- Wirtschaft und Umwelt
- Protest in Belém
COP 30: »Da werden wir Menschen aus den Wäldern verkauft«
Vielfältiger Indigenen-Protest am Rande der UN-Klimakonferenz in Brasilien
Eine riesige Brasilien-Flagge flattert auf einem Schiff, auf dem sich bei drückend heißen Temperaturen Hunderte Menschen drängen. Statt des offiziellen Slogans »Ordnung und Fortschritt« steht auf dem Tuch »Geschütztes Amazonasgebiet«. Das Schiff ist Teil einer Demonstration anlässlich der Weltklimakonferenz in Belém auf dem Fluss Guamá. Rund 5000 Menschen auf etwa 200 Wasserfahrzeugen machen auf ökologische und soziale Krisen im Amazonasgebiet, aber auch weltweit aufmerksam.
Die Protestaktion am Mittwoch (Ortszeit) ist der Auftakt zu einem zivilgesellschaftlichen Gegengipfel zur COP 30. Zahlreiche soziale Initiativen und indigene Bewegungen wollen mit dem »Cupúla dos Povos« (Gipfel der Völker) darauf aufmerksam machen, dass ihre Rechte beschnitten werden und die Klimaverhandlungen der Staaten nicht weit genug gehen. Die Klimakonferenz sei hauptsächlich eine Bühne für Lobbyisten, kritisiert die indigene Aktivistin Nice Tupinambá. Echte Lösungsansätze von unten für die Klimakrise spielten bei den Verhandlungen kaum eine Rolle. »Da werden wir Menschen aus den Wäldern und unsere Seelen verkauft«, sagt die 35-Jährige.
Diese Lösungen will die Zivilgesellschaft nun abseits der Verhandlungsräume aufzeigen. Einige Schiffe sind dafür aus anderen Teilen Lateinamerikas nach Belém gesegelt, manche kommen sogar aus Europa. Das Schiff mit der riesigen Brasilien-Flagge und zahlreichen Aktivisten an Bord war schon mehr als eine Woche unterwegs.
Gestartet ist es in Sinop, der brasilianischen »Hauptstadt des Sojas«. Da für den Anbau riesige Waldflächen weichen müssen, ist er einer der größten Treiber des Klimawandels in dem riesigen südamerikanischen Land – und gegen ihn richtet sich auch die Kritik der Zivilgesellschaft: »Das Agro-Business füllt keine Teller« steht auf vielen Plakaten. Gemeint ist damit, dass der Sojaanbau in Brasilien kaum zum Kampf gegen den Hunger beiträgt, denn der größte Teil des Sojas wird entweder zu Tierfutter oder exportiert. Stattdessen brauche es bessere Unterstützung von kleinbäuerlicher Landwirtschaft, fordern die Aktivisten.
Viele der Aktivisten an Bord gehören zur indigenen Ethnie der Kayapó. Große Teile ihrer Gebiete sind durch Entwaldung oder illegale Minen bedroht. »Die Abholzung muss jetzt aufhören«, sagt Raoni Metuktire. Schon jetzt beobachte er immer öfter ausgetrocknete Flüsse. Wenn sich nicht schnell etwas ändere, werde die Klimakrise noch viel schlimmer, warnt er.
Der 93-Jährige, einer der wichtigsten indigenen Anführer Brasiliens, begleitete Präsident Luiz Inácio Lula da Silva bei dessen Amtseinführung. Mit seiner Politik ist er aber nicht zufrieden, vor allem die kürzlich genehmigten Ölbohrungen in der Amazonasregion kritisiert er. Wenn er das nächste Mal mit Lula spreche, werde er ihm »die Ohren langziehen«, sagt Metuktire.
Nachdem die drei vergangenen Klimakonferenzen in autoritär regierten Staaten stattgefunden haben, kann die Zivilgesellschaft nun erstmals wieder auch außerhalb des Geländes der Vereinten Nationen relativ frei ihren Protest zum Ausdruck bringen. Davon machen soziale Bewegungen in Belém reichlich Gebrauch – allein beim »Cupúla dos Povos« arbeiten mehr als 1000 Organisationen zusammen. Darüber hinaus gibt es rund um die Klimakonferenz ein großes Rahmen- und Protestprogramm, um auf Bereiche hinzuweisen, die bei den Verhandlungen zu kurz kommen, wie Ökorassismus, Kolonialismus und soziale Fragen im Allgemeinen.
Für Aufruhr hatte in dieser Woche eine Gruppe indigener Protestierender gesorgt, die versuchten, sich ohne Akkreditierung Zugang zum Gelände der Klimakonferenz zu verschaffen. Dabei wurden einige Türen beschädigt und Berichten zufolge zwei Sicherheitsbeamte leicht verletzt.
Bei den Demonstrierenden handelte es sich um Indigene aus der Region Baixa Tapajós im Süden des Bundesstaates Pará. Es gehe ihnen nicht um Gewalt oder Vandalismus, erklärten sie hinterher, sondern es sei an der Zeit, dass ihre Stimmen endlich gehört würden. Zu wenige Indigene hätten Zugang zum offiziellen Teil der Klimaverhandlungen. »Das ist so eine Bürokratie, man braucht einen Pass, viele von uns schaffen das nicht«, erklärt Zenilda Bentes von der Ethnie der Kumauruara während der Bootsdemo. »Von unserer Ethnie ist nur eine einzige Person akkreditiert worden«, schimpft die 63-Jährige.
Dabei hatte die brasilianische Regierung schon darauf geachtet, viele indigene Vertreter zur Klimakonferenz zu bringen. Rund 300 von ihnen sind Teil der offiziellen Delegation des Landes – so viele wie nie zu vor.
Nach knapp vier Stunden legen die Schiffe der Demo wieder in der Nähe der Universität von Belém an. Raoni Metuktire wirkt müde; die Hitze, aber auch die vielen Jahre des Einsatzes für die Indigenen des Landes haben ihn erschöpft. »Ich wünsche mir endlich Frieden«, sagt er.
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