Friedhofsruhe in Tansania

Bevölkerung ist über die Repression nach den Wahlen geschockt

  • Kerstin Fuchs
  • Lesedauer: 6 Min.
Die tansanische Polizei greift während einer Demonstration in Kigoma am 30. Oktober 2025 einen Tag nach den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen zu Wasserwerfern.
Die tansanische Polizei greift während einer Demonstration in Kigoma am 30. Oktober 2025 einen Tag nach den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen zu Wasserwerfern.

Die Straßen Tansanias sind noch immer voll behängt mit den grünen Plakaten der Regierungspartei CCM und dem Konterfei der Präsidentin Samia Suhulu Hassan. Der Verkehr fließt, die Läden und Tankstellen sind geöffnet, das Internet ist zumindest teilweise wieder geöffnet. Bei einer oberflächlichen Betrachtung scheint kaum etwas auf die brutalen Ereignisse der vergangenen Tage hinzudeuten. Schaut man jedoch in die Gesichter der Passanten, vermisst man die sonst übliche Freundlichkeit, kann stattdessen eine große Besorgnis erkennen, auch die Schultern scheinen von einer schweren Last nach unten gedrückt. Ein Großteil der Bevölkerung ist tief traumatisiert von den Ereignissen um die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am 29. Oktober, die Nation gespalten und immer wieder begegnet einem der Satz: »Das Tansania, das es einmal gab, existiert nicht mehr.«

Bereits vor den Wahlen kam es zu massiven Manipulationen, um politische Konkurrenz auszuschalten. Die größte Oppositionspartei Chadema war sowohl von den Präsidentschafts- als auch den Parlamentswahlen ausgeschlossen worden, bei der zweitgrößten Oppositionspartei ACT wurde »nur« der Präsidentschaftskandidat nicht zur Wahl zugelassen. Der Weg für einen Wahlsieg Samias und ihrer Partei schien geebnet, die weiteren Oppositionsparteien schienen nicht relevant. Doch die Kampagne der Chadema-Partei »no reforms no elections«, die zum Wahlboykott aufforderte, verfing immer mehr – keine Reformen, keine Wahlen. Unterstützt wurde diese von tansanischen Influencer*innen, die über ihre Social-Media-Kanäle nicht nur die Wahlverweigerung propagierten, sondern auch zu Protesten aufriefen.

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Offensichtliche Wahlfälschungen

Dass es zu Manipulationen auch direkt am Wahltag kommen würde, wurde von niemandem mehr infrage gestellt. Die informellen Berichte der freiwilligen Wahlbeobachter*innen aus Zivilgesellschaft und Parteien zeichneten ein erschreckendes Bild. Die Wahlfälschungen waren so offensichtlich, es schien sich nicht mal mehr die Mühe gemacht worden sein, diese zu verheimlichen. Prall gefüllte Wahlurnen in leeren Wahllokalen bereits in den frühen Morgenstunden, um nur ein Beispiel zu nennen. Das offiziell verkündete Wahlergebnis von 97,66 Prozent, bei 86 Prozent Wahlbeteiligung, also 31,9 Millionen Menschen, die Samia ihre Stimme gegeben haben sollen, verwunderte keinen meiner vielen Gesprächspartner*innen mehr.

Die Proteste um die Wahlen wurden brutal niedergeschlagen und die gegenwärtige Devise ist die schnellstmögliche Rückkehr zur Normalität. Dies ist die staatlich verordnete Botschaft, die Samia während ihrer Vereidigung zur Präsidentin Tansanias am 3. November verkündete. Kein Wort über die tausenden Toten und unzähligen Verletzten. Keine Erwähnung eines möglichen Versöhnungsprozesses, keine Geste in Richtung Opposition, dafür der Dank an die Bevölkerung für das entgegengebrachte Vertrauen zu ihrer Wiederwahl. Die Absurdität der Inszenierung ist schwer zu überbieten, zeigt sie doch klar die eingeschlagene Richtung für die Zukunft. Das Narrativ der Verantwortung für die Proteste ist bereits gestrickt. Tansania will sich weiter als friedliches Land präsentieren, insofern handelt es sich laut staatlichen Aussagen um eine Beeinflussung von außen.

In der Tat ist die tansanische Gesellschaft recht ungeübt in derlei Protesten, politisch hält man sich überwiegend zurück. Wie groß musste also der Druck und die Wut sein, für die eigenen Rechte auf die Straße zu gehen. Die ersten Demonstrationen begannen bereits am späten Vormittag des Wahltages. Sie richteten sich gegen die Wahllokale und weiteten sich dann gezielt gegen Eigentum von CCM-Mitgliedern und deren Unterstützer*innen sowie staatliche Einrichtungen aus. Die Antwort von Polizei und Militär war prompt, schien gut vorbereitet und unerwartet brutal. Neben dem Einsatz von gepanzerten Militärfahrzeugen und Tränengas wurde vor allem auch scharf geschossen. Nach Augenzeugenberichten verloren mehrere hundert Demonstranten ihr Leben. Es traf Menschen, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren, wie Bekannte berichteten. Darunter sind Adam, 37 Jahre, der sich am 30. Oktober mit Essen versorgen wollte und auf dem Weg erschossen wurde, Victor, 43, der am 29. Oktober vor seine Tür trat, um herauszufinden, was in seiner Straße los ist und beim Hinausschauen erschossen wurde. Godfrey, der Motorrad-Taxifahrer, der eine Kundin nach Hause fahren wollte, damit sie sich vor den Unruhen in Sicherheit bringen konnte, wurde am 29. Oktober durch einen Streifschuss in den Arm seiner Kundin tödlich in den Oberkörper getroffen.

Einschüchterung von potenziellen Zeugen

Noch immer haben nicht alle Familien Zugang zu den toten Körpern ihrer Angehörigen, um ein würdiges Begräbnis durchzuführen. Viele Tote werden wohl nicht aufgefunden werden, es gibt bereits Hinweise auf anonyme Massengräber. Viele Menschen sind schwer traumatisiert, weil Polizei und Militär bei Einbruch der Dunkelheit durch die Straßen zog und mit Schüssen in die Luft und auch auf Häuser die Leute von den Straßen fernhalten wollten.

Nichts davon soll an die Öffentlichkeit dringen. Es gibt immer mehr Berichte, dass die Polizei in Häuser eindringt und auf Handys nach Bildern sucht, die als Beweis für das brutale Vorgehen dienen könnten. Schussverletzte, die sich in Krankenhäuser zur Behandlung begeben hatten, wurden nach ihrer Entlassung direkt in Gefängnisse gebracht, wo ihnen auch unter Folter gedroht wurde, keinesfalls als Zeug*innen aufzutreten. Per SMS wurden alle Bewohner*innen darüber informiert, dass das Verbreiten von Gewaltbildern einer Straftat entspricht.

Auch die verbliebenen Mutigen aus der Opposition fürchten um ihr Leben. Immer mehr werden unter schweren Anklagen wie Terrorismus verhaftet, wie jüngst John Heche, der stellvertretende Chadema-Vorsitzende. Die Bevölkerung ist massiv verängstigt und eingeschüchtert, das Vertrauen in den Staat und die Politik ist zutiefst erschüttert. Es besteht kaum noch Hoffnung auf eine Demokratisierung des Landes, die Regierung scheint sich in eine Sackgasse manövriert zu haben, die nur noch ein schärferes Vorgehen gegen jegliche Form der Kritik zulässt. Ob es unter diesen Umständen zu einer Auseinandersetzung innerhalb der CCM zu Reformprozessen kommen kann, scheint mehr als fraglich. Kritische CCM-Mitglieder scheinen entweder korrumpiert, eingeschüchtert oder aus dem Weg geschafft, wie der jüngste Fall um Humphrey Polepole zeigte – von dem ehemaligen Abgeordneten gibt es weiterhin kein Lebenszeichen. Der Weg zur Rückkehr in ein Rechtsstaatssystem unter dieser Führung scheint ausgeschlossen. Alles scheint auf ein restriktives »Weiter so« gegen jegliche Form von Kritik und Opposition ausgerichtet.

Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Bevölkerung weiterhin gegen dieses System aufbegehren wird. Immer wieder kommt es zu vereinzelten Protesten und weitere Aufrufe werden bereits wieder in den sozialen Medien geteilt. Es fühlt sich an wie die Ruhe vor dem nächsten Sturm. Unklar ist, wann der ausbrechen wird.

Die Instabilität Tansanias hat regionale Auswirkungen. Die umgebenden Nachbarstaaten wie Uganda, Ruanda, Burundi, aber auch Sambia sind von einer funktionierenden Infrastruktur und den Häfen Tansanias abhängig. Bisher schauen alle gebannt nach Dodoma, Tansanias Hauptstadt, ohne auf Mäßigung und Rechtsstaatlichkeit zu drängen.

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