Falsche Abschiebungsdebatte: Auch »Brauchbare« unter Migranten

Wer mit wirtschaftlichen Zwecken für das Recht zu Bleiben argumentiert, geht selbst dem Nützlichkeitsrassismus auf den Leim

  • Nelli Tügel
  • Lesedauer: 3 Min.
Warum soll der Ausbildungsplatz ein Argument für ein Bleiberecht sein? Menschlichkeit allein würde doch schon reichen.
Warum soll der Ausbildungsplatz ein Argument für ein Bleiberecht sein? Menschlichkeit allein würde doch schon reichen.

Es gibt ein journalistisches Genre, eine Art Sous-Sujet des Porträts, das sich wachsender Beliebtheit erfreut: Die Geschichte des fleißigen Migranten, der ungeachtet seiner nachgewiesenen Nützlichkeit für die deutsche Volkswirtschaft unter die Räder des Abschiebesystems gerät. Ein paar aktuelle Beispiele: Yared Tekeste Abay aus Rüsselsheim sollte »Deutschland verlassen, obwohl er integriert ist, einen Beruf in der Pflege ergreifen will und nun sogar einen entsprechenden Ausbildungsvertrag in der Tasche hat«, schrieb die »Frankfurter Rundschau« im Mai. Faisal K., so der SWR im Sommer, sei »fleißig, integriert, freundlich« und werde »trotz Bäckerei-Jobs« abgeschoben. Die »Süddeutsche Zeitung« widmete sich kürzlich ausführlich einer 26-Jährigen, die nach Georgien abgeschoben wurde, obgleich sie »Bayerns beste Auszubildende« war; auch sie hatte das Bäckereihandwerk gelernt. Der Fall zeige, so die SZ, dass die Abschiebeoffensive der Bundesregierung »im Einzelfall nicht immer gerecht« sei.

Nelli Tuegel

Nelli Tügel ist Redakteurin der Monatszeitung »analyse & kritik« und freie Journalistin. Hier nimmt sie Ausbeutung, Arbeiter*innenbewegungen und linke Strategien unter die Lupe.

Nicht nur Medien, auch Menschen, die es gut meinen, denen die Anti-Migrationspolitik der Merz-Regierung zu weit geht, die für die Brandmauer und gegen die AfD demonstrieren, begründen ihre Ablehnung von Abschiebungen mitunter mit Fleiß und Leistung hier und wirtschaftlichem Nutzen da. Deutschland brauche Fachkräfte! Sie zahlten doch Steuern und sicherten die Renten ab.

Für diese Argumentation gibt es einen Begriff: Nützlichkeitsrassismus. Der ist anschlussfähig von grün bis rechts. Auch unter Antirassist*innen fungiert er mitunter als Trojanisches Pferd, das die Grundannahmen des kapitalistischen Leistungsregimes, in dem Würde und Freiheit eines Menschen an Bedingungen geknüpft sind, in solidarisches und humanistisches Denken hineinschmuggelt.

Dieser Nützlichkeitsrassismus erhöht jedoch die Vulnerabilität und Ausbeutbarkeit am Arbeitsplatz – oft von denen, die ohnehin in besonders prekären Verhältnissen stecken. Denn stell dir vor: Nicht nur hängt bereits dein Aufenthaltstitel am Job – auch deine Fürsprecher*innen vermitteln dir, dass es dir in erster Linie deshalb zustehe, hier zu sein, weil du fleißig und freundlich bist. Es benötigt nicht viel Fantasie, um zu begreifen, dass diese Botschaft ebenjenes Selbstbewusstsein zersetzt, das es braucht, wenn man sich gegenüber Vorgesetzten behaupten oder mit anderen zusammentun will.

Mit den Grundsätzen der Arbeiter*innenbewegung ist das nicht vereinbar, weil die auf Zusammenhalt beruht und daher Spaltungen bekämpft. Der Nützlichkeitsrassismus aber vertieft zwei der wirkmächtigsten Spaltungslinien unter Lohnabhängigen: die zwischen vermeintlich »Fleißigen« und »Faulen« und die zwischen denen mit deutschem Pass und denen ohne. Davon abgesehen ist es schlicht und einfach verdammt ungerecht, dass einige immerzu doppelt und dreifach ihre Verwertbarkeit unter Beweis stellen sollen. Kolleg*innen verdienen es, dass sich andere breitbeinig vor sie stellen, wenn ihnen Abschiebung droht – weil sie Kolleg*innen (oder Nachbar*innen, Mitschüler*innen, Bekannte …) sind und nicht, weil es sich um eine ach so nützliche Arbeitskraft für den Chef oder die Volkswirtschaft handelt.

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