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Hans-Peter de Lorent: Der Aufarbeiter und Mahner

Der Lehrer Hans-Peter de Lorent durfte früher nicht unterrichten. Heute wird seine Arbeit umso höher geschätzt

  • Guido Sprügel
  • Lesedauer: 7 Min.
Hans-Peter de Lorent war in der 1970er Jahren ein Betroffener der Berufsverbote.
Hans-Peter de Lorent war in der 1970er Jahren ein Betroffener der Berufsverbote.

Hans-Peter de Lorent genießt sichtlich eine späte Genugtuung. Der Historiker, Pädagoge und Publizist hat am Montag das Bundesverdienstkreuz erhalten. »Dieser Tag ist für mich vor einigen Jahren nicht unbedingt zu erwarten gewesen«, erklärte der 76-Jährige bei der Verleihung im Hamburger Rathaus. »Er zeigt mir und anderen, dass sich doch im Laufe der Zeit einiges entwickelt und verändert hat.« Doch Anerkennung erfuhr der Hamburger nicht immer. In den 1970er Jahren wurde ihm als Lehrer sogar ein Berufsverbot erteilt, wogegen er sich jahrelang – durchaus medienwirksam – zur Wehr setzte.

Selbst das »Neue Deutschland« berichtete 1981 über den Hamburger Prozess gegen ihn. Gegenstand des Rechtsstreits war sein Roman »Die Hexenjagd«, der im Jahr zuvor im Weltkreis-Verlag erschienen war. In dem Roman erzählt de Lorent die Geschichte seines eigenen Berufsverbots. Jahrelang kämpfte er dagegen, als Lehrer nicht verbeamtet worden zu sein – angeblich wegen linksradikaler Gesinnung.

De Lorent beendete seine Ausbildung zu einem politisch heiklen Zeitpunkt. 1972 war in Westdeutschland der sogenannte Radikalenerlass in Kraft getreten, der verhindern sollte, dass »Personen mit extremistischer Gesinnung« in den Staatsdienst gelangten. Eine Abfrage beim Verfassungsschutz sollte die Verfassungstreue der Bewerber prüfen. Mehr als 3,5 Millionen solcher Kontrollen gab es; in rund 11 000 Fällen kam es zu Verfahren, und etwa 1250 Kandidatinnen und Kandidaten wurden schließlich abgelehnt.

Auch Hans-Peter de Lorent war von diesen Maßnahmen betroffen. Die Anfrage nach Abschluss seines Referendariats 1974 führte zu seiner Ablehnung für den Staatsdienst. »Ich war damals Mitglied des Marxistischen Studentenbundes Spartakus (MSB-Spartakus)«, erinnert er sich im Gespräch mit dem »nd«. »Wegen meiner Prüfungen hatte ich jedoch keinerlei führende Rolle im Verband.«

Weshalb ihm die Verbeamtung verweigert worden war, erfuhr de Lorent lange Zeit nicht. Durch Zufall bot sich ihm schließlich die Gelegenheit, seine Personalakte einzusehen: Eine Sachbearbeiterin gewährte ihm – entgegen den Vorschriften – einen Blick hinein. Ganz oben lag ein Flugblatt aus dem Jahr 1972, das er als Student verfasst und presserechtlich verantwortet hatte.

Der Protest richtete sich gegen ein hochschulpolitisches Vorhaben der FDP. Die Liberalen wollten damals die Stellung der Professoren stärken und die sogenannte Drittelparität in den universitären Gremien abschaffen. Bis dahin hatten Professoren, der wissenschaftliche Mittelbau und die Studierenden jeweils ein Drittel der Stimmen. Künftig sollte das Professorenstimmgewicht auf die Hälfte steigen – ein Vorstoß, gegen den sich der MSB-Spartakus vehement wandte.

Als Zweites lag eine Dokumentation über Berufsverbote in seiner Akte – versehen mit der handschriftlichen Anmerkung, der Begriff »Berufsverbot« sei lediglich ein »Kampfbegriff« der Linken.

Für de Lorent bedeuteten diese Einträge den Beginn einer jahrelangen Odyssee. Er suchte das Gespräch mit dem damaligen Schulsenator Günter Apel, doch der Sozialdemokrat erklärte ihm unmissverständlich, eine Verbeamtung komme nicht infrage. Zwar sollte de Lorent zunächst angestellt werden, doch die Kündigung folgte praktisch zeitgleich – eine geradezu absurde Konstruktion. »Damals ahnte ich noch nicht, dass sich dieser Prozess über neun Jahre hinziehen würde«, sagt de Lorent. Immer wieder befasste sich das Verwaltungsgericht mit seinem Fall, da er gegen das Berufsverbot und die befristete Beschäftigung klagte. Der zuständige Richter verlangte von der Behörde fortlaufend neue Belege für die verweigerte Verbeamtung.

Das Verfahren schleppte sich dahin. Einmal begegnete de Lorent dem zuständigen Richter sogar zufällig auf der Straße. Auf seine Frage, warum sich das Verfahren derart in die Länge ziehe, habe dieser nur lapidar geantwortet, es handle sich nicht um eine juristische, sondern um eine politische Entscheidung.

De Lorent begann, seine Geschichte öffentlich zu thematisieren. 1977 erschien der Sammelband »Bin ich ein Verfassungsfeind?«, in dem Betroffene ihre Verfahren schilderten. Drei Jahre später veröffentlichte er den Roman »Die Hexenjagd«, der seinen eigenen Lebensweg mit nur leicht veränderten Namen nachzeichnete. Für die Schulbehörde war das zu viel.

Der damalige Schulsenator Joist Grolle erhob gemeinsam mit drei weiteren Beamten der Behörde Klage wegen Beleidigung. An 34 Textstellen sahen sich die Kläger in ihrer Ehre verletzt. De Lorent hatte die Namen im Roman kaum verändert – aus dem Regierungsdirektor Delius wurde etwa »Delirius«. Vor Gericht ließ man daraufhin den gesamten Roman, alle 127 Seiten, verlesen.

Das Medienecho war enorm. Zahlreiche große Zeitungen und Magazine berichteten über den Prozess, der 1983 mit einem Freispruch endete. »Wir konnten alle 34 Anklagepunkte entkräften«, erinnert sich de Lorent – und noch heute freut er sich über diesen juristischen Erfolg, der ihm neue Türen öffnete. Noch im selben Jahr wurde er verbeamtet und fand an der Grund- und Hauptschule am Altonaer Volkspark eine neue berufliche Heimat. Mehr als zehn Jahre blieb er dort – an einer der ersten Ganztagsschulen in einem sozialen Brennpunkt der Hansestadt.

In den folgenden Jahren begann für de Lorent, den Freunde und Weggefährten kurz »Delo« nennen, ein beruflicher Aufstieg. Zunächst wurde er Hauptseminarleiter in der Lehrkräfteausbildung, später Abgeordneter der Grün-Alternativen Liste (GAL) in der Bürgerschaft und schließlich unter Schulsenatorin Christa Götsch (GAL) als Oberschulrat Leiter des Planungsstabes. »Es ist eine Ironie der Geschichte, dass mein Büro direkt neben dem Raum lag, in dem 1974 meine Anhörung mit Senator Apel stattgefunden hatte«, sagt de Lorent. Lediglich die »Bild«-Zeitung ätzte damals gegen den »Ex-Kommunisten«, der nun angeblich die Schulreform »durchpauken« solle.

Parallel zu seiner Laufbahn im Bildungswesen verfolgte de Lorent beharrlich ein persönliches Anliegen: die historische Aufarbeitung des Nationalsozialismus in der Hamburger Schullandschaft. 1985 veröffentlichte er das Buch »Schule unterm Hakenkreuz«, ein Jahr später den Sammelband »Die Fahne hoch. Schulpolitik und Schulalltag in Hamburg unterm Hakenkreuz«. Beide Werke erschienen zu einer Zeit, in der die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus im schulischen Kontext noch kaum eine Rolle spielte.

In den 2000er Jahren veröffentlichte er seine umfangreichen Recherchen in drei Bänden unter dem Titel »Täterprofile«. Sie enthalten Hunderte Biografien leitender Funktionäre der Hamburger Schullandschaft während der NS-Herrschaft. Mehr als 800 Seiten Material trug de Lorent dafür zusammen.

»Wir ehren ein Lebenswerk gegen das Vergessen.«

Ksenija Bekeris Schulsenatorin in Hamburg

Die Enkelin eines im zweiten Band porträtierten Funktionärs zog sogar vor Gericht. Sie behauptete, ihr Großvater Oscar Toepffer, der während der NS-Zeit kurzzeitig Schulsenator gewesen war, sei in der Darstellung »ehrverletzend« beschrieben worden. Die Klage gegen de Lorent und die Landeszentrale für politische Bildung wurde 2024 abgewiesen.

Für seine langjährige Aufarbeitung der NS-Geschichte wurde Hans Peter de Lorent mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. In ihrer Laudatio würdigte die amtierende Schulsenatorin Ksenija Bekeris (SPD) sein außergewöhnliches Engagement. »Wir ehren ein Lebenswerk gegen das Vergessen«, sagte sie. Demokratie falle nicht vom Himmel, sondern müsse immer wieder gefestigt und gelebt werden; besonders junge Menschen müssten befähigt werden, Haltung zu zeigen. Schulen seien dafür ein zentraler Ort. De Lorent, der einst nicht einmal in den Schuldienst aufgenommen wurde, hat mit seiner Arbeit genau dazu beigetragen.

De Lorent nahm die späte Ehrung dankbar an. In seiner Dankesrede beschränkte er sich jedoch nicht auf sein Lebensthema. »Ich möchte noch anmerken, was mir heute nicht gefällt«, leitete er seine Kritik am erneuten Aufflammen der Debatte über die »Regelabfrage« beim Verfassungsschutz für Bewerberinnen und Bewerber des öffentlichen Dienstes ein. Der Hamburger Senat hat den entsprechenden Gesetzentwurf bereits im Oktober beschlossen; nun liegt er der Bürgerschaft zur Beratung und endgültigen Abstimmung vor. Die Neuregelung soll zum 1. Januar 2026 in Kraft treten.

Nach dem Willen des Senats soll künftig wieder bei allen Bewerberinnen und Bewerbern für den öffentlichen Dienst eine Anfrage beim Verfassungsschutz erfolgen. Anders als in den 1970er Jahren richtet sich die Neuregelung ausdrücklich gegen Rechtsextreme sowie gegen Personen wie den Lehramtsstudenten Joe Adade Boateng, der auf einer Hamburger Demonstration ein Kalifat gefordert hatte. De Lorent befürchtet jedoch, dass die Abfrage erneut dazu führen könnte, auch linke oder umweltpolitisch engagierte Menschen vom Staatsdienst fernzuhalten.

»Eine Regelabfrage darf es nicht geben. Rechtsextreme und Salafisten wie Boateng äußern ihre Positionen doch öffentlich – es existieren längst rechtliche Instrumente, die sie vom Staatsdienst fernhalten können«, sagt de Lorent. Dafür müsse man den Verfassungsschutz nicht bemühen. Als warnendes Beispiel verweist er auf Bayern, wo der Klimaaktivistin Lisa Poettinger im November 2024 die Einstellung in den Schuldienst verweigert wurde. »Wir dürfen engagierten jungen Menschen nicht erneut ihre Zukunft verbauen«, mahnt er.

Senatorin Bekeris widerspricht dieser Kritik. Sie nehme die geäußerten Sorgen ernst, betont jedoch, dass eine Regelabfrage heute nicht zu willkürlichen Entscheidungen führe. Auch Beschäftigte im Staatsdienst verfügten über klar geregelte Rechte in einem Rechtsstaat. Auf den Fall Lisa Poettinger geht sie in ihrer Antwort nicht ein.

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