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Wer stört hier eigentlich wen im Stadtbild, Herr Merz?
Rameza Monir hält Friedrich Merz' »Stadtbild«-Äußerung für rassistisch
Mit wenigen Worten hat Friedrich Merz (CDU) eine große Frage aufgeworfen: Wer gehört in Deutschland dazu, und wer gilt noch immer als Fremder? Auf einer Pressekonferenz in Potsdam sagte der Bundeskanzler im Zusammenhang mit der Strategie gegen die AfD: »Wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen.«
Diese Aussage stellt die Zugehörigkeit zu Deutschland all jener infrage, die hier geboren sind, hier leben, arbeiten und Steuern zahlen – und trotzdem als »Problem« markiert werden. Worte wie diese sind keine Nebensache, kein Ausrutscher. Sie stehen im Raum, auch wenn sie später nicht im offiziellen Protokoll des Bundespresseamtes auftauchten. Sie sind gehört worden. Und sie wirken.
Menschen mit einer anderen Hautfarbe als »Problem im Stadtbild« zu sehen, ist schlicht Rassismus. So werden Millionen von Menschen in Deutschland verletzt. Mehr noch: Ihnen wird Angst gemacht. Angst, weil sie zeigen, dass Herkunft, Hautfarbe oder religiöse Zugehörigkeit noch immer darüber entscheiden, wer in diesem Land als »deutsch genug« gilt.
Rameza Monir hat Politikwissenschaften und Soziologie im Bachelor studiert. Zur Zeit arbeitet sie als freie Journalistin und ist in der SPD aktiv.
Denn was sollen die Worte »dieses Problem im Stadtbild« heißen? Wer ist gemeint? Menschen mit dunklerer Haut? Frauen mit Kopftuch? Männer mit Bart? Familien, die eine andere Sprache sprechen? Wenn das »Problem im Stadtbild« nach Äußerlichkeiten definiert wird, dann ist das nichts anderes als eine Politik nach Gesichtern und damit eine Absage an das Grundgesetz, das die Gleichheit aller Menschen garantiert.
Nimmt man Merz beim Wort, müssten all jene, deren Aussehen »Unbehagen« verursacht, die Bundesrepublik verlassen. Dann könnten morgen keine Krankenhäuser mehr arbeiten, keine Züge mehr fahren, keine Pflegeheime mehr öffnen. Die Realität ist: Gelungene Integration fällt per definitionem nicht auf. Sie zeigt sich im Alltag – in den Menschen, die längst Teil dieses Landes sind, aber von manchen Politikern immer wieder unsichtbar gemacht werden.
Ich frage mich: Störe ich Sie auch, Herr Merz? Ich laufe schließlich mit einem Kopftuch herum. Bin ich Teil des »Problems im Stadtbild«? Oder bin ich einfach eine Bürgerin dieses Landes, die hier lebt, liebt, arbeitet und hofft, dass ihr Kind in einem Deutschland aufwächst, das Vielfalt nicht als Makel begreift?
Besonders perfide ist, dass Merz’ Worte Beifall von der falschen Seite fanden. Der AfD-Politiker Bernd Baumann postete dazu vier Fotos: betende Muslime vor dem Brandenburger Tor, eine »Happy Ramadan«-Beleuchtung – als Symbol dessen, was Merz angeblich meinte. Wer solche Bilder als »Problem« bezeichnet, entlarvt nicht die Zuwanderung, sondern seine eigene Intoleranz.
Die Bundesregierung versuchte später zu beschwichtigen. Regierungssprecher Stefan Kornelius meinte, es werde »zu viel hineininterpretiert«. Merz habe sich nicht ausgrenzend, sondern ordnungspolitisch geäußert. Doch Sprache schafft Realität. Und wenn der Begriff »Stadtbild« zum Code für Migration, Religion und Hautfarbe wird, dann ist das keine Ordnungspolitik. Das ist Stimmungspolitik. Denn ein Land, das Menschen nach ihrem Äußeren sortiert, verliert nicht sein Stadtbild, sondern sein moralisches Gesicht.
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