein Wolfsrudel, in der angrenzenden Niederung befinde sich eines der wenigen verbliebenen Übergangsmoore, das Lange Fenn, mit geschützten Amphibien-, Vogel- und Insektenarten.
Mehr als zehn Jahre kämpft Schroedter schon gegen die Erweiterung des bestehenden Kiestagebaus in der Fresdorfer Heide und die anschließende Umwidmung der Grube zur Mineralstoffdeponie. Gemeinsam mit Anwohner*innen aus den Gemeinden Michendorf und Nuthetal hat sie die Bürgerinitiative »Deponie-Nie« gegründet. Mineralstoffe, das höre sich so harmlos an, sagt sie. Geplant ist eine Deponie der Klasse 1, und in einer solchen dürfen auch belastete Abfälle entsorgt werden.
Schroedter kennt das Abfallrecht bis ins Kleingedruckte. Nach der Wende arbeitete sie als Abfallbeauftragte im Umweltamt des damaligen Landkreises Potsdam, später saß sie 20 Jahre für die Grünen im Europäischen Parlament. Eine genaue Aufschlüsselung des vorgesehenen Mülls findet sich im Genehmigungsantrag für die Deponie: Glasfaserabfälle, Industrieschlacken, Bitumen, Klärschlämmen – die Liste ist lang.
Fünf Kilometer von der Grube entfernt residiert Bürgermeisterin Claudia Nowka im modernen, lichtdurchfluteten Rathaus der Gemeinde Michendorf. Ihr machen nicht nur mögliche Schadstoffe Sorgen. Täglich könnten laut Verkehrsgutachten bis zu 250 zusätzliche Laster durch die Ortschaften zwischen Autobahnausfahrt und Grube brettern. Mit der Deponie ginge auch eine erhöhte Waldbrandgefahr einher, sagt Nowka. Die nächste Siedlung sei gerade mal 1500 Meter entfernt.
All das treibe die Menschen in der Gemeinde um, sagt die Bürgermeisterin. Sie lebt schon lange in Michendorf, arbeitete als Kämmerin in der Verwaltung und zog 2019 fürs Bündnis für Michendorf ins Rathaus ein. Bei so einem langen, zähen Kampf könne man leicht die Hoffnung verlieren, sagt sie. Aber sie habe nach wie vor den einstimmigen Auftrag der Gemeindevertretung, »alle rechtlichen und tatsächlichen Schritte zu ergreifen, um eine baldige Renaturierung durchzusetzen und diese Deponie zu verhindern«.
Der Naturschutzbund (Nabu) warnt derweil vor den Folgen für das streng geschützte Moorgebiet Langer Fenn. Das beginnt gerade einmal 20 Meter Luftlinie entfernt von der anvisierten Abbruchkante. »Wenn für die Erweiterung der Kiesgrube Grundwasser abgepumpt und anschließend Regenwasser umgeleitet wird, fehlt dem Moor schlicht das Wasser«, erklärt Christiane Schröder, Landesgeschäftsführerin des Nabu Brandenburg.
Es ist gar nicht so einfach, Fürsprecher*innen für die Deponie zu finden. Sie kenne keine Gemeinde, keine Kommunalpolitiker*innen, die sich öffentlich für dafür aussprechen, sagt Nowka. Auch in der Landespolitik stoßen die Deponiepläne fraktionsübergreifend auf Ablehnung. Und doch ist es inzwischen die einhellige Meinung der Gemeinden, der Naturschutzverbände und auch der Bürgerinitiative: Die Müllhalde ist außergerichtlich kaum noch zu verhindern.
In der Fresdorfer Heide sind nicht nur Vogelstimmen und das Schwirren von Insekten zu hören. Schon zu DDR-Zeiten wurden hier Kies und Sand abgebaut, und bis heute ist das Knirschen der Baggerreifen, die sich durch das Loch mitten in der Fresdorfer Heide schieben, ständiger Begleiter.
Um Kies gehe es aber schon lange nicht mehr, sagt Schroedter. Der sei aufgrund des hohen Lehmgehalts im Untergrund von schlechter Qualität und deshalb ein mäßig ertragreiches Geschäft. Das große Geld stecke im Müll.
Um zu verstehen, was sie meint und warum die Aussicht auf eine Deponie in der Gegend schlechte Erinnerungen weckt, lohnt ein Blick zurück. Es ist der 23. März 2011. Nach vier Prozesstagen am Amtsgericht Potsdam lautete das Urteil: Der Brandenburger Unternehmer Götz Eckert wird zu einer Haftstrafe von 15 Monaten verurteilt – ausgesetzt zu zwei Jahren Bewährung.
Das Gericht befand ihn für schuldig, mit seinem Unternehmen BZR GmbH zwischen 2006 und 2007 mehrere Zehntausend Tonnen Gewerbe- und Industriemüll illegal entsorgt zu haben. 2007 war das Bergbauamt auf die teils offen herumliegenden, teils eingegrabenen Müllberge aufmerksam geworden. Bis heute liegen laut Schroedter noch etwa zwei Drittel des Mülls in der Grube. »Zoom mit der Handykamera mal ganz nah hin«, sagt sie. »Dann siehst du’s glitzern.« Tatsächlich: Zwei offene Geländekanten in der Grube funkeln im Sonnenschein, mit dem bloßen Auge kaum zu erkennen. Das sei der vergrabene Plastikmüll von damals. Und wie es aussieht, bleibt der auch dort.
Als die BZR den DDR-Kiestagebau übernahm, war die Vorgabe, den Abbau bis 2019 zu beenden. Danach sollte das Gelände renaturiert und wieder in das Landschaftsschutzgebiet eingegliedert werden. Statt eines Rückbaus beantragte das Unternehmen parallel zum Müllskandal zwei neue Genehmigungen: einmal, um den Abbau zu verlängern und nach Süden zu erweitern – um weitere 16 Hektar, bis zu jenem überwachsenen Grenzstein. Und zweitens, um die Grube anschließend als Deponie zu nutzen.
Die erste Genehmigung erteilte das Bergbauamt in Cottbus bereits 2023. Die Genehmigung für die Deponie steht noch aus. Eine Entscheidung soll laut dem zuständigen Landesumweltamt im kommenden Jahr getroffen werden.
Die 2023er Genehmigung erlaubt aber nicht nur die Erweiterung, sie hebt auch die Renaturierungspflicht auf. Schroedter: »Das war der einzige Zweck der Genehmigung.« Ohne die Aufhebung der Renaturierungspflicht wäre die Errichtung einer Deponie überhaupt nicht möglich. Und diese Deponie sei ein »Multimillionen-Euro-, vielleicht Milliarden-Euro-Projekt«.
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Ein Blick in die Abfallgebührensatzung des Landkreises Potsdam-Mittelmark unterstreicht: Bei einer Deponiekapazität von fünf Millionen Kubikmetern sind Milliardenumsätze in der Tat realistisch. Der laufende Deponie-Genehmigungsantrag sieht zwar zunächst nur ein Verfüllvolumen von 2,7 Millionen Kubikmetern für die Hälfte der Grube vor, erklärt aber gleichzeitig, dass im Anschluss eine Genehmigung für die zweite Hälfte beantragt werden soll.
Das Entsorgungsunternehmen Remex, die die BZR im Juli 2024 übernommen hat, wollte sich zu den erwarteten Umsätzen nicht äußern. Remex ist Teil von Deutschlands größtem Recycling- und Abfallentsorgungskonzern Remondis, der zur Rethmann-Gruppe mit einem Umsatz von mehr als 24 Milliarden Euro jährlich und mehr als 100 000 Beschäftigten auf fünf Kontinenten gehört. Die Deponie-Pläne in der Fresdorfer Heide verfolgt Remex weiter.
Solange die Grube noch der BZR gehörte, habe es die Hoffnung gegeben, dass das Unternehmen irgendwann – vielleicht als Folge des Gerichtsurteils – pleitegehe und damit der Plan vom Tisch wäre, erklärt Dominik Becker, ein Mitstreiter von Schroedter bei der Initiative Deponie-Nie. »Diese Hoffnung gibt es jetzt nicht mehr.«
Jetzt könne man nur noch auf gerichtliche Entscheidungen hoffen, sagt Michendorfs Bürgermeisterin Claudia Nowka. Derzeit laufen drei Klagen gegen die Genehmigung des Bergbauamtes: eine von der Gemeinde Michendorf, eine von der Nachbargemeinde Nuthetal und eine vom Nabu. Die Gemeinden führen vor allem Verstöße gegen Planungs- und Beteiligungsverfahren und die infrastrukturelle Erschließung ins Feld. Der Nabu verweist auf den besonderen Schutzstatus des Moorgebiets.
»Ein Landschaftsschutzgebiet gehört der Allgemeinheit, und deshalb müssen wir auch weiterkämpfen.«
Elisabeth Schroedter
Bürgerinitiative Deponie-Nie
Bislang gebe es keine Verträglichkeitsprüfung, die nachvollziehbar belege, dass die Erweiterung des Kiestagebaus das Moor nicht gefährde, betont Christiane Schröder vom Nabu. »Genau das schreibt das EU-Recht aber vor.« Die Betreiber müssten nachweisen, dass ihr Projekt sogenannte Flora-Fauna-Habitat-Gebiete nicht beeinträchtige. Warum Behörden vor so einer Prüfung einen Genehmigungsantrag überhaupt annehmen und dann sogar noch eine Genehmigung erteilen, sei unverständlich.
Aber es ist mittlerweile ein Kampf gegen die Zeit: Umweltverfahren dauern nicht selten Jahre, und Remex muss die Urteile nicht abwarten. Die Genehmigung des Bergbauamtes erlaubt den »sofortigen Vollzug« der Erweiterung. Während der letzten Rodungssaison zwischen Oktober und Februar fiel der erste Waldabschnitt. Diesen Herbst und Winter sollen weitere Flächen folgen.
Bleibt noch die ausstehende Genehmigung der Umwandlung in eine Deponie. Elisabeth Schroedter bezweifelt, dass in Brandenburg zusätzliche Lagerkapazitäten für Abfall notwendig sind. In allen Prognosen geht das Landesumweltamt von einer Verdreifachung bis Verfünffachung des Bedarfs für die Deponieklasse 1 zwischen 2020 und 2031 aus. Die Prognosen basierten allerdings auf einer Worst-Case-Betrachtung. Danach müssen gering belastete mineralische Abfälle, die bislang zur Stilllegung von Deponien oder Sicherung und Sanierung von Altablagerungen verwendet wurden, künftig – auch aufgrund strengerer Vorschriften – auf Deponien der Klasse 1 entsorgt werden, teilt ein Sprecher des Umweltamtes mit. Ob die Prognose zutreffe, werde im zweiten Quartal 2026 erstmals erneut überprüft. Ob die Behörde diese Überprüfung abwartet, bevor sie über den Antrag auf Deponiegenehmigung entscheidet, blieb offen.
Damit mitten im Landschaftsschutzgebiet das zweitgrößte Mülldrehkreuz Brandenburgs entsteht, solle selbst Müll aus anderen Bundesländern angekarrt werden, glaubt Schroedter. Das Umweltamt bestätigt, eine »Ablagerung von Abfällen aus anderen Bundesländern« sei grundsätzlich möglich.
Vom Fahrrad aus deutet Schroedter immer wieder auf den Rand der einzigen Zufahrtsstraße zur Kiesgrube. Große Mulden haben die Lkw-Reifen in den Waldboden gegraben. »Die Straße ist schon heute zu schmal für den Lkw-Verkehr.« Bei Gegenverkehr müssen die Lkws in den Wald ausweichen.
Auf dieser Grundlage werde Remex dann für eine neue, breitere Straße werben, befürchtet Schroedter. Stück für Stück werde sich das Unternehmen so in der Fresdorfer Heide ausbreiten. Kurz bevor der Wald endet, bleibt Schroedter noch mal stehen und blickt zurück. »Ein Landschaftsschutzgebiet gehört der Allgemeinheit, und deshalb müssen wir auch weiterkämpfen.«
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