In Peru kracht es wegen einer Rentenreform

Die Regierung wollte die Peruaner zur Einzahlung in private Rentenkassen zwingen. Für Millionen Menschen ist das unbezahlbar

  • Hildegard Willer
  • Lesedauer: 3 Min.
Taucht auch in Südamerika auf: die Totenkopffahne aus dem japanischen Anime »One Piece«.
Taucht auch in Südamerika auf: die Totenkopffahne aus dem japanischen Anime »One Piece«.

In Peru machte die sogenannte Generation Z zum ersten Mal Mitte September auf sich aufmerksam. Eine im Parlament geplante Reform der Rentenkassen erzürnte die jungen Menschen. Danach sollten auch unabhängig Beschäftigte einen Teil ihres Lohns obligatorisch in eine der privaten Rentenkassen einbezahlen. 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung sind in Peru informell beschäftigt, ohne jegliche soziale Absicherung. Bei umgerechnet 253 Euro Mindestlohn bleibt nichts zum Sparen übrig. Nach den Protesten zogen die Abgeordneten ihren Pensionskassenentwurf zurück.

Die Generation Z begehrt auf

Auf drei Kontinenten haben in den vergangenen Monaten Angehörige der »Generation Z«, also Menschen im Alter zwischen 15 und 30 Jahren, rebelliert. In Nepal und Madagaskar wurden Regierungen gestürzt. In Marokko, Kenia, Peru und auf den Philippinen haben die Bewegungen die Gesellschaft ordentlich durchgerüttelt. Vielerorts tauchten Motive des japanischen Animes »One Piece« (unter anderem die Piratenflagge) auf den Kundgebungen auf, fast überall spielten soziale Medien eine Schlüsselrolle bei der Mobilisierung. Musikclips bei Tiktok waren wichtiger als politische Reden.
Die Protestbewegungen bezeichnen sich oft selbst als »apolitisch«, womit sie sich vor allem von den Parteien distanzieren wollen. Angeprangert werden fast überall ausufernde Korruption und schlechte Regierungspolitik. Doch dahinter verbirgt sich eine grundsätzlichere Kritik: Die Protestierenden empören sich über wachsende soziale Ungleichheit, staatliche Repression, Polizeigewalt, kaputtgesparte Krankenhäuser, teure Prestigeobjekte und Femizide.
Zwar verflüchtigen sich die Protestbewegungen in der Regel so schnell wieder, wie sie entstanden sind. Doch es bleibt bemerkenswert, dass weltweit Proteste mit ähnlichen Forderungen und gemeinsamen Symbolen entstehen.

Der Protest war der Funken, der die jungen Menschen auf die Straße brachte. Doch in Peru gibt es viele Gründe für Protest. Seit Monaten legen Busfahrer und Händler immer wieder den Verkehr lahm. Sie fordern damit vom Staat die Bekämpfung der sprunghaft ansteigenden Kriminalität. Vor allem selbständige Busfahrer, Taxifahrer und Kleingewerbetreibende leiden unter einer Welle von Schutzgelderpressungen. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, erschießen Auftragsmörder immer wieder Busfahrer und Straßenhändler.

Einer der Gründe für die Zunahme der Kriminalität liegt paradoxerweise im Kongress. Die gewählten Volksvertreter aus 14 Wahlbündnissen gehen jeweils unterschiedliche Koalitionen ein und wirtschaften vor allem in die eigene Tasche. Einige stehen im Sold illegaler Wirtschaftssektoren, zu deren Gunsten sie immer wieder Gesetze erlassen.

Präsidentin Dina Boluarte war eine Marionette dieses Parlaments. Der Kongress ließ sie im Oktober fallen, nachdem Auftragsmörder fünf Menschen während des Konzertes einer bekannten Cumbia-Band erschossen hatten. Ins Amt gekommen war Boluarte als Vizepräsidentin des vom Kongress abgesetzten Pedro Castillo. Bei Pro-Castillo-Demonstrationen Ende 2022/Anfang 2023 hatten Polizei und Militär 50 Demonstranten erschossen. Dina Boluarte übernahm dafür nie die Verantwortung.

Nachfolger wurde turnusgemäß der 38-jährige Parlamentspräsident José Jerí, von dem die meisten Peruaner allenfalls gehört hatten, weil eine Anklage wegen Vergewaltigung gegen ihn vorlag.

Die Proteste der Gen Z am 15. Oktober, also wenige Tage nach der Amtseinsetzung von Jerí, richteten sich denn auch in erster Linie gegen das Parlament, für mehr und effektivere Kriminalitätsbekämpfung und gegen Korruption. Auf Plakaten war auch der Held des japanischen Animes »One Piece« zu sehen, der zu einem internationalen Symbol der Gen-Z-Proteste geworden ist.

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Die Polizei griff hart durch. Es gab rund 100 Verletzte aufseiten der Demonstranten und 80 aufseiten der Polizei. Der 32-jährige Rapper Eduardo Ruiz wurde von einem Polizisten erschossen, sein Mörder steht unter Polizeiarrest. Seitdem sind die Proteste abgeflaut. Der neue Präsident Jerí geht bei der Kriminalitätsbekämpfung – dem Hauptanliegen der meisten Peruaner – klüger und öffentlichkeitswirksamer vor als seine Vorgängerin.

Im April 2026 wählen die Peruaner ein neues Parlament und einen neuen Präsidenten. Bisher haben sich 40 Parteien eingeschrieben. Dass in Peru alle noch lebenden Präsidenten der letzten 20 Jahre in Haft oder wegen Korruption vor Gericht stehen, schreckt viele davon ab, in die Politik zu gehen. Übrig bleiben die Glücksritter, die in ihren fünf Jahren im Parlament so viel mitnehmen, wie sie nur können. Die Gen Z wird kaum die Kraft haben, dieses von innen zerfressene System zu erneuern.

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