Wien kündigt Drogenstrategie auf

In Österreichs Bundeshauptstadt formiert sich Widerstand gegen geplante Kürzungen im Sozialdienst

  • Christian Bunke
  • Lesedauer: 3 Min.
SPÖ-Sozialstadtrat Peter Hacker: einst Vater der Wiener Sucht- und Drogenstrategie, jetzt deren Zerstörer?
SPÖ-Sozialstadtrat Peter Hacker: einst Vater der Wiener Sucht- und Drogenstrategie, jetzt deren Zerstörer?

Die von der sozialdemokratischen SPÖ und der liberalen Partei Neos gebildete Stadtregierung von Wien plant für den Haushalt 2026 massive Einschnitte. So soll in Österreichs Bundeshauptstadt ein Budgetloch in Höhe von zwei Milliarden Euro gestopft werden.

Damit provoziert sie einen Arbeitskampf mit den Beschäftigten im städtischen Sozialbereich. Einen Vorgeschmack auf das, was kommen könnte, gab es bereits Ende vergangener Woche. Hunderte Beschäftigte aus Betrieben und Vereinen der Wiener Sucht- und Drogenhilfe versammelten sich vor dem Amtssitz des sozialdemokratischen Sozialstadtrats Peter Hacker zu einer Betriebsversammlung im öffentlichen Raum während der Arbeitszeit. Solidarisch hatten sich auch viele Nutzer*innen dieser Einrichtungen dem Protest angeschlossen. Auch wenn es sich formal um keinen Streik handelte, ruhte in vielen Einrichtungen einen Vormittag lang die Arbeit.

Zum Protest aufgerufen hatte keine Gewerkschaft, sondern Betriebsratskörperschaften aus Sozialbetrieben, die von Einsparungen, Kündigungen und Schließungen betroffen sind. Die Mobilisierungszeit sei extrem kurz gewesen, sagte Georg Schmid, Betriebsratsmitglied bei der ambulanten Suchthilfe-Einrichtung »Dialog«, gegenüber »nd«. »Am Tag nach Bekanntgabe der Kürzungen haben wir uns zwischen den verschiedenen Betrieben sehr schnell vernetzt, um ein Gesamtbild zu bekommen.« Zuerst hätten alle betroffenen Einrichtungen geglaubt, es betreffe nur sie. »Doch dann wurde uns klar, das Gesamtbild ist tragisch.« Innerhalb weniger Stunden sei eine Organisationsstruktur entstanden, die eine Protestpetition und die öffentliche Betriebsversammlung aus dem Boden gestampft habe. Knapp 20 000 Menschen haben inzwischen online auf der Plattform »aufstehen.at« unterschrieben, um »Stoppt den Kahlschlag!« zu fordern.

Besonders harte Einsparungen soll es laut den protestierenden Betriebsräten im Bereich der Arbeitsintegration von Menschen mit Suchterkrankungen geben, der eine tragende Rolle bei der in Wien geltenden Sucht- und Drogenstrategie spielt. Besonders pikant: Sie wurde im Jahr 2013 maßgeblich vom heutigen Sozialstadtrat Hacker mitentwickelt. Um dies zu symbolisieren, wurde die Wiener Sucht- und Drogenstrategie während der öffentlichen Betriebsversammlung symbolisch zu Grabe getragen und als Sarg vor der Eingangstür von Hackers Amtssitz abgelegt.

Besonders sauer stößt vielen Betriebsrät*innen auf, dass die Stadt viel bislang nur mündlich kommuniziert habe. Obwohl das Stadtparlament erst Mitte Dezember den Haushalt für 2026 beschließen wird, scheinen Schließungen ganzer Einrichtungen ab Ende dieses Jahres bereits festzustehen. Andere Einrichtungen sollen bis zu 50 Prozent ihrer Geldmittel verlieren. Laut Aussage von Betriebsräten wird das nicht ohne Kündigungen abgehen.

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Ein Beispiel ist das beim Verein »Dialog« angesiedelte Konzept »Standfest«. Dieses bietet suchtkranken Personen, die vorübergehend als arbeitsunfähig eingestuft sind, aber wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden sollen, ein umfassendes Beratungsangebot. Dieses reicht von Hilfe bei der Wohnungssuche über Schuldenberatung bis hin zu medizinischer Betreuung im Umgang mit der Sucht. Bis zu 500 Personen werden von »Standfest« jährlich betreut. Darunter seien viele Langzeitarbeitslose, betont Georg Schmid. Mit dem 31. Dezember werden dieses und viele andere Betreuungsangebote schließen. Klient*innen und von Kündigung bedrohte Beschäftigte stünden nun vor dem nichts. Die Betriebsratsvernetzung in der Wiener Sucht- und Drogenhilfe spricht von einer »beinahe vollständigen Streichung der Angebote zur Arbeitsmarktintegration von Menschen mit Suchterkrankungen«.

Es ist längst nicht nur die Suchthilfe, bei der die Stadt Wien einsparen will. Selbst bei Prestigeprojekten wie der Wiener U-Bahn sollen eigentlich schon fix geplante Ausbauphasen aus Spargründen verschoben werden. Hinzu kommt ein Preisanstieg bei der Jahreskarte für die Wiener Öffis von 365 auf 476 Euro. 200 Millionen Euro will die Stadt zudem bei der Wiener Mindestsicherung für subsidiär Schutzberechtigte einsparen. Bei der Wohnungslosenhilfe sollen ebenfalls Stellen abgebaut werden. Auch hier organisieren betriebliche Netzwerke an der Basis Widerstand. Eine erste kleinere Kundgebung mit 70 betroffenen Beschäftigten gab es bereits am Dienstag vor dem Wiener Rathaus, wo zeitgleich das Gemeindeparlament tagte.

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