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Krokodile, die aus Bäumen sprangen
Prähistorische Krokodil-Eierschalen erzählen von der Lebensweise der Reptilien
Ein unscheinbarer Hinterhof in der kleinen Ortschaft Murgon drei Autostunden nordwestlich von Brisbane. Hier, wo Schafe grasen und nichts auf Sensationelles hindeutet, liegt eine der ältesten Fossilstätten Australiens verborgen. In einer gewöhnlich wirkenden Lehmgrube graben Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen seit Jahrzehnten nach Spuren einer Zeit, als der australische Kontinent noch mit der Antarktis und Südamerika verbunden war.
Nun hat ein internationales Forscherteam hier die ältesten jemals in Australien gefundenen Krokodil-Eierschalen entdeckt. Die 55 Millionen Jahre alten Fragmente, die den wissenschaftlichen Namen Wakkaoolithus godthelpi erhielten, stammen von sogenannten mekosuchinen Krokodilen. Diese heute ausgestorbene Gruppe dominierte damals die Binnengewässer Australiens – lange bevor die heutigen Salzwasser- und Süßwasserkrokodile vor etwa 3,8 Millionen Jahren auf dem Kontinent ankamen.
Was diese urzeitlichen Krokodile so faszinierend macht, ist ihre völlig unerwartete Lebensweise. Anders als ihre modernen Verwandten, die im Wasser lauern, füllten Mekosuchinen offenbar die sonderbarsten ökologischen Nischen. »Es ist eine bizarre Vorstellung«, sagt Michael Archer, Paläontologe an der University of New South Wales (UNSW) in Sydney, »aber einige von ihnen scheinen terrestrische Jäger in den Wäldern gewesen zu sein.«
Hinweise darauf fanden die Forscher in jüngeren, etwa 25 Millionen Jahre alten Fossilien aus dem Riversleigh World Heritage Area im nordwestlichen Queensland. Einige der dort lebenden Arten wurden mindestens fünf Meter lang. Noch erstaunlicher: Manche Mekosuchinen waren offenbar zumindest teilweise baumbewohnend. Archer spricht von »Drop-Krokodilen«, die wie Leoparden jagten, indem sie sich aus Bäumen auf ahnungslose Beute fallen ließen.
»Einige von ihnen scheinen terrestrische Jäger in den Wäldern gewesen zu sein.«
Michael Archer Paläontologe
Die nun untersuchten Eierschalen-Fragmente aus Murgon wurden unter optischen und Elektronenmikroskopen analysiert. Xavier Panadès i Blas vom katalanischen Paläontologie-Institut ICP, der die Studie leitete, erklärt, dass diese Eierschalen einen Einblick in die intimsten Aspekte der Lebensgeschichte der Mekosuchinen geben. Man könne nun nicht nur die seltsame Anatomie dieser Krokodile untersuchen, sondern auch ihre Fortpflanzung und Anpassung an sich verändernde Umgebungen.
Die Mikrostruktur der Schalen deutet darauf hin, dass die Krokodile ihre Eier am Rand eines Sees ablegten, wobei sich ihre Fortpflanzungsstrategie an schwankende Umweltbedingungen anpasste. Der Murgon-See war von einem üppigen Wald umgeben, der auch die weltweit ältesten bekannten Singvögel, Australiens früheste Frösche und Schlangen sowie eine der ältesten bekannten Fledermausarten beherbergte. Viele der dort lebenden Säugetiere wiesen Verbindungen zu Südamerika auf – ein Beleg für die damalige Verbindung der Kontinente.
Die Geschichte der Ausgrabungen in Murgon liest sich wie ein Abenteuer. 1983 fuhren Archer und sein UNSW-Kollege Henk Godhelp nach Murgon, parkten am Straßenrand, schnappten sich ihre Schaufeln und klopften einfach an die Tür der Grundstücksbesitzer. Nach einer Erklärung über mögliche prähistorische Schätze unter der Schafweide – in der Gegend waren bereits fossile Schildkrötenpanzer gefunden worden – stimmten die Anwohner hocherfreut einer Ausgrabung zu.
Bereits 1975 hatte Archer in den Texas Caves in Queensland ein bizarres Kieferfragment gefunden, das ihm zunächst völlig rätselhaft erschien: ein Reptil mit dinosaurierähnlichen Zähnen. Als er es dem Reptilienspezialisten Max Hecht am American Museum of Natural History zeigte, habe dieser fast seine Kaffeetasse fallen lassen, erinnert sich Archer. Das Fragment ähnelte stark ausgestorbenen Krokodilen mit dinosaurierartigen Zähnen aus Südamerika – die erste Erkenntnis, dass solche Krokodile auch in Australien lebten.
Die Mekosuchinen verloren vermutlich durch zunehmende Trockenheit einen Großteil ihres Lebensraums und mussten in schrumpfenden Wasserläufen mit neu ankommenden Krokodilarten konkurrieren – bei gleichzeitig schwindender Beute.
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