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Saisonstart im Weltcup in Sölden: Mit Sicherheit ein Risiko
Die Diskussionen über die Gefahren des alpinen Skisports drehen sich zum Saisonstart nur um das Material
Dieser Tage fegt ein Sturm über den Rettenbachgletscher hinweg. Kalt ist es geworden, unten im Tal in Sölden, erst recht oben auf dem Berg. Neuschnee gibt es auch. Gut möglich, dass es beim alpinen Weltcupauftakt an diesem Wochenende nicht nur auf der Skipiste weiß ist, sondern auch im Ötztal ein Hauch Winter zu spüren sein wird. Nicht nur deshalb ist der erneut frühe Saisonstart kein so großes Thema wie in den vergangenen Jahren.
Keine neutralen Athleten
Es gibt ja auch genügend anderen Diskussionsstoff. Und damit ist in erster Linie die Sicherheit gemeint. Ein anderes Thema hat der Internationale Skiverband Fis soeben noch vermieden, weil er sich gegen die Rückkehr russischer und belarussischer Sportler und Sportlerinnen in den Weltcup ausgesprochen hat. Die können sich deshalb auch nicht als sogenannte neutrale Athleten für die Olympischen Winterspiele im Februar in Mailand und Cortina d’Ampezzo qualifizieren.
Die neue Sicherheitsdiskussion hat hingegen schon in der vergangenen Saison begonnen, als sich mit dem französischen Abfahrer Cyprien Sarrazin und Superstar Mikaela Shiffrin gleich zwei aus der absoluten Weltspitze bei Stürzen schwer verletzten. Hinzu kamen ein paar Kreuzbandrisse, die im alpinen Rennsport fast schon üblich sind. Da hatte es unter anderem Rückkehrer Marcel Hirscher und Alexander Schmid erwischt. Während der achtmalige Gesamtweltcupsieger aus Österreich auf den Start in Sölden verzichtet, plant der Deutsche am Sonntag im Riesenslalom sein Comeback.
Stürze, Regeln, Widerstand
Statements zu Verletzungen oder Bilder von Stürzen gehören zu dieser Sportart schon lange wie der Schnee auf der Skipiste. Am Dienstag hat die deutsche Abfahrerin Kira Weidle-Winkelmann ein Video gepostet, wie sie beim Training ins Netz geflogen ist. Sie kam mit einem Nasenbeinbruch glimpflich davon. Ein paar Stunden später meldete der italienische Verband, dass sich die frühere Weltmeisterin Marta Bassino eine Fraktur des Schienbeinkopfes im linken Bein zuzog und somit am Sonnabend nicht im Riesenslalom starten kann.
Nachdem die Fis im Sommer ein paar neue Sicherheitsregeln angekündigt hatte, regte sich Widerstand bei Aktiven und Trainern. Nicht gegen das Tragen von schnittfester Unterwäsche, auch nicht unbedingt gegen die Airbag-Pflicht, wenngleich Karlheinz Waibel, Bundestrainer Wissenschaft im Deutschen Skiverband findet, dass das nicht »der Kern des Problems« sei. Ebenso wenig sind das für ihn jene Karbon-Schienbeinschoner, die nun verboten sind, weil sie die Hebelwirkung verstärken und so eine schnellere Rennlinie ermöglichen. Doch genau diese Einlagen sorgten für Wirbel.
Verbot mit Lücken
Die Fis führte wissenschaftliche Daten an, die »ein erhöhtes Risiko bestätigen«. Christian Schwaiger, Cheftrainer der deutschen Männer, entgegnet, dass es ja nicht nur um »eine Performanceorientierung« gehe, »es ist auch ein gesundheitliches Thema«. Genauer: um die von den harten Skischuhrändern gereizten Schienbeine zu schonen. Gesamtweltcupsieger Marco Odermatt aus der Schweiz hatte viele Jahre mit entzündeten Unterschenkeln zu kämpfen, ehe eine orthopädische Karbonschiene Abhilfe schaffte. Dass er damit gleichzeitig mit noch mehr Zug um die Kurve kam, war ein positiver Nebeneffekt.
Beim deutschen Abfahrer Luis Vogt haben diese Schienen noch einen anderen Vorteil. Der Schaft der Skischuhe sei für den großen Athleten zu kurz, sagt Schwaiger. »Aufgrund seiner Hebel braucht er eine Verlängerung, sonst kann er den Ski nicht halten.« Dass all die Kritik mittlerweile leiser geworden ist, liegt auch an einem Schlupfloch, das die Fis trotz Verbotes ließ. Ist der Schienbeinschutz direkt in den Skischuh integriert, entspricht er den Vorschriften. »Jeder wird versuchen, etwas zu finden«, sagt Schwaiger zu dieser Lücke. Die meisten haben schon was gefunden. Odermatt sprach zuletzt von einer »guten Lösung«, für die sein Ausrüster gesorgt habe.
Falscher Ansatz
Für Waibel sind die neuen Sicherheitsmaßnahmen ohnehin nur Ablenkung. Vielmehr müsse man sich Pistenpräparierung und Kurssetzung anschauen. Um die Vorgabe der Geschwindigkeitskontrolle zu erfüllen, wurden vor allem in den schnellen Disziplinen in den vergangenen Jahren mehr Kurven eingebaut. »Um diese Anforderungen bestmöglich zu bewältigen«, sagt Waibel, müssen die Athleten »aggressives Material« fahren. Seiner Meinung nach rühren viele Verletzungen vor allem daher. Schwaiger pflichtet Waibel bei: »Wenn die Pisten so präpariert und die Kurse so gesteckt sind, dass aggressives Material nicht schneller macht, wird es keiner mehr fahren.«
Beim tödlichen Trainingsunfall von Matteo Franzoso im September in Südamerika spielten die neuen Sicherheitsregeln keine Rolle. Der Italiener rutschte in einer Linkskurve weg, flog durch zwei Sicherheitszäune und prallte mit dem Kopf gegen einen Holzpfosten. Athleten forderten anschließend, die Standards im Training zu erhöhen. Die seien nicht so hoch wie im Rennen, kritisiert Odermatt. Was für Waibel illusorisch ist, »weil das die Verbände nicht bezahlen können«. »Ganz sicher wird unser Training nie sein«, meint Schwaiger. So wie der gesamte alpine Skisport.
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