Berliner Start-Up LAP: Billiger Kaffee, teure Anwälte

Wie die Kaffee-Kette LAP juristisch gegen unliebsame Stimmen vorgeht

Bares ist nix Wahres: Wer bei LAP Kaffee kaufen will, muss mit Karte oder per App zahlen.
Bares ist nix Wahres: Wer bei LAP Kaffee kaufen will, muss mit Karte oder per App zahlen.

Vor einem Café der Start-up-Kette LAP in Prenzlauer Berg steht ein Klappschild der Marke in spiegelnder Oberfläche. Eine junge Frau nutzt den Spiegel, um Lippenstift aufzutragen und macht dann ein Selfie mit dem Kaffeebecher. Im kleinen und spärlich eingerichteten Innenraum des LAP wartet eine ältere Kundin vor dem Vollautomaten. Ihren Espresso für 1,50 Euro kann sie nicht kaufen – sie hat nur Bargeld dabei. Die Nachricht muss ihr eine weitere Kundin ins Deutsche übersetzen, denn die Bedienung spricht ausschließlich Englisch. Ein Mann eilt in den Laden und holt seinen Americano, den er per App bestellt hat. Aus den Boxen dröhnt Musik in schnellem Rhythmus. Man meint, man stehe auf dem Laufband.

LAP erobert Berlin. Bereits 16 Geschäfte der Kaffeekette gibt es in der Hauptstadt – vor allem in den Ortsteilen Prenzlauer Berg, Kreuzberg und Mitte. Dabei stößt der erschwingliche Kaffee im Kiez nicht nur auf Zuspruch. Die Kampagne »LAP Coffee ist Scheiße« macht seit September darauf aufmerksam, welchen Einfluss das 2023 gegründete Start-up auf die Stadtentwicklung haben könnte: Die niedrigen Preise und die schnelle Expansion machten lokalen Cafés Konkurrenz. Zudem wirft die Kampagne dem Unternehmen vor, die Gentrifizierung in der Hauptstadt voranzutreiben. LAP sei der »aggressive Versuch«, heißt es auf der Website zur Kampagne, »lokale und unabhängige Cafés zu verdrängen, viel Müll zu produzieren und hohe Profite zu machen.« Das Start-up sei »das stinkende Sahnehäubchen auf der Gentrifizierung, die schon zu viele Menschen und kleine Gewerbetreibende« aus den Kiezen verdrängt habe.

Nun wandten sich ein Stadtteilladen und drei Buchläden an »nd«. Denn das Unternehmen hinter LAP, die Micro Retail Technologies MRT GmbH, hat juristische Schritte gegen die vier eingeleitet. Warum? Weil Flyer der »LAP Coffee ist Scheiße«-Kampagne in ihren Läden zu finden waren. LAP stehe laut eigenen Aussagen für »Life Among People« (Leben unter Menschen). Steht LAP auch für SLAPP? Als SLAPP bezeichnet man eine strategische Klage, mit der reiche Akteure wie Unternehmen oder Personen des öffentlichen Lebens versuchen, Kritiker*innen einzuschüchtern. »SLAPP« leitet sich aus dem Englischen ab (Strategic Lawsuit Against Public Participation). Ziel solcher Klagen ist weniger, den Prozess zu gewinnen, sondern durch hohen Kosten- und Zeitaufwand Meinungsfreiheit oder journalistische Recherchen zu unterdrücken. Jüngst traf es eine Bürgerinitiative, die vom Investor des Hochhausprojekts »Urbane Mitte« am Gleisdreieck verklagt wurde. Das Landgericht Berlin wies die Klage zurück.

»Innerhalb von zwei Werktagen sollten wir eine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung unterschreiben, um ein gerichtliches Eilverfahren abzuwenden«, erklären die vier von LAP angegriffenen Projekte gegenüber »nd«. Betroffen sind das Stadtteilbüro Friedrichshain und die Buchhandlungen »Zur schwankenden Weltkugel« in Prenzlauer Berg sowie »OH*21« und »Schwarze Risse« in Kreuzberg. Sie sind linke Institutionen und lokale Ansprechpartner im Kiez. Hier kann man nicht nur Bücher kaufen, sondern auch Informationen über Veranstaltungen aushängen. Seit wenigen Wochen gilt das allerdings nicht mehr für Flyer und Plakate besagter Kampagne. Denn die vier Berliner Institutionen haben eine Unterlassungserklärung unterzeichnet: Infomaterial von »LAP Coffee ist Scheiße« müssen die Ladenbetreibenden entfernen, wenn sie es im Geschäft finden.

Ralph Hage, Gründer von LAP Coffee
Ralph Hage, Gründer von LAP Coffee

»Wichtig für uns ist, dass wir durch diese Vereinbarung gegenüber LAP Coffee abgesichert sind, dass wir von dem Unternehmen nicht uneingeschränkt und im Vornherein für sämtliche Infomaterialien in die Haftung genommen werden können, die in öffentlich zugänglichen Regalen in unseren Ladenlokalen von Dritten ausgelegt werden«, teilen die vier mit. Natürlich löste die Unterlassungsaufforderung erst einmal Unglauben und Stress aus, wie der Buchladen »Zur Schwankenden Weltkugel« berichtet. Denn damit verlangte die Micro Retail Technologies MRT GmbH Schadensersatzansprüche im vierstelligen Bereich von den Läden. Der Gegenstandswert der Auseinandersetzung bemisst sich auf 200 000 Euro. Das Schreiben liegt »nd« vor. Darin werden die Geschäfte als »Mittäter oder jedenfalls als Gehilfe« an strafbaren Handlungen bezeichnet, da sie Material zur Kampagne ausgelegt hatten. Welche strafbaren Handlungen, ist nicht ausgeführt. Es heißt nur: »Eine neuerliche Protestaktion«, in der dazu aufgerufen worden sei, Material zu besorgen, um damit die LAP-Cafés zu verunstalten. Ferner heißt es, dass man überprüfen werde, ob Material der Kampagne weiterhin ausliege. Wenn ja, wolle man eine Strafanzeige stellen.

Jüngst gingen Farbattacken auf mehrere LAP-Läden durch die Presse. Ermittlungen dazu laufen noch. Wer auch immer rote Farbe an die Berliner Läden geschmiert hat – er hat es erst getan, nachdem die vier Stadtteil- und Buchläden mit dem anwaltlichen Vorwurf konfrontiert waren, sich zu »Mittätern« von strafbaren Handlungen gemacht zu haben.

Für linke Buchläden sei es nichts Neues, für Inhalte von Schriften juristisch belangt zu werden, berichten die Buchläden »Zur Schwankenden Weltkugel« und »Oh*21«. »So was haben wir schon in der Vergangenheit abgewehrt.« Früher hatten sie es allerdings mit der Staatsanwaltschaft und polizeilichen Durchsuchungen zu tun »und nicht mit Unternehmern und deren schlecht getarnten Spionen«, so die zwei Buchläden, die davon berichten, dass sie bereits Besuch vom Start-up hatten. Die vier betroffenen Projekte sind sich einig: »LAP steht für SLAPP.«

Gründer von LAP und CEO der Micro Retail Technologies MRT GmbH, Ralph Hage, teilt »nd« auf Nachfrage zur Unterlassungsaufforderung mit, man äußere sich grundsätzlich »nicht zu rechtlichen Verfahren oder zu Dritten«. Außerdem seien »bezahlbarer und erreichbarer Kaffee, die Expandierung des Marktes« sowie das Konzept, »Leben auf die Straße zu bringen« das »Gegenteil von Gentrifizierung«. Hage meint, LAP sei ein lokales Unternehmen mit einem spezifischen Modell: »Wir beziehen kleine Standorte in belebten Straßen und übernehmen bereits leerstehende Ladenlokale. Wir sind nicht an Immobilienprojekten beteiligt und sind nicht im Wohnungsbau tätig.«

Auf Nachfrage zur Kampagne »LAP Coffee ist Scheiße« erwidert Hage, dass man »wiederholt signalisiert« habe, »offen für ein vertrauliches Gespräch zu sein«. Bislang habe es von der Gegenseite »weder ein Zeichen von Präsenz noch von Vertrauen« gegeben. »Wir bleiben dennoch offen für einen konstruktiven Dialog im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen.«

Die Farbattacken inszenierte LAP auf »Instagram« gekonnt. Mitarbeitende dokumentierten die Reinigungsaktion unter der Frage: »Wie mache ich ein Schaufenster in weniger als 5 Minuten sauber?«. Außerdem kommentierten sie: »Nicht alle Helden tragen Umhänge, manche servieren einfach Kaffee.« Ralph Hage meldete sich auch zu Wort: »Es lag nicht an euch, an eurer tollen Arbeit (...) Diese Leute projizieren ihre eigenen Probleme, die sie mit der modernen Welt haben, auf LAP und nutzen unsere Filialen als Ventil, weil diese beliebt sind und ihnen dadurch Aufmerksamkeit verschaffen. Sie sind selbsternannte Robin Hoods, die für jemanden kämpfen, der sie nie darum gebeten hat.«

Die Aktivist*innen der Kampagne »LAP Coffee ist Scheiße« teilten in einem Brief an Ralph Hage mit, dass sie gerne mit ihm sprechen würden. Doch zunächst fordern sie eine Auflistung darüber, in welchen Fällen das Unternehmen seit der Gründung gegen Kritik juristisch vorgegangen ist, beziehungsweise mit juristischen Schritten gedroht hat. Außerdem möchten sie, dass Hage mindestens 80 Prozent seines derzeitigen Vermögens spendet: »Jeweils ein Drittel des Geldes soll an die um Mitbestimmung kämpfenden Beschäftigten bei Red Bull und Delivero Hero, die Gewerkschaft Verdi und die Gewerkschaft FAU gehen«, heißt es im Brief. Die Aktivist*innen fordern zudem, dass LAP an seinen Standorten eine seriöse Umfrage macht, was die Anwohner*innen von den Filialen im Kiez halten. Sollte ein »relevanter Teil der Befragten« gegen das Café sein, sollte dies umgehend geschlossen werden.

Öffentliche Aussagen von Ralph Hage und ein Blick in sein »LinkedIn«-Profil lassen mutmaßen, was er mit der Kaffee-Kette in Berlin vorhaben könnte. Zwei Jahre lang war er Manager beim Energy-Drink-Hersteller »Red Bull«, anschließend hatte er eine leitende Position beim Lieferdienst »Delivery Hero«. Er gründete den Lieferdienst »Yababa« und hatte führende Positionen in weiteren Start-ups. Im Interview mit dem Marketingdienstleister »The Global Talent Technology Company« sagt Hage Anfang des Jahres, dass ihn »Red Bull« als Unternehmen am meisten inspiriert habe. Den enormen Erfolg der Marke habe man eher als »Medienunternehmen« und »Unterhaltungsfirma«, statt als Energy-Drink-Hersteller erreicht. Hage sagt zudem, dass sein Unternehmen 100 LAPs in den kommenden drei Jahren in Deutschland eröffnen wolle. Gegenüber »nd« sagt Hage, dass er nicht plane, 100 Filialen in Berlin zu eröffnen. Außerdem vergleiche man sich nicht mit einem Energy Drink und Medienkonzern.

»LAP kann Kritik nicht nur nicht verhindern, sondern hat sie selbst provoziert.«

»Schwarze Risse«, »Zur Schwankenden Weltkugel«, »OH*21« und »Stadtteilbüro Friedrichshain«

In seiner jungen Unternehmensgeschichte auf dem Berliner Asphalt hat LAP nicht nur viel mediale Aufmerksamkeit bekommen, sondern auch zahlreiche Veranstaltungen organisiert und in den sozialen Netzwerken begleitet. Dazu gehören »Pop Up Events« mit der Dating-App »Hinge« sowie Yoga-Kurse in Kreuzberg. Beim Streaminganbieter »Spotify« findet man Playlists von der Kaffee-Kette.

Jenny vom Stadtteilladen Friedrichshain erzählt »nd«, wie wichtig es sei, dass es Projekte wie den »Gegenrechtsschutz« und die »No-Slapp-Anlaufstelle« gibt. Die Organisationen seien im »ersten Schock« fix und unkompliziert erreichbar gewesen. Für die vier Berliner Buch- und Stadtteilläden stehe fest, dass sie sich trotz des Vergleichsschlusses erfolgreich gegen den Einschüchterungsversuch des Unternehmens gewehrt haben. »Dazu gehört auch, dass wir transparent über das berichten, was uns widerfahren ist und damit einen Beitrag zum kritischen Diskurs um LAP Coffee leisten.« Das Start-up könne kritische Berichte über sich nicht nur nicht verhindern, sondern habe sie nun »selbst provoziert«.

Ende Oktober 2025 wurden LAPs in mehreren Stadtteilen mit roter Farbe beschmiert.
Ende Oktober 2025 wurden LAPs in mehreren Stadtteilen mit roter Farbe beschmiert.

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