»Kriegsfibel« von Brecht: Unser bittern Stund ...

Brechts »Kriegsfibel« ist in siebter Neuauflage erschienen

Das bittere Ende – verraten und verheizt in einem Krieg, der nicht der ihre war.
Das bittere Ende – verraten und verheizt in einem Krieg, der nicht der ihre war.

»Was macht ihr, Brüder?«/ »Einen Eisenwagen.«/ »Und was aus diesen Platten dicht daneben?«/ »Geschosse, die durch Eisenwände schlagen.«/ »Und warum all das, Brüder?«/ »Um zu leben.« Um zu leben? Das zweite Foto in Brechts berühmter »Kriegsfibel« zeigt deutsche Stahlarbeiter. Man denkt unwillkürlich an die Görlitzer Waggonbauer, die jetzt Panzer herstellen sollen. Und denen eingeredet wird, sie sollten froh sein, ihre Arbeitsplätze nicht zu verlieren.

Das vor 70 Jahren erstmals erschienene, anklagende, antimilitaristische Werk des Dichters, vertrieben aus seiner Heimat von nach Weltmacht strebenden Kriegssüchtigen, strahlt eine grausam-aktuelle Botschaft aus. Es liest sich wie ein Kommentar zum Abschluss dieser kriegsertüchtigenden Woche, mit einem medial-martialisch, trommelnd und pfeifend begleitenden neuen Wehrdienstgesetz und scheinheiligem Tschingderassabum zum 70. der Bundeswehr.

»Ihr Leute, wenn ihr einen sagen hört/ Er habe nun ein großes Reich zerstört/ In achtzehn Tagen, fragt, wo ich geblieben:/ Ich war dabei und lebte davon sieben.« Brechts Bemerkung zum Überfall auf Polen, in nicht einmal drei Wochen besiegt, unterworfen, okkupiert. Deutscher »Blitzkrieg«, der auch gen Westen gelang. Und in Russland scheiterte. Ein deutscher Soldat im Lazarett, Verband über den Augen. Brecht hierzu

: »Vor Moskau, Mensch, gabst du dein Augenlicht./ O blinder Mensch, jetzt wirst du es verstehn./ Der Irreführer kriegte Moskau nicht./ Hätt er’s gekriegt, hättst du es nicht gesehn.« Deutsche Stahlhelme in einer Pfütze: »Seht diese Hüte von Besiegten!/ Nicht als man sie vom Kopf uns schlug zuletzt/ War unsrer bittern Niederlage Stund./ Sie war, als wir sie folgsam aufgesetzt.«

In seiner Gebrauchsanweisung zum Lesen und Hören von Nachrichten, 1934 verfasst, schrieb Brecht: »In Zeiten, wo die Täuschung gefordert und die Irrtümer gefördert werden, bemüht sich der Denkende, alles, was er liest und hört, richtigzustellen. Was er liest und hört, spricht er leise mit, und im Sprechen stellt er es richtig. Von Satz zu Satz ersetzt er die unwahren Aussagen durch wahre.« Nach diesem Prinzip hat er seine Foto-Epigramme im Exil während des Zweiten Weltkrieges zusammengestellt. Er schnitt Bilder aus Zeitungen und Zeitschriften aus, nicht nur von europäischen, auch von asiatischen und afrikanischen Kriegsschauplätzen, darunter inzwischen ikonografische Aufnahmen wie etwa jene von einem Wehrmachtssoldaten, auf dem Gestell eines Artilleriegeschützes sitzend, den Kopf verzweifelt in die Hände gestützt. Oder das nicht minder bekannte Foto von deutschen Kriegsgefangenen in Russland: »Seht unsre Söhne, taub und blutbefleckt ... Wärmt sie, es ist ihnen kalt.«

Brechts »Kriegsfibel« ist jetzt in einer Neuauflage, der siebten seit 1955, erschienen.

Bertolt Brecht: Kriegsfibel. Eulenspiegel-Verlag, 208 S., geb., 38 €.

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