Koffer voller Spiele

220 000 Menschen lockt die Spielemesse derzeit nach Essen

Auch Klassiker wie »Die Siedler von Catan« gibt es bei der Messe in Essen. Am Freitagabend ist ein Weltrekord mit 1100 Spieler*innen geplant.
Auch Klassiker wie »Die Siedler von Catan« gibt es bei der Messe in Essen. Am Freitagabend ist ein Weltrekord mit 1100 Spieler*innen geplant.

Die Essener Messe »Spiel« ist am Donnerstagmittag gerade mal zwei Stunden alt, da hockt Morten schon zwischen zwei Messehallen und puzzelt Spiele, die er in dutzenden Tüten neben sich liegen hat, in einen großen Rollkoffer. Der Mittdreißiger ist extra aus Norwegen ins Ruhrgebiet gereist. Weil es bei der Messe »viele Spiele günstiger und früher gibt, als sie in Norwegen ankommen«. In Mortens Koffer finden sich größere Kartons genauso wie kleine Kartenspiele. Manches sieht martialisch aus, manches kindgerecht. Auf die Frage, wie viel er so spielt, zückt der Norweger sein Telefon und zeigt eine App, in der er erfasst, wie viel und mit wem er spielt. Dieses Jahr war »schlecht«, sagt er, erst 88 Spiele. Morten zeigt die Statistik aus dem vergangenen Jahr, da hat er über 130 verschiedene Spiele gespielt. Er strahlt, berichtet von langen Spielnächten draußen im Sommer. Auch seine Spielpartner erfasst er. Am meisten spielt er mit seiner Frau, an zweiter Stelle mit seinem Sohn, der neun Jahre alt ist. An dritter Stelle sind Freunde, mit denen er versucht, einmal die Woche zu spielen. Das erklärt auch die unterschiedlichen Spiele in seinem Koffer.

Den Koffer will Morten am Donnerstagmittag ins Hotel bringen, ausladen, um dann zurück zur Messe zu gehen. Er hat ein Auto mit »einem großen Kofferraum«, erzählt er. Auf der Messe hat er noch viel vor, er zeigt eine mehrseitige ausgedruckte Liste, in der er Spiele farblich markiert hat. Die einen will er auf jeden Fall kaufen, die anderen erst mal anschauen und nach Möglichkeit ausprobieren.

Ausprobieren, darum geht es wohl den meisten Besucher*innen der »Spiel«. Zu den Messeständen der Verlage gehören zahllose Tische, an denen Neuheiten gespielt werden können. Meist ist eine Person vom Verlag dabei, die Regeln erklärt und auf Besonderheiten aufmerksam macht. Besonders begehrt sind Spielrunden mit Autor*innen und Entwickler*innen der Spiele. Und danach wird dann gerne auch eingekauft. Das schlägt sich auch in Zahlen nieder, sowohl für die Messe als auch für die Branche. In Essen sind es dieses Jahr zum ersten Mal sieben Hallen, die für »Spiel« geöffnet werden. Die Veranstalter vom Merz-Verlag rechnen mit einem neuen Besucherrekord und über 220 000 Besucher*innen. Die gesamte Branche kann sich derzeit nicht beklagen. Statista geht in diesem Jahr von einem Umsatz in Höhe von 400 Millionen Euro aus. Zum Vergleich: 2019 waren es erst 263 Millionen Euro. Spieleverlage e. V., der Zusammenschluss der führenden Spieleverlage im deutschsprachigen Raum, hat zum Start der Messe aktuelle Zahlen veröffentlicht: »Während die gesamte Spielwarenbranche von Januar bis Mitte September 2025 ein Plus von vier Prozent erzielte, baute die Warengruppe Spiele und Puzzle mit einem Wachstum von 18 Prozent ihre Position im Spielwarenmarkt weiter aus. Damit stieg sie zur umsatzstärksten Kategorie im Markt auf.« Die Verlage blicken optimistisch auf das Weihnachtsgeschäft und rechnen zum Großteil mit besseren Verkaufszahlen als im vergangenen Jahr. Auch international hätten deutsche Spiele einen guten Ruf.

Manches verkauft sich fast zu gut. Eine Erweiterung für »Seti: Auf der Suche nach außerirdischem Leben« ist am Donnerstagmittag schon ausverkauft. Verwunderlich ist das nicht, am Mittwoch war bekanntgegeben worden, dass »Seti« den »Deutschen Spielepreis« in diesem Jahr gewonnen hat. Die Auszeichnung wird jedes Jahr vor Beginn der Essener Messe verliehen. Grundlage ist eine Online-Abstimmung. Der »Spielepreis« ist nicht zu verwechseln mit der Auszeichnung »Spiel des Jahres«.

In der »Brettspielgarderobe« können Messebesucher*innen ihr Gepäck zwischenlagern lassen. Viele machen davon umfangreich Gebrauch.
In der »Brettspielgarderobe« können Messebesucher*innen ihr Gepäck zwischenlagern lassen. Viele machen davon umfangreich Gebrauch.

Über Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Preise sprachen in Essen Christoph Schlewinski und Robin de Cleur. Schlewinski ist Spielejournalist und Mitglied in der Jury, die den Preis »Spiel des Jahres« vergibt. Robin de Cleur ist Kommunikationschef der Messe »Spiel« und damit auch für den »Deutschen Spielepreis« verantwortlich. Dass es bei ihnen keine Jury gebe, sie einen »demokratische Preis« verliehen, sei der größte Unterschied zwischen den Preisen, sagt de Cleur. Im Detail gibt es mehr Unterschiede, das wird im Gespräch zwischen den beiden Spieleexperten deutlich. Schlewinski erzählt etwa davon, wie sich die 14-köpfige Jury jedes Frühjahr zum »Konklave« in einem Hotel einschließt. Das sei »immer ein intensiver, emotionaler Prozess«. Am Ende des Wochenendes sei man »echt durch«. Schlewinski sieht außerdem einen weiteren, wichtigen Unterschied zwischen den Preisen. »Seti«, sagt er, sei nichts für den Preis des »Spiel des Jahres« gewesen, weil es zu kompliziert sei. Anspruch sei es, dass auch Menschen, die »mit Spielen völlig unberührt sind«, etwas mit den Gewinnern anfangen könnten. Der »Deutsche Spielepreis« sei ein Votum der Community. Das mache beide Preise »so wertvoll«.

Wirtschaftlich ist der seit 1976 vergebene Preis für das »Spiel des Jahres« eindeutig der wichtigere. Das Logo des Preises auf der Verpackung garantiert eine gute Platzierung im Handel. Aber auch der »Deutsche Spielepreis« gewinnt nach Robin de Cleurs Angaben an Relevanz. Auch sein Logo wird gerne auf Verpackungen gedruckt und Gewinner werden vom Handel geordert.

Warum kauft man kofferweise Spiele bei einer Messe oder lässt sie sich für viel Geld, auch das ist ein Service der Messe, um die halbe Welt hinterherschicken? Auf diese Frage hat Christoph Schlewinski eine ebenso schöne, wie einfache Antwort: »Jedes Spiel hat die Möglichkeit, ein absolutes, neues Lieblingsspiel zu werden.«

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