- Wirtschaft und Umwelt
- Klimakonferenz COP 30
Lisa Badum: »Um jedes Zehntelgrad zu kämpfen, ist alternativlos«
Am Montag beginnt in Brasilien der Weltklimagipfel COP 30
Frau Badum, als Präsident Luiz Inácio Lula da Silva 2022 auf dem Weltklimagipfel in Scharm el Scheikh die Welt nach Brasilien einlud, hofften alle auf einen großen Schub für den Klimaschutz. Jetzt geht es auf der COP 30 in Belem vor allem darum, die Klimaverhandlungen am Leben zu erhalten. Was ist da in der Welt passiert?
Die Klimakonferenzen finden seit vielen Jahren in schwierigem Umfeld statt. Die USA sind zum zweiten Mal aus dem Pariser Abkommen ausgetreten. Autoritäre Staaten richteten die letzten Weltklimatreffen aus. Insofern haben wir immer mit dem zu ringen, was überhaupt möglich ist. Gut ist dieses Jahr, dass eine ambitionierte Demokratie die Konferenz ausrichtet. Brasilien will ernsthaft Waldschutz betreiben und kann Strahlkraft für ganz Lateinamerika entwickeln. Schlecht ist, dass die Europäische Union nicht als klimapolitisches Zugpferd nach Belém fährt. Das lag auch an gravierenden Fehlern der Bundesregierung. Ich kann mir schon vorstellen, dass es gute Beschlüsse zum Waldschutz geben wird und eine Roadmap für den fossilen Ausstieg. Bei der Klimafinanzierung sehe ich bisher noch wenig Bewegung. Insgesamt wird sich die Weltklimakonferenz als Format in den nächsten Jahren verändern müssen, weil das Pariser Abkommen nun größtenteils »ausverhandelt« ist. Für dessen Umsetzung wird aber weiter eine multilaterale Zusammenarbeit benötigt. Dafür sind Klimakonferenzen das beste Forum.
Klimagipfel ja – aber nicht in der heutigen tradierten Form mit bis zu 60 000 Teilnehmenden?
Genau, die Klimakonferenzen sollten sich zukünftig stärker fokussieren, denn sie sollten kein Ort sein, an dem sich auch die fossile Lobby und andere themenferne Akteure tummeln. Wichtig ist, dass weiterhin Menschen aus dem Globalen Süden teilnehmen und sich Aktivist*innen und politisch Handelnde weltweit vernetzen können. Auch halte ich die sehr vielen Themenstränge für verwirrend. Ein klarer Fokus auf ein Thema, das die ganze Konferenz durchzieht, wäre wünschenswert. Hier hat für mich der globale fossile Ausstieg Priorität Nummer 1. Für die Beseitigung der großen Ungerechtigkeiten bei der öffentlichen und privaten sowohl Entwicklungs- als auch Klimafinanzierung zwischen
Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern braucht es zudem ein stärkeres Einbeziehen anderer UN-Institutionen und der Weltbank, die in diesem Bereich noch größere Durchschlagskraft haben als die UN-Klimarahmenkonvention.
Lisa Badum ist studierte Politikwissenschaftlerin und langjährige Bürgerenergiepolitikerin. Sie ist seit 2017 Bundestagsabgeordnete der Grünen und gegenwärtig klimapolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion.
Aus den Klimaverpflichtungen der Länder, den sogenannten NDC, errechnete das Klimasekretariat, die Emissionen würden bis 2035 um etwa zehn Prozent sinken. Das ist nicht nur zu wenig – es ist auch nicht klar, wann der globale Emissions-Peak erreicht wird. Wo stehen wir bei der so entscheidenden Reduktion der Treibhausgase?
Wir haben das 1,5-Grad-Limit zum ersten Mal dauerhaft für zwölf Monate überschritten. Zwar wird sich der CO2-Ausstoß in diesem Jahr weltweit im Vergleich zum letzten Jahr nicht erhöhen, massiv abgenommen hat aber die Leistung von Ozeanen, Wäldern, Mooren und anderen Formen der Landnutzung als CO2-Senke. Das untermauert den so wichtigen Zusammenhang zum natürlichem Klimaschutz, der sich auch bei der diesjährigen COP mit dem Schwerpunkt Waldschutz zeigt. Vor der Zeit der Klimakonferenzen war die Welt noch auf einem Pfad mit vier Grad Erwärmung. Ohne die Anstrengungen der Klimadiplomatie sähe alles noch viel düsterer aus. Positiv ist auch, dass die Emissionen Chinas inzwischen erstmals sinken. Dieser Trend wird sich dank des Solarbooms in den nächsten Jahren verstärken. Dennoch rasen wir gerade weiter in den Klimakollaps. Aber es gibt keine Alternative, als weiter um jedes Zehntelgrad Minderung zu kämpfen.
Für einen der weltweit größten Emittenten, die Europäische Union, beschlossen deren Umweltminister vergangene Woche die Verpflichtung, die CO2-Emissionen bis 2035 um 66,25 bis 72,5 Prozent zu senken. Wie bewerten Sie den Beschluss?
Es ist das erste Mal, dass die EU einen Klimaplan mit einer Zielrange, also einem Korridor, einreicht, anstatt eine klare Zielmarke vorzugeben. Die Botschaft an unsere Partnerländer ist ziemlich klar: Europa kann und will sich nicht festlegen. Das ist fatal und wird uns in Belém auf die Füße fallen. So sieht keine Führungsstärke aus. Zu verdanken haben wir das auch Bundeskanzler Friedrich Merz. Er hat mit seiner mutwilligen Blockade des 2040-Ziels im September den vielen Verwässerungen Tür und Tor geöffnet, die jetzt so kurz vor der COP 30 im Umweltrat beschlossen wurden. Der diplomatische und klimaaußenpolitische Schaden, der dadurch entstanden ist, wird uns noch lange nachhängen. Sofern der Kanzler es dabei belässt, wird dieses unsägliche Manöver Teil von Merz’ Vermächtnis werden.
Welche Rolle spielte der deutsche Umweltminister Carsten Schneider beim Zustandekommen des europäischen Klimaplans mit »Korridor«?
Ich persönlich war bei den Verhandlungen nicht dabei – ich gehe aber nicht davon aus, dass es hilfreich war, dass Deutschland den Beschluss zum Klimaziel mit hinausgezögert hat. Ich schätze Carsten Schneider für seine Rhetorik, aber wo ist er in dieser Regierung und wo kann er sich durchsetzen? Wo bleibt überhaupt die Priorität der SPD für die Klimakrise?
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Klima-Optimisten verweisen auf das schnelle Wachstum der erneuerbaren Energien in der Welt. Davon hat das Klima aber nicht viel, solange die fossile Verbrennung nicht wirklich zurückgeht. Wie kann das gelingen?
Der europäische Emissionshandel zeigt es beispielhaft: Mit der Zeit sind die Kohlekraftwerke unrentabel geworden. Und genau das wird das Schicksal der Kohlekraft in vielen Entwicklungsländern sein, selbst wenn es dort noch keine CO2-Bepreisung gibt. Gerade dort zwingen die Störungsanfälligkeit, die hohen Kosten des fossilen Systems, die ständigen Stromausfälle und Reparaturen immer mehr Staaten dazu, umzudenken. Natürlich braucht es dann auch ein intelligentes dezentrales System als Alternative. Was die Öl- und Gaslobby angeht, so muss Schluss sein mit den staatlichen Subventionen und Geschenken. Wir brauchen außerdem eine fossile Übergewinnsteuer. Es darf nicht mehr rentabel sein, die Menschheit zu verpesten und krankzumachen.
Der Weltklimagipfel startete mit dem World Climate Summit. Dort wurde mit dem TFFF ein neues Instrument aufgelegt, um mit Hilfe der Finanzmärkte den Schutz der Tropenwälder voranzubringen. Wie lautet Ihr Urteil über den neuen Waldfonds?
Alles, was dazu beiträgt, die Entwaldung zu stoppen, ist sinnvoll. Die vorgesehene langfristige Anlage des Geldes und die Planbarkeit für die nächsten Jahre sind dafür neue und wichtige Ansätze. Wir sehen, dass die bisherigen kurzfristigen Förderprogramme für den Waldschutz nicht den gewünschten Erfolg gebracht haben. Natürlich wird es beim TFFF auf die Gestaltung im Detail ankommen – und darauf, dass genügend Mittel hineinfließen. Die sollten auch – aber nicht nur – aus Deutschland kommen.
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