Urlaub aus dem Überraschungsei

Bei Blind Booking weiß man nicht, wohin der Trip am Ende geht

  • Christian Schreiber
  • Lesedauer: 5 Min.
Wie mit verbundenen Augen auf die Karte tippen: Blind booking
Wie mit verbundenen Augen auf die Karte tippen: Blind booking

Die junge Frau auf Tiktok flippt aus: »I love it, I love it.« Soeben hat sie erfahren, dass ihre nächste Reise nach Neapel geht. Gut, bei Neapel darf man aus dem Häuschen sein. Aber die Freude gilt in diesem Fall nicht nur dem Ferienziel. Was so begeistert und für Jubelstürme sorgt, ist der Überraschungseffekt. Es handelt sich nämlich um einen Blind-Booking-Trip. Man bucht und weiß nur ungefähr, was auf einen zukommt: Strand oder Stadt, Flug oder Zug, Luxus oder Budget. Der Nervenkitzel wird derzeit auf Tiktok in unzähligen Videos dokumentiert. Wir erklären, wie die Sache funktioniert.

Was ist Blind Booking?

Der Reisende bucht online, hat aber nur eine leise Ahnung, wohin der Trip geht. Zunächst setzt man die Präferenzen: Abflug- oder Abfahrtsort, Reisedauer und -zeitraum. Zur Wahl steht in der Regel auch, ob es eine Pauschalreise werden soll, eine Flugreise oder eine Reise mit dem Zug. Auf diese Weise lässt sich das Ergebnis zumindest in eine bestimmte Richtung lenken. Teils ist es auch möglich, aus verschiedenen Kategorien zu wählen: Strandferien, City-Trip, Aktivurlaub. Faustregel: Je mehr Optionen, desto teurer.

Wer bietet Blind Booking an?

Für Fluggesellschaften sind solche Reisen eine gute Möglichkeit, weniger gebuchte Ziele kurzfristig auszulasten. Im deutschsprachigen Raum setzt vor allem Eurowings darauf. Wie bei Austrian Airlines startet der Überraschungsei-Trip dort ab 89 Euro. Lufthansa wirbt mit »Surprise«-Flügen ab 99 Euro. Als Abflughafen lassen sich dabei München oder Frankfurt/Main auswählen; zur Wahl stehen danach neun Reisethemen wie Kunst und Kultur, Shoppen ohne Ende oder Party und Nightlife. Es gibt aber auch Reiseveranstalter wie Travel Secret aus Zürich, die Backpacker-Überraschungsreisen ab 199 Franken ebenso im Programm haben wie den »Platinum-Citytrip« für den etwa dreifachen Preis. Inklusive sind Direktflug, Handgepäck und zwei Hotelnächte. Von Alicante bis Zagreb gibt es rund 60 Ziele. Zu den bekanntesten Plattformen dieser Art in Europa zählen das spanische Waynabox und Blookery aus Deutschland. Wer bei Blookery ab München oder Wien in »Südlichere Regionen« will, bekommt 38 Städte präsentiert und hat die Wahl zwischen »guten« und »gehobeneren Unterkünften«. Man kann auch das Budget festlegen; in diesem Fall startet es bei 600 Euro für zwei Personen. Nach ein bis zwei Stunden erhält man ein Angebot per Mail.

Was kostet der Trip wirklich?

Die Lockpreise gelten nur ohne Ausschlüsse. Das 99-Euro-Angebot der Lufthansa gilt beispielsweise nur, wenn man keine Destination ausschließt. Wer zum Beispiel keinen Bock auf Poznań oder Pisa hat, zahlt in unserem Test rund 40 Prozent mehr. Übrig bleiben in der Kategorie »Einfach sehenswert« dann noch neun Städte.

Das Konzept hinter den Preisen ist undurchsichtig: Mal kostet das Wegklicken einer Destination 5 Euro, mal 20. Sitzplatzreservierungen und aufgegebene Koffer sind extra zu bezahlen, Umbuchungen und Stornierungen sind nicht möglich. Auch beim Schweizer Anbieter Travel Secret steigt der Preis fast mit jedem Klick. Beispiel Hotel: Vier Sterne statt zwei Sterne machen 149 Franken obendrauf. Standardmäßig lassen sich fünf Destinationen ausschließen. Wer 15 abwählen will, ist noch einmal 50 Franken los.

Wo lauern Kostenfallen?

Zielflughafen und Unterkunft liegen unter Umständen weit auseinander. Entsprechende Taxi- oder Transferkosten können das Reisebudget ordentlich belasten. Auch die Art der Verpflegung im Hotel sollte man berücksichtigen: Ist Halbpension inkludiert, nur Frühstück – oder gar nichts?

Gibt es Spartipps?

Es gibt einen Trick, der bedingt funktioniert: Wer die Zielauswahl komplett dem Zufall überlässt, spart Geld. Wenn es aber – wie oben beschrieben – partout nicht Pisa oder Poznań sein sollen, lohnt sich ein Blick auf den Flugplan des Abflughafens. Bestimmte Städte werden nicht jeden Tag angeflogen. Wer seine Buchung entsprechend legt, kann die Destinationen folglich auch ohne Zusatzkosten eingrenzen.

Für wen lohnt sich Blind Booking?

Familien, die in den Sommerferien an den Strand möchten, gehören eher nicht zur Zielgruppe der Überraschungsreisen. Für Blind Booking muss man ziemlich flexibel und abenteuerlustig sein. Zweifelsohne lassen sich Schnäppchen machen. Wer aber am Ende alles aufrechnet, verdirbt sich unter Umständen die Ferienlaune, wenn der Überraschungstrip teurer ausfällt als eine »normale« Buchung im Reisebüro oder online. Es gibt auch Menschen, die schlicht auf den Nervenkitzel stehen, das Ziel nicht zu kennen – und die Überraschung auf Tiktok teilen.

Warum der Hype?

Die Grundidee ist nicht neu. Bereits in den 90er Jahren gab es bei der australischen Fluggesellschaft Qantas ein Konzept namens »Mystery Flights«. Daraufhin erfreuten sich personalisierte Überraschungsreisen vor allem in den USA großer Beliebtheit. Auch an europäischen Flughäfen gab es damals bereits Schalter für derartige Trips.

Wann erfährt man das Reiseziel?

Die Airlines teilen die Destination in der Regel direkt nach der Buchung mit. Die Pauschal-Anbieter agieren ein wenig anders: Nach der Eingrenzung erhält der Gast ein Angebot inklusive Preis und Leistungen. Sobald man die Kreditkarte gezückt hat, wird das Ziel angezeigt. Mittlerweile gibt es auch Old-School-Varianten, bei denen die Destination per Überraschungsbrief vom Postboten überbracht wird. Wer maximale Spannung will, kann einen Countdown aktivieren – und erfährt erst wenige Tage vor Start der Reise, wohin es geht. Das lässt sich dann auch in einem spannenden Tiktok-Video festhalten.

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