Seit mehr als 100 Jahren ungewiss

Konkrete Pläne für die Zukunft der Berliner Zentral- und Landesbibliothek lassen auf sich warten

  • Leonie Hertig
  • Lesedauer: 6 Min.
Der Eigentümer der Galeria Kaufhof am Alexanderplatz hat visualisiert, wie die Fassade des Gebäudes aussehen könnte, wenn die ZLB dort einziehen würde.
Der Eigentümer der Galeria Kaufhof am Alexanderplatz hat visualisiert, wie die Fassade des Gebäudes aussehen könnte, wenn die ZLB dort einziehen würde.

Ein passendes Zuhause in Berlin zu finden, ist ein nervenaufreibender und langwieriger Prozess. Umso komplizierter ist es, wenn man die Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB) ist und der Umzug von der Finanzlage des Landes Berlin abhängt. »Die Mauer ist gefallen und das Problem weiterhin nicht gelöst«, kritisiert der regelmäßige Bibliotheksnutzer Herr Rausch am Dienstagabend im »PopUp«-Haus, dem Neubau der Amerika-Gedenkbibliothek (AGB) im Berliner Ortsteil Kreuzberg.

Derzeit ist die ZLB auf den Kreuzberger Standort und auf die Berliner Stadtbibliothek (BStB) in Mitte aufgeteilt. Unter dem Titel »Welche Zukunft hat die ZLB?« sollten Antworten mit Kulturstaatssekretärin Cerstin Richter-Kotowski (CDU) und Generaldirektor Jonas Fansa gefunden werden. Am Eingang des Hauses steht eine Ideenwand, auf der Wünsche für die ZLB gesammelt werden, während Bibliothekar*innen, Rentner*innen und Politiker*innen im Publikum sitzen und der Diskussion lauschen.

»Allen ist klar, dass diese Verteilung auf Standorte und der Zustand der Gebäude eine Lösung erfordern. Und da sind sich mittlerweile auch ganz viele drüber einig«, erklärt Richter-Kotowski den Anwesenden. Doch ob und wie ein neuer Standort gefunden wird, das wird die Zukunft zeigen. Die Frustration über die schwammigen Antworten wird durch wiederholtes Nachfragen aus dem Publikum deutlich. »Man hört seit zehn Jahren das Gleiche«, kritisiert Herr Rausch. Er sei hier, weil er wissen wolle, was jetzt passiert. Schon vor zehn Jahren konnte man sich Sachen ausdenken – auch damals gab es eine Ideenwand.

Der erste Versuch, einen gemeinsamen Standort zu finden, wurde durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen, spätere Versuche scheiterten durch den Fall der Mauer, der den Fokus auf andere Prioritäten setzte, oder den Bürgerentscheid, das Tempelhofer Feld nicht zu bebauen. Die Aufteilung auf zwei Standorte im jetzigen Zustand sei kostenintensiv, sagt ZLB-Direktor Jonas Fansa.

Die neun historischen Gebäude der Stadtbibliothek seien marode, die Instandsetzung genauso kostenintensiv wie der Erwerb und Umbau eines neuen Zuhauses wie die ehemalige Galeries Lafayette. Jedoch machte 2024 Finanzsenator Stefan Evers (CDU) deutlich, dass ein notwendiges Budget von 600 Millionen Euro nicht zur Verfügung stehe. Der langwierige Entscheidungsprozess innerhalb des Landes Berlin führte dazu, dass der Eigentümer der Galeries Lafayettes sich umorientierte. Im Januar 2025 wurde eine Genehmigung erteilt, das Kaufhaus in Büros umzubauen.

Überlegungen, die bestehende AGB vor Ort auszubauen, scheiterten zuletzt 2022. »Wir hatten damals extrem starke Zielkonflikte mit dem Bezirk, mit der Stadtentwicklungsverwaltung und mit der Verkehrsverwaltung über die Frage: Was heißt es, wenn man eine Baumasse wie die ZLB sie braucht, da baut?«, so Fansa. »Wir haben sehr viel Arbeit in diesen Prozess investiert. Am Ende war auch eine große Verzweiflung da, weil der Prozess so schwierig war.«

Stattdessen wurde als Übergangslösung das »PopUp«-Haus gebaut, um der Platznot an der Amerika-Gedenkbibliothek entgegenzuwirken. Auf der Website der ZLB wird dies als Notlösung beschrieben. Denn beide Bibliotheksgebäude der ZLB sind seit Langem überlastet. Die AGB, die ursprünglich für 500 tägliche Gäste entworfen wurde, wird heutzutage von 3000 Menschen pro Tag besucht. »Die Bibliothek wird von Menschen dringend und essenziell gebraucht«, so Fansa. »Viele Jugendliche benutzen die Gruppenarbeitsräume, da es für sie schwierig ist, zu Hause zu arbeiten. Für sie spielt die Bibliothek eine große Rolle.« Die bestehende Übernutzung sei bereits jetzt am Klima innerhalb der Bibliothek wie auch an den Sanitäranlagen zu bemerken, so Fansa.

Statt eines Umzugs hat die ZLB sowohl 2025 als auch im Haushaltsplan für die folgenden zwei Jahre mit Kürzungen zu kämpfen. Ein 2,2-Millionen-Euro-Defizit bedeutet den Abbau von zehn Prozent aller Personalstellen in den nächsten fünf Jahren. »Das führt dazu, dass wir Serviceeinschränkungen haben; zum Beispiel haben wir in den Abendstunden schon eine Stunde kürzer geöffnet. Das wird sich zum Jahreswechsel noch mal verstärken, und wir werden noch mal eine Stunde abschneiden. Entweder morgens oder abends«, so Fansa. Neben den Kürzungen des Landes Berlin würden die gestiegenen Kosten für Dienstleister und Betriebskosten erstmals nicht vom Land übernommen, so Fansa.

Währenddessen wird die Suche nach einem neuen zentralen Ort weitergeführt. Der Ort müsse für eine Bibliothek geeignet sein, um die Fläche effektiv nutzen zu können. Und die Leute müssten das Gebäude lieben und sich damit identifizieren, so Fansa. »Ein Gebäude, wo sie hereingehen und denken: Wow, das ist alles meins.«

In Fansas Augen sind Zentrale Landesbibliotheken unverzichtbar. »Die Menschen brauchen das – es ist großartig, das unsere Zivilgesellschaft sich so etwas leistet.« Denn Bibliotheken würden einen breiten Querschnitt der Bevölkerung bespielen. Fansa erinnert während des Gesprächs daran, dass insbesondere öffentliche Bibliotheken Menschen jeden Alters, aller Haltungen und Hintergründe erreichen. Die Rolle der Bibliotheken als Third Place, als sogenannter dritter Ort, wo die Gesellschaft zusammenkomme, sei wichtig für Austausch und Zufallsbegegnungen.

»Es ist ein Möglichkeitsraum, der ihnen alles vor die Füße legt«, so Fansa. »Hier begegnen sich Menschen, die sich normalerweise nur im öffentlichen Nahverkehr begegnen würden. Gerade in Zeiten, wo unsere sozialen Blasen schwer zu durchdringen sind und Spaltungen in unserer Gesellschaft diagnostiziert werden, ist es wichtig, solche Orte zu haben, wo die Stadtgesellschaft verschmilzt«, mahnt Fansa.

»Ich glaube, dass ein neuer Standort dazu beitragen kann, dass Menschen die Schlagkraft von Bibliotheken und den Wert des gesellschaftlichen Zusammenhalts entdecken.«

Jonas Fansa 
Generaldirektor der Zentral-
und Landesbibliothek

Kulturstaatssekretärin Richter-Kotowski stimmt dem ZLB-Direktor Fansa darin zu, dass Bibliotheken weiterentwickelt werden müssen. Jedoch sei das im politischen Geschehen eine Herausforderung. »Immer sind neue Prioritäten und andere Zwänge da, die auch zu neuen Planungen führen müssen.« Daher könne sie nichts sagen, auch wenn sie es gerne tun würde. In Bezug auf gescheiterte Pläne, wie der Unterbringung der ZLB in der Galeries Lafayettes sagt sie, es mache keinen Sinn zurückzugehen. »Ich sage jetzt mal ganz platt, das Geld muss so oder so her. Die Haushaltslage des Landes Berlin ist jetzt nicht so üppig. Das hat Herr Fansa mit den Einsparungen bereits geschildert.«

Fansa betont, er sei froh, wie sehr sich die Kommunikation zwischen dem Senat und der ZLB verbessert habe, auch wenn die Haushaltslage »Mist« sei. »Die Gespräche für den kommenden Doppelhaushalt haben sich verbessert, nachdem diese im letzten Winter extrem chaotisch geführt wurden. Wir haben wieder eine andere Art der Kommunikation gefunden«, so Fansa.

Für die nächsten fünf Jahre liege ihm am Herzen, Bibliotheken mehr in der Gesellschaft zu verankern. »Ich glaube, dass auch ein neuer Standort dazu beitragen kann, dass die Menschen die Schlagkraft von Bibliotheken und den Wert des gesellschaftlichen Zusammenhalts entdecken werden.« Er wünsche sich von der Politik, dass sie ihre Hand schützend über das Medienbudget der digitalen und physischen Medien halten werde. Neben verkürzten Öffnungszeiten mussten bereits 2025 Veranstaltungsformate signifikant reduziert werden. Derartige Maßnahmen müssten auch in den kommenden zwei Jahren fortgeführt werden.

Derweil wünscht sich der Berliner Senat, dass die Zentral- und Landesbibliothek in ein umgebautes Galeria-Warenhaus am Alexanderplatz zieht. Medienberichten zufolge habe sich der Eigentümer offen für die Pläne gezeigt. Demnach soll auch ZLB-Generaldirektor Jonas Fansa Chancen in einem Umzug an den Alexanderplatz sehen.

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