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Frauenschicksal
Taylor Swift singt über Ophelia, leider nicht ohne Missverständnisse
Die Milliardärin Taylor Swift, die sich nicht allein allergrößter Beliebtheit erfreut, sondern erstaunlicherweise auch zu den langweiligsten Erscheinungen der gegenwärtigen Popmusik zählt, hat dieser Tage ein neues Album veröffentlicht: »The Life of a Showgirl«. Die erste ausgekoppelte Single trägt den Titel »The Fate of Ophelia« – das Schicksal von Ophelia. Ein erwartbarer Erfolg.
Für das Musikvideo setzt sich Swift selbst als die Ophelia in Szene, wie sie Friedrich Heyser um 1900 mit Öl auf Leinwand gemalt hat: als bezaubernd schöne Wasserleiche. So hängt sie heute im Museum Wiesbaden – wohin die Swifties, wie die Anhängerscharen des Sternchens genannt werden, nun pilgern. Da, möchte man anerkennend feststellen, nimmt eine ihren bürgerlichen Bildungsauftrag ernst und schickt die Teenager endlich ins Museum. Aber ganz genau weiß natürlich auch Taylor Swift nicht darüber Bescheid, was sich zugetragen hat im »Hamlet« des Genossen Shakespeare.
Wie es euch gefällt: Alle zwei Wochen schreibt Erik Zielke über große Tragödien, politisches Schmierentheater und die Narren aus Vergangenheit und Gegenwart. Inspiration findet er bei seinem Genossen aus Stratford-upon-Avon.
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Hatte der Dänenprinz, gehörig mit sich selbst beschäftigt, die junge Frau in den Wahnsinn und schließlich in den Freitod getrieben, ist in der Balla-Balla-Popwelt mit rosa-feministischem Anstrich natürlich alles anders. Im Video bewegen sich eine schwer überschaubare Anzahl von Tänzerinnen breit grinsend mit Rettungsringen in der Hand. Viele Opfer kennt die Tragödie um Hamlet; Ophelia ist das berühmteste, gerichtet durch einen Mann, den sie liebste. »Hamlet« ist kein Märchen, sondern Abbild einer am Abgrund stehenden Gesellschaft, patriarchalische Schrecken eingeschlossen.
Taylor Swift sorgt für die musikalisch eingängige (und etwas einschläfernde) Gegenerzählung: Wenn nur der richtige Prinz kommt, nicht der Langzeitstudent aus Wittenberg, dann wird schon alles gut. Er wird sie retten vor dem Schicksal der Ophelia. Das ist offenbar Männersache.
Die Swifties ergötzen sich nun an den Spekulationen darüber, welcher Verflossene von Frau Swift ein chauvinistischer Hamlet war und ob nicht ihr derzeitiger Liebster ein heldengleicher Anti-Hamlet sein könnte. Hier wird also Tiefsinn behauptet, wo der Boulevard regiert.
Was soll man auch erwarten von dieser Vorarbeiterin aus den Untiefen der Kulturindustrie? Als ihr großes politisches Verdienst gilt unter ihren Millionen Fans, dass sie sich im vergangenen Jahr nach wochenlanger Überlegung für die Wahl von Kamala Harris stark gemacht hatte. In Zeiten, in denen es offenbar eine bemerkenswerte Leistung ist, sich nicht für den frauenfeindlichen Halbfaschisten an der Spitze der Vereinigten Staaten von Amerika ausgesprochen zu haben, gilt eine halbseidene Schmonzette wie »The Fate of Ophelia« bereits als feministische Hymne.
Es steht zu befürchten, dass der Star im Glitzer-Outfit sich derzeit größerer Beliebtheit erfreut als der ehrenwerte William Shakespeare. Da ist es immerhin beruhigend zu wissen, dass Taylor Swift in 100 Jahren vergessen ist und »Hamlet« immer noch über die Bühne geht. Natürlich ohne Happy End.
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