- Wirtschaft und Umwelt
- COP 30
Alte Traditionen geraten ins Wanken
Der Nord-Süd-Gegensatz auf der UN-Klimakonferenz zerbröselt. Uneinigkeit herrscht über den nächsten Austragungsort
Die erste Woche der 30. UN-Klimakonferenz (COP 30) in Belém, Brasilien, stand ganz im Zeichen von Themen, die gar nicht auf der Agenda stehen. Zu Beginn der Konferenz war es COP-Präsident André Corrêa do Lago gelungen, einen Streit über die To-do-Liste der Konferenz abzuwenden. Er versprach, Konsultationen über vier Themen zu führen, die zuvor nicht im Mittelpunkt gestanden hatten, aber von verschiedenen Ländern vorgeschlagen wurden. Diese Konsultationen stehen nun im Zentrum der Aufmerksamkeit in Belém und werden wohl über Erfolg oder Misserfolg der COP 30 entscheiden.
Die EU und die Gruppe der kleinen Inselstaaten wollen über Emissionen reden: die EU über die Implementation der Emissionsziele der Länder bis 2030 und die Inselstaaten über die Emissionsziele der Länder für das Jahr 2035. Denn noch steigen die globalen CO2-Emissionen. Währenddessen hat eine Ländergruppe um China und Indien ebenfalls zwei Agenda-Punkte eingebracht: Zum einen wollen sie über klimapolitische Handelsbeschränkungen verhandeln, etwa den CO2-Grenzausgleich der EU für besonders energieintensive Produkte wie Stahl. Zum anderen sollen die Klimahilfen der Industriestaaten an die Entwicklungsländer erneut verhandelt werden. Das war allerdings bereits Thema bei der letzten COP. Dort verpflichteten sich die Industriestaaten, die Klimahilfen von heute 100 Milliarden pro Jahr bis 2035 auf 300 Milliarden anzuheben.
Diese vier Themen klingen technisch, ihre Konsultationen haben aber das Potenzial, lang eingeübte Gegensätze in den Klimaverhandlungen aufzubrechen. Corrêa do Lago sagte, bei den Konsultationen gebe es ein Engagement der Länder, das man »seit langer Zeit« nicht gesehen habe. Und Jacob Werksman, der Chefunterhändler der EU, betonte, dass es bei den Gesprächen keine »Nord-Süd-Trennung« gebe. Viele sogenannte Entwicklungsländer wollten eine »Antwort auf den mangelnden Ehrgeiz« bei den Emissionszielen sehen.
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Eine Einigung über das weitere Vorgehen bei diesen Themen gilt als das bisher wichtigste Ergebnis der COP 30. Ironischerweise könnte es hingegen beim einzigen offiziellen Agenda-Punkt keinen Beschluss geben: dem globalen Ziel für die Anpassung an die Erwärmung. Hier sollen eigentlich rund 100 Indikatoren verabschiedet werden, um den Fortschritt der Länder zu messen. Im Vorfeld der Konferenz galt das als relativ einfach.
Doch nun will die Gruppe der afrikanischen Länder diesen Beschluss auf das Jahr 2027 vertagen. Der Hauptgrund scheint Unklarheit über die Finanzierung von Anpassungsmaßnahmen zu sein. Teresa Anderson von der südafrikanischen Entwicklungsorganisation ActionAid hat dafür Verständnis: »Wenn keine Mittel zur Umsetzung der Maßnahmen zur Verfügung stehen, besteht die Gefahr, dass das Anpassungsziel eher zu einer Belastung als zu einer Hilfe wird.«
Und dann gibt es noch ein Thema, das so heikel ist, dass es erst ab der 28. COP überhaupt Erwähnung fand: fossile Energien. Damals einigten sich die Länder auf einen »Übergang weg von fossilen Energien«. Im Folgejahr verhinderten Länder wie Saudi-Arabien, dass diese Aussage weiter konkretisiert wurde.
Daher waren viele überrascht, dass Brasiliens Präsident Lula da Silva in seiner Eröffnungsrede sagte, die Welt brauche einen »Fahrplan, um die Abhängigkeit von fossilen Energien zu beenden«. Auch dieser Fahrplan ist allerdings nicht in der Agenda zu finden. Doch im Hintergrund laufen Gespräche zu diesem Thema. Der deutsche Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth sagte dazu: »Der Fahrplan für den Ausstieg aus den Fossilen ist das, was die Verhandler hier bewegt.« Und fügte an: »Interessant ist hier, dass die sichtbarsten Initiativen aus dem globalen Süden kommen, aus Brasilien und Kolumbien.«
Ebenfalls heikel, aber weniger wichtig ist schließlich der Austragungsort von COP 31 nächstes Jahr. Dann ist die UN-Ländergruppe »Westeuropa und andere« als Gastgeber am Zug. Zwei Kandidaten, die Türkei und Australien, halten beide an ihrer Kandidatur fest und verunmöglichen so einen Konsens innerhalb der Ländergruppe.
Aus Sicht der COP-Historikerin Joanna Depledge von der britischen Cambridge Universität könnte dieser Streit durch eine – für COPs bislang undenkbare – Methode gelöst werden: eine Abstimmung. Da das UN-Klimasekretariat in Bonn beheimatet ist, wäre Deutschland automatisch Gastgeber von COP 31, wenn sich keine andere Lösung findet. Dieses Szenario will Flasbarth allerdings unbedingt verhindern, denn die kurze Vorlaufzeit würde die starre deutsche Bürokratie überfordern: »Wir müssten es tun, aber wir wollen es nicht«, sagte Flasbarth zur Aussicht auf eine COP in Deutschland.
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