Lawrows Vorstoß und das Schweigen des Westens

Wolfgang Hübner über eine in Nato und EU ignorierte Initiative Russlands

Hat eine Nichtangriffsgarantie zwischen Russland und Westeuropa vorgeschlagen: Außenminister Sergej Lawrow
Hat eine Nichtangriffsgarantie zwischen Russland und Westeuropa vorgeschlagen: Außenminister Sergej Lawrow

Seit Längerem geistert durch die politische Debatte Westeuropas, auch Deutschlands ein Gespenst: das Gespenst eines russischen Überfalls auf einen Nato-Mitgliedsstaat. Szenarien werden entworfen, Jahreszahlen werden behauptet – all das dient in erster Linie zur Begründung einer gigantischen Aufrüstung.

Nun stößt die russische Propagandamaschine durchaus martialische Drohungen in Richtung Westeuropa aus. Der Putin-Vertraute Dmitri Medwejew sowie diverse russische Internet- und Fernsehinfluencer gefallen sich in teils wüster Kraftmeierei. Allerdings sollten kluge Politiker zwischen dem Getöse von Medwedjew und Co. für das einheimische russische Publikum einerseits und ernstzunehmenden, diskutablen Positionen andererseits zu unterscheiden wissen.

Insofern ist das beredte Schweigen bezeichnend und verstörend, mit dem der Westen nun schon seit Tagen ein Angebot des russischen Außenministers Sergej Lawrow übergeht. »Wir haben mehrmals gesagt, dass wir nicht die Absicht hatten und haben, irgendein derzeitiges Nato- oder EU-Mitglied anzugreifen«, hatte Lawrow bei einem Sicherheitsforum in Minsk erklärt und vorgeschlagen, Sicherheitsgarantien »für diesen Teil Eurasiens« zu vereinbaren. Die Reaktionen in Deutschland bisher: eine schmallippige Ablehnung durch eine Regierungssprecherin und ansonsten weitgehende Ignoranz.

Es gibt in diesen Kriegszeiten – angesichts des seit dreieinhalb Jahren andauernden Tötens in der Ukraine mit Interessenten und Hintermännern auf beiden Seiten der Front, aber auch angesichts der wahnwitzigen Rüstungsprogramme hier und dort – genügend Anlass zum Misstrauen. Gerade deshalb aber wäre es wichtig, Initiativen wie die von Lawrow wenigstens zu prüfen, statt sie einfach zu ignorieren. Mit aller Vorsicht gewiss, aber eben auch in der Hoffnung, hier vielleicht einen Weg zur Deeskalation eröffnen zu können. Die Lage ist längst viel zu ernst, der Ukraine-Krieg längst eine viel zu große globale Gefahr, als dass man fahrlässig irgendeine noch so kleine Möglichkeit der Verständigung verstreichen lassen dürfte. Auf Lawrow einfach gar nicht zu reagieren, ist eine fahrlässige Form von Arbeitsverweigerung.

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