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Gaza-Friedensplan: Es ruckelt bei der Umsetzung
Der vor einer Woche verabschiedete Gaza-Friedensplan kommt nur schleppend voran
Im Gazastreifen sind auf Satellitenbildern quadratkilometergroße Trümmerwüsten zu sehen, wo noch vor zwei Jahren lebendige Stadtteile waren. Und mittendrin ringt die Hamas um die Deutungshoheit, geht gegen Kritiker vor, gegen jene, die offen dafür eintreten, dass die Hamas sich entwaffnet, die Kontrolle abgibt. Doch darauf deutet derzeit nichts hin.
Ende September legte US-Präsident Donald Trump einen 20 Punkte-Plan vor, bewarb sich damit gleichzeitig wortreich für den Friedensnobelpreis, obwohl die Nominierungsfrist längst abgelaufen war. Nun, drei Wochen später, ist der Ton demütiger, ein bisschen: Denn die Umsetzung des Plans ruckelt: Hamas-Vertreter erklären, sie würden sich weder entwaffnen noch die Kontrolle abgeben. Auf offener Straße werden Kritiker und Angehörige von Milizen erschossen, die im Konflikt mit der Organisation stehen.
Netanjahus Koalitionspartner will weiter Krieg
Und in Israel grollen die ultrarechten Koalitionspartner von Regierungschef Benjamin Netanjahu: Sie wollen, dass der Krieg weitergeht, die Hamas zerstört wird, die Menschen in ein anderes Land umgesiedelt werden. Immer wieder treffen sich rechte Israelis zu Konferenzen, auf denen über Möglichkeiten gesprochen wird, die israelischen Siedlungen im Gazastreifen wiederaufzubauen. Netanjahu braucht diese Leute, um weiterhin an der Macht zu bleiben, auch wenn der Waffenstillstand selbst mit Unterstützung eines Großteils der Opposition durchs Parlament ging.
Nun hat Trump seinen Vize-Präsidenten JD Vance sowie seinen Nahostgesandten Steve Witkoff nach Israel geschickt. Gegenüber den Medien betonen beide, die Waffenruhe halte besser als erwartet, was die Rückkehr der noch vermissten und wahrscheinlich toten Geiseln betrifft, müsse man Geduld haben: Es brauche Zeit, alle zu finden und zu exhumieren. Netanjahu nutzte die Verzögerungen bereits kurz nach dem offiziellen Beginn der Waffenruhe dazu, den Grenzübergang nach Ägypten für Hilfsgüter zu schließen, was wiederum für die Hamas Anlass war, Israel den Bruch der Vereinbarung vorzuwerfen.
Friedensdeal setzt Ägypten unter Druck
In Ägypten nimmt man die Lage so ernst, dass Präsident Abdel Fattah Al-Sisi Geheimdienstchef Hassan Mahmud Raschad zu einem offiziellen Treffen mit Netanjahu nach Israel schickte; so etwas passiert extrem selten. Der wahrscheinliche Grund: Auch Al-Sisi steht unter Druck. Wie die anderen arabischen Regierungen hat man sich mit der offenen Unterstützung des Deals weit aus dem Fenster gelehnt. Hinzu kommt die angespannte Sicherheitslage auf der Sinai-Halbinsel. Dort bekämpft das ägyptische Militär kriminelle und islamistische Banden. Ägyptische Medien berichteten wiederholt, der Sicherheitsapparat befürchte, dass Hamas-Kämpfer und Funktionäre in die unwegsame Wüstenregion flüchten könnten.
Treffen mit US-Vertetern nicht harmonisch verlaufen
Israelische und US-amerikanische Medien berichten indes, dass die Treffen zwischen Vance, Witkoff und Netanjahu weniger harmonisch verlaufen sind, als es nach außen kommuniziert wird. Denn auch wenn in israelischen Städten wie Tel Aviv oder Jerusalem riesige Banner mit dem Bild Trumps und Danksagungen an ihn zu sehen sind, mehren sich auch in Israels Medien und Politik jene, die die Ansicht vertreten, dass sich der US-Präsident mehr auf den Teller geschaufelt hat, als er essen kann.
»Er hat sich wirklich weit aus dem Fenster gelehnt, wollte gleich den ganz großen Wurf hinlegen«, sagte Boaz Toporowsky, Abgeordneter der größten Oppositionspartei Jesch Atid, dem öffentlich-rechtlichen Sender KAN: »Aber was passiert, wenn die Hamas uns alle vorführt und sich nicht entwaffnet, wie es vereinbart ist? Dann müssen entweder die USA oder wir selbst handeln und auch die arabischen Staaten können sich nicht mehr rausreden. Immerhin haben sie sich hinter die Vereinbarung gestellt.«
Entwaffnung der Hamas sehr schwere Aufgabe
Vance indes stellte Israel während einer Pressekonferenz »neue Allianzen« mit Staaten im Nahen Osten in Aussicht und kündigte an, die Entwaffnung der Hamas sei »eine sehr, sehr schwere Aufgabe«. Warum, das ist ganz klar: Die vergangenen beiden Kriegsjahre gingen auch um die Entwaffnung der Hamas, mit mäßigem Erfolg und katastrophalen Nebenwirkungen. Eine zwangsweise Entwaffnung würde also einen Wiederbeginn des Krieges bedeuten. Am Mittwochnachmittag mutmaßten bereits die ersten Kommentatoren in Israel, dass Vance versuchen könnte, Netanjahu dazu zu bringen, auf diesen Schritt im 20-Punkte-Plan zu verzichten.
Gleichzeitig versuchen auch die arabischen Staaten Druck auf die Hamas auszuüben: Selbstverständlich erwarte man, dass sich die Organisation an die Vereinbarung halte, heißt es in Pressestatements aus nahezu allen Hauptstädten der Region. Denn davon hängt letztlich auch die Gründung eines überlebensfähigen Staates Palästina ab.
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