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Band für Mut und Verständigung: Unerschrocken für Vielfalt
Hudhaifa Al-Mashhadani und CSD Oberhavel mit Band für Mut und Verständigung ausgezeichnet
In einer Berliner Koranschule mussten die Mädchen Kopftücher tragen. Der aus Bagdad stammende Hudhaifa Al-Mashhadani griff in die eigene Tasche und finanzierte für zunächst 73 Mädchen und dann noch viel mehr Kinder eine Möglichkeit, Arabisch ohne einen solchen Zwang zu lernen. Al-Mashhadani ist Rektor der im Bezirk Neukölln ansässigen deutsch-arabischen Schule »Ibn Khaldun«. Sie verwendet für den Sprachunterricht extra in Frankreich gedruckte Bücher, die nicht von Koranzitaten durchsetzt sind. Denn sie ist eine weltliche Schule. Alle 35 Mitstreiter engagieren sich hier wie Rektor Al-Mashhadani ehrenamtlich.
Islamisten gilt Al-Mashhadani als Feind. Es hat immer wieder ernstzunehmende Morddrohungen gegen den Politikwissenschaftler gegeben, der mit einem Rabbiner befreundet ist und Kontakte zur jüdischen Gemeinde pflegt. Für sein dennoch unbeirrbares Handeln bekommt Al-Mashhadani am Mittwochabend einen der beiden Hauptpreise, als im Roten Rathaus das Band für Mut und Verständigung verliehen wird.
Die Urkunde überreicht der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und zeigt sich dabei »zutiefst beeindruckt« vom Wirken des Rektors. Es sei ihm eine Ehre, hier neben Al-Mashhadani stehen zu dürfen, sagt Wegner.
Den zweiten Hauptpreis erhält die CSD-Initiative Oberhavel. Der in der Linken aktive und bei der CSD-Initiative mit der Organisationsleitung betraute Candy Boldt-Händel nimmt die Ehrung gemeinsam mit Susanne Reissig vom Kreisjugendring entgegen. Seit drei Jahren gibt es in der Stadt Oranienburg einen Christopher Street Day, bei dem Schwule, Lesben und andere queere Menschen feiern und für ihre Rechte demonstrieren. Sie wollen sich nicht verstecken.
»Bunt ist viel schöner als grau, vor allem aber viel schöner als braun.«
Kai Wegner Regierender Bürgermeister
Auch viele andere Einwohner Oranienburgs ziehen aus Solidarität mit ihnen durch die Straßen der Stadt, in der einst die SS im KZ Sachsenhausen und in seinem Außenlager Klinkerwerk homosexuelle Häftlinge quälte und ermordete.
Doch ausgerechnet in Oranienburg, das so eine Geschichte hat, bedrängten im vergangenen Jahr Neonazis den Umzug und skandierten: »Es gibt kein Recht auf Homo-Propaganda!« Am Abend wurde dann auch noch eine Person überfallen und schwer verletzt.
In diesem Lichte betrachtet erbittert es Candy Boldt-Händel, dass Parlamentspräsidentin Julia Klöckner (CDU) dieses Jahr verbot, wie gewohnt zum Berliner CSD Regenbogenflaggen am Bundestag zu hissen. Am Roten Rathaus hat sich ihr Parteifreund Kai Wegner jedoch nicht davon abhalten lassen, die Fahne wehen zu lassen, die laut Candy Boldt-Händel ein Symbol von Liebe, Frieden und Vielfalt ist. Es war Wegner nach eigenem Bekunden selbstverständlich und diesmal auch ein besonderes Zeichen.
»Wir sind Kinder dieser Erde«, singt Emily Intsiful, eine Deutsche mit ghanaischen und liberianischen Wurzeln, zu Beginn der Veranstaltung im Festsaal des Rathauses. Begleitet wird sie von dem ecuadorianisch-peruanischen Schlagzeuger David Millán und der queeren Gitarristin Lucy Liebe. Die drei rühren ihr Publikum bei mehreren Einlagen zu Tränen, bewegen die Zuhörer am Ende zum Mitklatschen und Mitsingen.
»Wow, was für ein schöner Auftakt«, schwärmt gleich gegen 18 Uhr auch der Regierende Bürgermeister. »Berlin ist die Stadt der Freiheit, der Vielfalt, der Toleranz«, rühmt er. Antisemitismus, Rassismus und jede Form von Gewalt passten eigentlich nicht hierher. Doch leider gebe es auf den Straßen der Hauptstadt und in ihrem Umland noch Ausgrenzung, Hass und Hetze. Dem müssten sich die Demokraten entgegenstellen und zeigen: »Wir sind mehr!« Die Preisträger seien Beispiele für mutiges Handeln.
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Wegner lernt bei der Preisverleihung auch Aryan Ashory aus Neuruppin kennen. »Ich lebe seit fünf Jahren in Deutschland«, berichtet die junge Frau. Sie habe hier mit der Note 2,0 Abitur gemacht und nun einen Studienplatz bekommen – allerdings lange keinen Job, mit dem sie sich ein wenig Geld verdienen konnte. Woran das gelegen hat? An dem Kopftuch, das sie trägt? Ashory zerbrach sich immer wieder den Kopf über diese Frage. Auch der Regierende Bürgermeister gerät nun ins Nachdenken. Bei allen Problemen bei der Integration müsste die Politik mehr über gelungene Beispiele sprechen, findet er. Es gebe Vorbilder wie Aryan Ashory und auch viele in der Kultur und im Sport. »Bunt ist viel schöner als grau, vor allem aber viel schöner als braun«, sagt Kai Wegner, der einst noch als Oppositionspolitiker nach Silvesterkrawallen die Vornamen der Tatverdächtigen erfahren wollte. Seine Partei meinte, es seien sicher lauter Mohammeds und Alis und kein Peter oder Hans, was sich dann allerdings als Trugschluss herausstellte.
Bei CDU-Parteitagen und dergleichen Gelegenheiten schlägt Wegner andere Töne an als Ashory gegenüber. Es ist ihm jedoch anzurechnen, dass er sich gemäßigt hat, seit er Stadtoberhaupt geworden ist. Am Mittwochabend verliert er kein einziges Wort, das man ihm ankreiden könnte. Das war vor zwei Jahren schon genauso, als er erstmals als Regierender Bürgermeister die Bänder für Mut und Verständigung verlieh. Dazu kommt es seit mehr als drei Jahrzehnten immer abwechselnd im Berliner Roten Rathaus und in der Potsdamer Staatskanzlei.
Sonderpreise erhalten am Mittwoch Ines Stürmer, die sich seit 2014 im Bezirk Pankow um Geflüchtete kümmert, und der Verein AHA, der bereits seit 1974 in Berlin akiv ist, sich in den 80er Jahren dem Thema Aids widmete und in den 90er Jahren der ersehnten gleichgeschlechtlichen Ehe – und der sich immer gegen Diskriminierung stark machte. Ebenfalls mit einem Sonderpreis geehrt wird das Bernauer Netzwerk für Weltoffenheit.
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