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Mit der Menopause alleingelassen
Hitzewallungen, Schlafstörungen, Konzentrationsschwächen – die Wechseljahre stellen viele Frauen vor Herausforderungen
Rund neun Millionen Frauen durchleben aktuell in Deutschland die Wechseljahre. Hormonelle Umstellungen gehören zum Leben. Dennoch hat etwa jede dritte Betroffene so starke Symptome, dass sich diese auf ihre Arbeits- und Leistungsfähigkeit auswirken. Über 30 Wechseljahressymptome sind identifiziert, darunter Herzrhythmusstörungen, Muskel- und Gelenkschmerzen oder Verdauungsstörungen. Manche Symptome kommen so unspezifisch daher, dass nur Fachärztinnen und -ärzte sie mit dem absinkenden Östrogenspiegel in Verbindung bringen. So fühlen sich viele Frauen nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch von der Medizin alleingelassen.
Frauen in der Altersgruppe um die 50 sind oft doppelt belastet, denn sie tragen zusätzlich den Löwenanteil der Pflegetätigkeiten in der eigenen Häuslichkeit. In der Summe entschließen sich viele kürzerzutreten oder geben ihren Job oder Beruf aus Verantwortungsbewusstsein sogar ganz auf. Andere müssen sich krankmelden, weil sie mit »Brain Fog«, den klassischen Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, ihren Beruf nicht mehr ausüben können, weil sie beim Heben starke Blutungen bekommen oder sie wegen starker Schlafstörungen den Schichtdienst nicht mehr durchhalten.
Lang geduldete Diskriminierungen am Arbeitsplatz können Verstärker eines solchen Entschlusses sein. Wie sie sich auch entscheiden: Die strukturelle Ungleichheit hat fast immer negative Auswirkungen auf ihr Arbeitseinkommen, ihre späteren Rentenanwartschaften und die Bildung finanzieller Rücklagen.
Hinzu kommt, dass die Wechseljahre noch immer ein gesellschaftliches Tabuthema sind und die Probleme der Frauen kaum Aufmerksamkeit finden. Dabei haben Arbeitgeber*innen nach dem Allgemeinen Gleichstellungsgesetz die Fürsorgepflicht, Frauen, denen am Arbeitsplatz geschlechtsspezifische Diskriminierung und Benachteiligung drohen, besser zu schützen – auch wenn diese auf die Wechseljahre zurückzuführen und indirekt sind. Vor allem Women of Color, Frauen mit Handicap oder auch trans, nonbinäre und intersexuelle Personen, die ebenfalls unter klimakterischen Beschwerden leiden können, erfahren Mehrfachdiskriminierung.
Laut Statistischem Bundesamt zahlten in Deutschland Ende 2024 mehr als 3,5 Millionen Frauen zwischen 45 und 54 Jahren in die Sozialkassen ein. Arbeitgeber*innen können sich also der Herausforderung nicht entziehen. Doch wie könnte das aussehen?
Im Nationalen Gesundheitsdienst (NHS) Großbritanniens, größter Arbeitgeber des Landes, hat man erkannt, dass es kostengünstiger ist, intensiv in diese Altersgruppe der weiblichen Beschäftigten und in Strukturreformen zu investieren. Zuletzt sollen laut Studien vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels durch wechseljahresbedingte Fehlzeiten jährliche Verluste von umgerechnet fast 300 Millionen Euro entstanden sein. Vor allem die fehlende Unterstützung bei Beschwerden am Arbeitsplatz und die unsensible Personalführung seien für den Rückgang der Produktivität verantwortlich.
Größere Universitäts- und Militärkliniken haben deshalb eigene Beauftragte für Wechseljahres-Angelegenheiten und Gleichstellungsfragen. Die IT wurde umgestellt, um Fehlzeiten besser zu erfassen und Arbeitszeiten anzupassen. Der parteiübergreifende Ausschuss für Frauen und Gleichstellung kämpft zudem für die Einführung eines Menopause-Urlaubs für im NHS beschäftigte Frauen und die Verankerung der Menopause als eigenständigen, geschützten Punkt im Gleichstellungsgesetz.
In Deutschland fehlen arbeitsplatzbezogene nationale Strategien, vor allem mit Blick auf die Effekte von Wechseljahresbeschwerden auf die Rentenanwartschaften von Frauen. Ihnen ist es auch deshalb kaum möglich, ein gleichwertiges Rentenniveau wie das ihrer männlichen Kollegen zu erreichen. Hier braucht es Konzepte. Auch die Karrierechancen und Job-Möglichkeiten für Frauen ab 50 plus sind deutlich geringer.
Die Deutsche Menopause-Gesellschaft (DMG) sieht daher einen erheblichen Nachholbedarf: Besonders in Gesundheitsberufen mit hohem Frauenanteil, Schichtarbeit und einer großen Verantwortung für die Sicherheit von Patient*innen fehle es an systematischen Erhebungen, sagt DMG-Vorständin Annette Bachmann.
Die Leiterin der Abteilung Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin an der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Universitätsmedizin Frankfurt (Main) ist Initiatorin der MenoHealthCare-Studie. Diese startete kürzlich mit einer anonymen Online-Befragung unter beschäftigten Frauen im Gesundheitswesen und soll bis Ende Dezember Aufschluss über die Versorgungssituation und den Informationsbedarf von Frauen in den Wechseljahren geben.
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