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Aggressive Einflussnahme der Tabakkonzerne
UN-Gipfel in Genf berät über neue Strategien gegen den Zigarettenkosum
Am Montag beginnt in Genf die 11. Konferenz der Vertragsparteien des Rahmenübereinkommens zur Eindämmung des Tabakgebrauchs. Über 1400 Delegierte aus 183 Ländern werden in den kommenden fünf Tagen über Schritte zu »tabakfreien Generationen« beraten, wie das diesjährige Motto lautet. Die Konferenz markiert das 20-jährige Jubiläum des Inkrafttretens des FCTC. Der Gipfel endet am 22. November mit einer Abschlusserklärung.
Die Bilanz des Abkommens fällt gut aus. »Seit dem Inkrafttreten ist der Tabakkonsum weltweit um ein Drittel zurückgegangen – trotz der Bemühungen der Tabakindustrie, das Abkommen zu untergraben«, erklärte der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, vorab. Der »WHO-Mpower-Katalog«, der den Mitgliedstaaten unter anderem Aufklärung und Monitoring empfiehlt, schütze 6,1 Milliarden Menschen oder 75 Prozent der Weltbevölkerung.
Doch dieser Erfolg ist gefährdet. Wie der neue »Globale Index zur Einflussnahme der Tabakindustrie« zeigt, versuchen Konzerne massiv, die Regulierung zu untergraben. Dabei zielen sie laut dem Monitoringbericht vermehrt auf Behörden außerhalb des Gesundheitswesens, etwa auf Agrar-, Finanz- und Handelsministerien. »Die Tabakindustrie ist aggressiver und unverhohlener geworden und nutzt politische Schlupflöcher aus«, erklärt die Hauptautorin Mary Assunta.
Die Taktiken sind demnach vielfältig: Sie reichen von Imagekampagnen über Greenwashing bis hin zu »politischer Vereinnahmung«. So versuchten Konzerne, ihnen wohlgesonnene Personen in nationale Delegationen zu schleusen. Der Bericht bezeichnet diese Einmischung als das größte Hindernis für lebensrettende Maßnahmen gegen den Tabakkonsum.
Länder wie die Dominikanische Republik, die Schweiz und die Vereinigten Staaten schneiden besonders schlecht ab. Dort fehlen meist Regeln, die eine Einflussnahme der Industrie auf politische Entscheidungen verhindern. Länder wie Botswana, Finnland und Äthiopien schneiden hingegen besonders gut ab.
Ein zentraler Gegenstand der jetzigen Verhandlungsrunde sind Zigarettenfilter. Sie bestehen aus Zelluloseacetat, einem Einwegplastik. Laut WHO-Schätzungen landen jährlich 4,5 Billionen Filter in der Umwelt. Im Raum steht ein Verbot, um den Müll zu reduzieren, der als Mikroplastik in der Umwelt landet. »Diese Filter tragen nicht dazu bei, Zigaretten sicherer zu machen«, erklärte Andrew Black vom FCTC-Sekretariat.
Zugleich diskutieren die Delegierten über die Regulierung von Aromen. Kritiker*innen bemängeln, dass damit gezielt Kinder und Jugendliche an E-Zigaretten und andere Nikotinprodukte gelockt werden. Laut dem WHO-Trendbericht nutzen weltweit mindestens 15 Millionen Kinder im Alter von 13 bis 15 Jahren E-Zigaretten. In den untersuchten Ländern rauchen Kinder in dieser Altersgruppe neunmal häufiger E-Zigaretten als Erwachsene.
Zwar verbietet das UN-Abkommen den Verkauf an Minderjährige, doch unzureichende Vorschriften für neuartige Produkte untergraben diese Regelung. So haben etwa 74 Mitgliedsländer keine Altersgrenze für E-Zigaretten und nur sieben verbieten Geschmacksstoffe umfassend. Die Frage wird sein, wie sich das bestehende Verbot von Aromastoffen auf alle Produkte ausweiten lässt. Auch die Erhöhung der Tabaksteuer steht auf der Agenda, doch hier werden kaum Fortschritte erwartet.
Europa wird das Ziel, den Tabakkonsum bis 2025 um 30 Prozent zu reduzieren, voraussichtlich verfehlen. Laut dem Index ist lediglich eine Minderung um 19 Prozent zu erwarten. In der EU gibt es zudem große Unterschiede: Während die Niederlande gute Fortschritte machen, gehört Rumänien zu den Ländern mit der stärksten Einmischung der Tabakindustrie. Bis Redaktionsschluss konnte sich die EU nicht auf eine gemeinsame Verhandlungsposition einigen.
Obwohl Deutschland seit 2010 regelmäßig Aufklärungskampagnen durchführt, liegt die Bundesrepublik nur im Mittelfeld. So lag der Gesamt-Tabaksteuersatz im Jahr 2024 bei 61,4 Prozent und damit unter den von der WHO empfohlenen 75 Prozent. Berücksichtigt werden dabei Verbraucher- und Mehrwertsteuer sowie Zölle. Zudem versucht die Tabakindustrie auch hierzulande, gezielt Einfluss zu nehmen. Der Index nennt als Beispiel den SPD-Politiker Torsten Albig: Der ehemalige Ministerpräsident von Schleswig-Holstein wechselte zu Philip Morris International.
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