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Platzt die Reform-Seifenblase in Großbritannien?
Großbritanniens Rechtspartei zerlegt sich zunehmend selbst
Schon seit Monaten liegt die Partei Reform UK von Nigel Farage in allen Umfragen eindeutig vorne. Wären morgen Parlamentswahlen, dürften die meisten Stimmen wohl an die Rechtspartei gehen. Farage selbst lässt an seinen Ambitionen keinen Zweifel. Auf einer Konferenz in London vor wenigen Wochen fragte er rhetorisch: »Sprechen Sie mit dem nächsten Premierminister? Ich denke ja.«
Doch der Höhenflug gerät ins Stocken. Die Partei kommt immer wieder aus den falschen Gründen in die Schlagzeilen. Zurzeit steht Parteichef Farage selbst in der Kritik: Er soll während seiner Zeit als Schüler am Dulwich College, einer teuren Privatschule in Südlondon, mit krass rassistischen und antisemitischen Äußerungen aufgefallen sein.
Farage soll Gaskammern imitiert haben
»Er pirschte sich an mich heran und knurrte: ›Hitler hatte recht‹ oder ›Vergast sie‹, manchmal fügte er noch ein langes Zischen hinzu, um das Geräusch der Gaskammern zu imitieren«, sagte Farages ehemaliger Mitschüler, der Regisseur und Filmproduzent Peter Ettedgui, dem »Guardian«.
»Ich hatte in meiner Kindheit nie Antisemitismus erlebt, daher war es zutiefst schockierend, als diese bösartigen verbalen Beschimpfungen zum ersten Mal aus Farages Mund kamen.«
Peter Ettedgui Regisseur
»Meine Großeltern waren aus dem nationalsozialistischen Deutschland geflohen und hatten immer mit großer Dankbarkeit darüber gesprochen, wie willkommen sie sich im Vereinigten Königreich fühlten«, sagt Ettedgui weiter. »Ich hatte in meiner Kindheit nie Antisemitismus erlebt, daher war es zutiefst schockierend, als diese bösartigen verbalen Beschimpfungen zum ersten Mal aus Farages Mund kamen. Aber ich war nicht sein einziges Ziel.«
Schon in den 70ern gab es Bedenken gegen Farage
Mehr als ein Dutzend ehemalige Mitschüler bestätigten dem Bericht zufolge, solche und ähnliche Äußerungen Farages gehört zu haben. Der »Guardian« weist in seiner Geschichte jedoch auch darauf hin, dass sich andere Mitschüler von damals anders an Farage erinnerten. Und das Blatt verweist darauf, dass niemand behaupte, dass Farage als erwachsener Mann noch immer dieselben Ansichten vertrete wie der Jugendliche, dem diese Ansichten zugeschrieben wurden.
Die Vorwürfe sind jedoch nicht neu. 2013 berichtete Channel 4 News, dass Lehrer am Dulwich College in den späten 70er und frühen 80er Jahren Bedenken über Farages »rassistische« und »faschistische« Ansichten als Schüler geäußert hätten. Nach dem damaligen Bericht räumte Farage ein, »einige lächerliche Dinge« gesagt zu haben, aber »nicht unbedingt rassistische Dinge«. Es komme darauf an, »wie man es definiert«.
Zu den nun erneut aufgekommenen Vorwürfen erklärte die Reform-Partei, die Anschuldigungen entbehrten »jeder Grundlage«. »Der Guardian hat keinerlei zeitgenössische Aufzeichnungen oder bestätigende Beweise vorgelegt, um diese umstrittenen Erinnerungen von vor fast 50 Jahren zu untermauern.«
Rechtspopulisten sprechen von Diskreditierung
Es sei »kein Zufall, dass diese Zeitung versucht, Reform UK zu diskreditieren – eine Partei, die in mehr als 150 aufeinanderfolgenden Meinungsumfragen geführt hat und deren Vorsitzenden die Buchmacher inzwischen als Favoriten für das Amt des nächsten Premierministers sehen«, heißt es weiter. Man erwarte »voll und ganz, dass diese zynischen Versuche, Reform zu verleumden und die Öffentlichkeit in die Irre zu führen, noch weiter zunehmen werden, je näher die nächste Wahl rückt«.
Doch auch andere Reform-UK-Politiker machen mit bisweilen fragwürdigen Äußerungen von sich reden: So gab im Oktober die Reform-UK-Abgeordnete Sarah Pochin während einer Anrufsendung auf dem Sender Talk TV einem Anrufer recht, der sich über die »Demografie« in der Werbung beschwert hatte. Pochin sagte, der Anrufer habe »absolut recht«. Es mache sie »wahnsinnig«, wenn sie Werbung sehe, die voller »schwarzer Menschen, voller asiatischer Menschen« sei. Der »durchschnittliche weiße Mensch« werde »nicht mehr repräsentiert«.
Farage erklärte anschließend, er finde Pochins Äußerung »falsch und unschön.« Rassistisch gewesen sei sie nicht. Wenn er das Gefühl gehabt hätte, dass »die Absicht dahinter rassistisch war«, hätte er weitaus mehr unternommen, als er es getan habe. »Und das liegt daran, dass ich es nicht glaube.«
Ehemaliger Regionalchef ließ sich aus Russland bezahlen
Auch ein ehemaliger Reform-UK-Politiker sorgt derzeit für gehörige Negativschlagzeilen: Der frühere Reform-Chef in Wales, Nathan Gill, der die Partei 2021 verlassen hat, gab kürzlich vor Gericht zu, dass er als Europa-Abgeordneter zwischen 2018 und 2019 Schmiergelder aus Russland entgegengenommen hat. Im Gegenzug hielt er prorussische Reden im EU-Parlament und gab russlandfreundliche Statements in den Medien ab. Das Urteil gegen ihn soll am Freitag gesprochen werden. Es dürfte auf eine Haftstrafe hinauslaufen.
Und auch in der Lokalpolitik kracht es derzeit bei Reform: Die Partei sah sich kürzlich dazu gezwungen, mehrere ihrer Lokalpolitiker auszuschließen, die in der Lokalverwaltung des Kent County Council saßen. Dort hat Reform UK seit den Kommunalwahlen im Mai die Mehrheit. Es sollte Reform UKs Vorzeigeprojekt auf Lokalebene werden. Ein geleaktes Video zeigte jedoch einen dermaßen heftigen Streit zwischen den Reform-Politikern, dass sich die Parteiführung dazu gezwungen sah, fünf von ihnen aus der Partei auszuschließen. Der Vorwurf: Sie hätten die Partei »in Verruf gebracht« und einen »Mangel an Integrität« gezeigt.
Das alles dürfte sich auf die Umfragewerte ausgewirkt haben: So hat Reform UK seit einem Umfragehoch im September, als die Partei bei 29 Prozent lag, zwei Prozentpunkte verloren. Bis zu den nächsten Parlamentswahlen ist es ein langer Weg: Sie müssen erst 2029 abgehalten werden.
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