Munitionsreste in Sachsen: Feuerlöschen auf einem Pulverfass

Viele brandgefährdete Forstflächen in Sachsen sind mit Munitionsresten belastet – Räumung nur in Ausnahmen

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Waldbrand in der Gohrischheide im Juli konnte wegen der Munitionsbelastung des Gebietes teils nur aus der Distanz bekämpft werden
Der Waldbrand in der Gohrischheide im Juli konnte wegen der Munitionsbelastung des Gebietes teils nur aus der Distanz bekämpft werden

Der Waldbrand im Juli in der sächsischen Gohrischheide war eine Katastrophe von historischen Dimensionen. Das Feuer auf rund 2000 Hektar war nach Angaben von Landesforstpräsident Utz Hempfling »der größte bekannte Brand in der sächsischen Geschichte«. Den an seiner Bekämpfung beteiligten Feuerwehrleuten dürfte er auch aus anderen Gründen lange in Erinnerung bleiben: Sie konnten die Flammen teils nur aus der Ferne bekämpfen, weil der Boden in dem Gebiet stark mit Munition belastet ist und Blindgänger, die in der Hitze explodierten, eine akute Lebensgefahr darstellten.

Ähnliche Gefahren drohen im Freistaat an vielen Stellen. Zwar sei eine »abschließende Angabe« zum Umfang der mit Altmunition belasteten Flächen nicht möglich, erklärte das sächsische Umweltministerium auf Anfrage des Grünen-Abgeordneten Wolfram Günther. Exemplarisch genannt wurde aber neben der Gohrischheide auch die Königsbrücker Heide im Landkreis Bautzen. Beide Areale wurden lange als Truppenübungsplatz genutzt, zuletzt von der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland.

Aufgeführt werden außerdem ein ehemaliges Munitionslager der Wehrmacht im Ottendorfer Wald (Mittelsachsen), der Luftschießplatz Belgern in der Dahlener Heide in Nordsachsen, ein Sprenggelände in Schneise 31 in Altenberg und generell Flächen im Osterzgebirge, auf denen die Wehrmacht im Frühjahr 1945 bei ihrem Rückzug Munition zurückgelassen hatte.

Ein Teil der Flächen wurde in den vergangenen Jahrzehnten beräumt. Allein seit 2012 hätten der Staatsbetrieb Sachsenforst und der Kampfmittel-Räumdienst mehr als 2100 Tonnen alter Munition aus Sachsens Wäldern geborgen. Davon entfielen 323 Tonnen auf den früheren Truppenübungsplatz Zeithain, der Teile der Gohrischheide umfasst, sowie 363 Tonnen auf den Übungsplatz Königswartha. Eine detaillierte Erfassung von »entmunitionierten Flächen« gebe es allerdings nicht, räumte das Ministerium ein.

Die Gefahren, die von im Waldboden befindlichen Munitionsresten ausgehen, sind erheblich. Das Ministerium verweist auf die »latente Gefahr des Austritts der Inhaltsstoffe«, die Böden und Grundwasser verseuchen und »langfristig die Lebensgrundlagen der Bevölkerung zerstören« könnten. Daneben bestehe die »akute Gefahr der Umsetzung«, sprich: von Explosionen, die womöglich Waldbrände auslösen. Im Fall des Brandes in der Gohrischheide ist die Staatsanwaltschaft überzeugt, dass dieser durch die Selbstentzündung von Altmunition ausgelöst wurde.

Die Gefahr besteht jederzeit erneut. In der Gohrischheide war es bereits in den Jahren 2022 und 2023 zu Waldbränden gekommen. Danach seien die betroffenen Flächen »visuell abgesucht« worden, erklärt das Ministerium – freilich ohne durchschlagenden Erfolg: Sie seien weiterhin als »nicht begeh- und befahrbar« eingestuft worden.

Wolfram Günther nennt die Belastung von Waldflächen mit Altmunition einen »großen Risikofaktor« und drängt darauf, ihn in den Blick der Politik zu nehmen. Der Grünen-Politiker, der von 2019 bis 2024 selbst das Umweltressort geführt hatte, fordert einen »strategischen Ansatz der Staatsregierung« und als ersten Schritt dazu eine »umfassende, öffentlich zugängliche Übersicht aller in Sachsen munitionsbelasteten Flächen«. Danach müssten »Handlungsfelder definiert und Prioritäten gesetzt« sowie das notwendige Geld bereitgestellt werden.

Hoffnung, dass die alte Munition großflächig aus dem Waldboden geholt wird, besteht nicht. CDU-Forstminister Georg-Ludwig von Breitenbuch kündigte im MDR zwar an, man wolle »für den nächsten Brand« lernen. Eine Beräumung sei aber allenfalls in »sensiblen Bereichen« und auf »herausgepickten Flächen« möglich. Er nannte künftig anzulegende Brandschneisen etwa am Rand von Siedlungen oder wichtigen Straßen. Hauptgrund sind die immensen Kosten. Nach Angaben von Breitenbuchs kostet die Munitionsbeseitigung eine Million Euro pro Hektar. Allein die Gohrischheide ist insgesamt 2800 Hektar groß. Man werde, erklärt das Ministerium, Munition daher »ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der akuten Gefahrenabwehr« bergen.

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Die Feuerwehren hoffen angesichts dessen wenigstens auf technische Unterstützung. Beim Brand im Juli kamen ferngesteuerte Feuerwehrpanzer aus dem benachbarten Brandenburg zum Einsatz, die auch Explosionen von Blindgängern überstehen würden. Die Anschaffung solcher »Löschroboter« hatten Feuerwehrleute auch für Sachsen gefordert.

In einem Positionspapier, das ein Jahr nach dem großen Waldbrand in der Sächsischen Schweiz 2022 vorgelegt wurde, betonte der Landesfeuerwehrverband, es sei in den nächsten Jahren mit einer »massiven Zunahme an Wald- und Flächenbränden« zu rechnen. Auf die neue Technik warten die Wehren indes bisher vergebens. Die Löschroboter seien, wie Feuerwehrpräsident Gunnar Ullmann im Juli im MDR konstatierte, »der Haushaltssituation zum Opfer gefallen«.

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