Kapitän über Bord

Ferngesteuerte Schiffe sollen die Zukunft der maritimen Wirtschaft prägen

Ein autonomes Schiff nach den Plänen des Autoherstellers Rolls Royce. Vor Oslo verkehren schon teilferngesteuerte Lkw-Fähren, in Deutschland könnten derlei Schiffe bald Passagiere befördern.
Ein autonomes Schiff nach den Plänen des Autoherstellers Rolls Royce. Vor Oslo verkehren schon teilferngesteuerte Lkw-Fähren, in Deutschland könnten derlei Schiffe bald Passagiere befördern.

Autonomes Fahren ist vielen Menschen unheimlich. Auf der Kieler Förde könnte dennoch ein selbstfahrender Katamaran bald Passagiere befördern. Das Netzwerk für modernere Mobilität in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt arbeitet seit 2020 an dem Projekt. Vor zwei Jahren legte die »MS Wavelab« zum ersten Mal ohne menschliche Hilfe ab. Das 21 Meter lange Forschungsschiff ist mit einem Dutzend Kameras ausgestattet, welche deren Bilder in Echtzeit in das Kontrollzentrum an Land übertragen. Dort erkennt eine neu entwickelte Software eigenständig Hindernisse und die Bedingungen vor Ort, wie Wetter und Wellengang.

Das Kieler Projekt stößt auch in Hamburg auf Interesse. Die Elbe trennt die Großstadt in zwei Teile. Fährverbindungen spielen angesichts überlasteter Straßentunnel und nur weniger Brücken im Alltag vieler Beschäftigter eine wichtige Rolle. Personalengpässe sorgen jedoch dafür, dass Monat für Monat viele Fahrten ausfallen.

Autonom fahrende Fähren sollten hier Abhilfe schaffen, fordern Lokalpolitiker in Harburg, einem Stadtteil südlich der Elbe. Doch die autonome Schifffahrt stecke noch in den Kinderschuhen, warnen die ebenfalls in Harburg aktiven Forscher des Fraunhofer-Centers für Maritime Logistik (CML) vor übereilten Hoffnungen.

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Am Donnerstag endet im Harburger Binnenhafen die zweitägige von CML durchgeführte internationale Konferenz zur autonomen Schifffahrt ICMASS (»Maritime Autonomous Surface Ships«). »Die Fachtagung findet erstmals in Deutschland statt«, freut sich Institutsleiter Carlos Jahn.

Eine neue CML-Studie empfiehlt dort (teil-)autonome Schubverbände, um die Transportkapazitäten des Elbe-Lübeck-Kanals zu steigern. Im Projekt SIM-TWIST geht es um Konzepte für automatisierte Terminals in Häfen, und im Projekt Voice-to-Report wandelt eine »smarte Brille« Bilder und Sprache via Künstlicher Intelligenz in Wartungsberichte über Schiffsantriebe um.

Anfang des Jahres hatte CML zudem die »Vektor« erworben. Ursprünglich als Polizeistreifenboot an der Ostseeküste im Einsatz wird das Schiff zu einer fahrenden Forschungsplattform weiterentwickelt. Schrittweise wird die »Vektor« für den ferngesteuerten und autonomen Betrieb ausgestattet. Mit Unterstützung neuer Informations- und Navigationstechnologien werden Lösungen entwickelt und zukünftig getestet. Die Kosten teilen sich Bund und Hamburg.

Binnenschifffahrt über den Rhein bis nach Basel bildet seit Jahrhunderten das Rückgrat der beiden größten Häfen Europas, Rotterdam und Antwerpen. In den Niederlanden und Belgien ist bei der ferngesteuerten Binnenschifffahrt bereits einiges in der Praxis möglich.

Frachter werden ganz ohne Besatzung aus Antwerpen gesteuert, etwa auf Kanälen in Flandern. In Duisburg hat das belgische Start-up Seafar zusammen mit dem deutschen Marktführer Reederei Deymann ein zweites Kontrollzentrum aufgebaut, um Frachtschiffe zu steuern. Noch ist das Ganze ein Experiment und die Mannschaft bleibt aus Sicherheitsgründen an Bord.

Zukünftig könnte ein Kapitän in einer normalen Acht-Stunden-Schicht an den Computern im Büro arbeiten.

Doch die Hoffnung, dass zukünftig die Technik den Personalmangel in der Branche beheben kann, lebt, ist aus dem Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt zu vernehmen. Vor allem Kapitäne sind rar und die Arbeitszeiten – zwei, drei Wochen an Bord, zwei Wochen zu Hause – sind für Jüngere wenig attraktiv. Zukünftig könnte ein Kapitän stattdessen in einer normalen Acht-Stunden-Schicht an den Computern im Büro arbeiten.

Personell ähnlich angespannt ist die Situation in der Küstenschifffahrt. Vorreiter ist hier Norwegen mit seinen vielen Buchten. Im Oslo-Fjord lässt Asko Maritime zwei teilferngesteuerte Lkw-Fähren mit deutlich reduzierter Besatzung verkehren. Und das in 60 Ländern aktive norwegische Unternehmen Yara testet das wohl erste (teil-)autonom betriebene Küstenfrachtschiff weltweit.

Rationalisierungspotenzial besteht paradoxerweise vor allem in anspruchsvollen Fahrtgebieten. Auf Flüssen, Kanälen und an den Küsten versprechen ferngesteuerte oder zumindest teilautonom fahrende Systeme den Reedereien einen größeren Mehrwert. Die maritime Wirtschaft sucht zwar auch auf hoher See nach ferngesteuerten Lösungen, um der Personalknappheit zu begegnen und die Kosten zu senken. Doch hier liegen die Lösungen eher an Bord, etwa in der rechtzeitigen Wartung der Maschinen.

Offiziere auf der Brücke können die Containerriesen längst per Autopilot über die Weltmeere schippern. Und seit einem Jahrzehnt nutzen Reedereien wie Maersk, MSC oder Hapag-Lloyd »Fleet Support Center«. Das Team an der Hamburger Binnenalster sorgt dafür, dass die Kapitäne der 313 Containerschiffe von Hapag-Lloyd mehr Ladung aufnehmen und »wetteroptimiert« fahren.

Dafür werden Prognosen, beispielsweise zu Sturm, Wellengang oder Strömungen, ausgewertet, Routen und Fahrtgeschwindigkeit entsprechend ferngesteuert – um den Treibstoffverbrauch zu senken. Für den Kauf von Schweröl und Schiffsdiesel gibt Hapag-Lloyd viermal so viel aus wie für ihr Personal. Mehr als zwei Milliarden Euro dürfte die Hamburger Reederei in diesem Jahr für Treibstoffe aufwenden.

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