Brief aus dem Gefängnis

Der im Dresdener Antifa-Prozess angeklagte Thomas J. über seine Haftbedingungen

  • Thomas J.
  • Lesedauer: 7 Min.
Blick auf das Gefängnis Moabit in Berlin
Blick auf das Gefängnis Moabit in Berlin

Es gibt viel zu erzählen über Knast. Das ständige Eingesperrtsein für 22 Stunden am Tag auf neun Quadratmetern, den Mangel an Austausch mit anderen Menschen und die Überwachung aller sozialen Kontakte. Dies alles und so viel mehr macht Knast zu einer psychischen Ausnahmesituation, in der die Gefangenen meist allein sind mit ihren Gefühlen.

Die ersten Tage ist der Kopf voll mit Fragen und Gedanken zum Gefängnis, den Mitgefangenen, den Schließern sowie zu Freunden und der Familie außerhalb der Mauern. Diese Ungewissheit und Unsicherheit kann schnell zu Wut und Angst werden. Es ist wichtig, von der Willkür und Gewalt zu erzählen, die feste Bestandteile im System des Knastes sind. Davon zeugen die erschütternden Folterberichte im Herbst 2024 aus der JVA Augsburg und kürzlich der Suizid eines minderjährigen Gefangenen in der Jugend JVA Ottweiler, nachdem er von Schließern misshandelt wurde. Immer noch werden zum großen Teil Menschen bestraft und eingesperrt, weil sie arm sind, keinen deutschen Pass besitzen und, statt Hilfe zu erhalten bei psychischen Problemen, einfach weggesperrt werden. Aber genauso ist Knast auch ein Ort der Freundschaften und solidarischen Handlungen.

Inzwischen bin ich über elf Monate inhaftiert in der JVA Moabit und habe viele dieser Momente selbst erlebt. So gab es eine Sammelbeschwerde von 30 Gefangenen über einen Schließer, der uns immer wieder den Gang zum Kühlschrank verweigert hatte. Oder die vielen Besuche und Gespräche an meiner verschlossenen Zellentür, wenn die anderen Gefangenen ihren Stationsaufschluss haben, der mir elf Monate verboten war.

Im Dezember gab es eine größere Kontrolle in der JVA, unter anderem wurden alle Zellen mit Spürhunden durchsucht. Während dieser zwei Stunden mussten wir Gefangenen im Regen auf dem Hof warten, und eine Regenjacke hatte kaum einer von uns.

Es gibt immer wieder die kleinen Momente des Widerstands und der Selbstermächtigung.

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Während wir auf dem Hof zusammen im Regen unsere Runden gingen, saßen die Schließer in einem kleinen beheizten Häuschen, um die Gefangenen zu beaufsichtigen. Neben dem Häuschen ist eine kleine überdachte Fläche, perfekt zum Schutz vor dem Regen. Leider ist diese Unterstellfläche nur für die Schließer, und jeder Gefangene, der den Regenschutz nutzen möchte, wird sofort weggeschickt. Auch jetzt stellten sich immer wieder kleine Gruppen darunter, um dem Dauerregen zu entgehen. So wie wir immer nasser wurden, wurden die Schließer immer aggressiver beim Räumen der trockenen Stellfläche. Inzwischen waren wir alle nass bis auf die Haut und versuchten unter den Bäumen auf dem Hof Schutz vor dem Regen zu bekommen.

Ein einzelner Gefangener hatte sich etwas abseits vom Hof unter einem kleinen Baum vor dem Regen versteckt. Dieser Baum stand zwei Meter neben dem Weg, der unseren Hof begrenzt, und außerhalb der für die Gefangenen erlaubten Fläche. Aus seinem trockenen Häuschen schrie der Schließer den Gefangenen mehrmals über den gesamten Hof an, er solle zurück auf den Weg und runter von der Rasenfläche. Doch der Gefangene blieb unter dem Baum im Trockenen stehen. Wütend kam der Schließer auf den Gefangenen zugestürmt und schrie ihn an: »Bist du behindert, verstehst du mich nicht?!« Ich stellte mich vor den Gefangenen und fuhr den Schließer an, er solle aufhören so mit dem Gefangenen zu reden.

Es entstand ein Wortgefecht zwischen dem Schließer und mir. Ich erklärte, dass wir alle seit zwei Stunden durchnässt seien und frören, auch dass uns der einzige trockene Platz unter dem Dach ohne Begründung verwehrt werde. Und dass es für die Schließer keinen Grund gebe, Gefangene so anzuschreien oder zu beleidigen. Nebenbei wies ich den Schließer darauf hin, dass der Gefangene kein Deutsch verstehe.

Die durchnässten Gefangenen beobachteten uns, weitere Schließer kamen auf den Hof und standen um mich herum. Nach einigen Minuten wurde ich mit allen Gefangenen in das Gebäude gebracht. Dort mussten wir uns alle nebeneinander an einer Wand aufstellen, und jedem einzelnen Gefangenen stand ein Schließer gegenüber zur Bewachung. Anschließend wurden alle Gefangenen in einem Extraraum gründlich am gesamten Körper kontrolliert. Später bedankten sich viele der Gefangenen bei mir. Sie waren sehr dankbar, dass ich mich vor sie gestellt und mich für andere eingesetzt hatte. Aber das erstaunlichste war, dass mich der Schließer, mit dem ich auf dem Hof und bei der Kontrolle laut diskutierte, am nächsten Tag ansprach. Er bedankte sich ehrlich bei mir dafür, dass ich ihn auf sein Fehlverhalten hingewiesen hatte. In den nächsten Wochen und Monaten sprachen wir immer mal wieder über diese Situation, und er bedankte sich weitere Male.

In der JVA Moabit bin ich auf einer sogenannten Aufschlussstation. Dort soll statt einer dritten Hofstunde in der Theorie sechsmal in der Woche die Zelle für zwei Stunden geöffnet werden. Dann können Gefangene duschen, zum Kühlschrank oder einfach gemeinsam Zeit verbringen. In der Praxis findet dieser Aufschluss allerdings nur ein- bis zweimal statt und in manchen Wochen auch gar nicht. Diese Unregelmäßigkeit ist eine Folge von Personalmangel. Dank einer Sicherheitsverfügung des Justizsenates bin ich generell vom Aufschluss ausgeschlossen. Immer wieder schreiben Gefangene an die Anstaltsleitung, sie beschweren sich über die vielen Ausfälle und die Gesamtsituation beim Aufschluss. Aber es gibt auch Protest, um diese Situation zu verbessern und darauf aufmerksam zu machen.

An einem Tag begannen mehrere Gefangene auf ihrer Station zur Aufschlusszeit gegen ihre Türen zu schlagen. Für 20 bis 30 Sekunden war der Lärm im ganzen Block zu hören. Im Anschluss fragten sie über den Notruf der Zelle, ob es Aufschluss gebe. Die Antwort der Schließer war: »Wir kümmern uns«. Als nach 15 Minuten nichts geschehen war, schlugen die Gefangenen erneut gegen ihre Zellentüren. Dieses Mal noch mehr und noch lauter, und alle 15 Minuten wiederholt, bis fast die gesamte Station beteiligt war.

Der Lärm war im gesamten Haus zu hören, berichteten Gefangene der anderen Stationen am nächsten Tag. Nach der letzten Aktion der Gefangenen, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen, reagierten die Schließer. Normalerweise öffnen sie in solchen Fällen zu viert die Zellentür und machen dem Gefangenen eine Ansage mit der Drohung, ihn in den »Bunker« zu bringen. Aber bei einer ganzen Station ist das nicht möglich. Stattdessen stellten die Schließer für mehrere Stunden den Strom auf der gesamten Station ab. Jetzt gingen viele Gefangene an ihre Zellenfenster, im Nachbarhaus hatte ein anderer Gefangener seinen CD Player ans Fenster gestellt. Er beschallte den halben Knast mit »Tupac«, und immer mehr machten sich an ihren Zellenfenstern laut bemerkbar. Überall waren nun Gefangene zu sehen, zu hören, und es wurde brennendes Papier in den Hof geworfen.

Wie wir erwartet hatten, wurden in den nächsten Tagen viele Gefangene von unserer Station verlegt, um uns zu trennen. Mit dieser Reaktion der JVA hatten wir gerechnet, aber sagten uns, dass sich die Erfahrung trotzdem gelohnt hatte. Die Gefangenen meiner Station bedankten sich für die Unterstützung und Solidarität, obwohl ich nie beim Aufschluss teilnehmen konnte.

Oft haben Gefangene im Knast das Gefühl, allem ausgeliefert zu sein, den Launen der Schließer und der undurchsichtigen Bürokratie. Widerworte werden nicht akzeptiert und Anträge werden selten beantwortet oder verschwinden auch schon mal. Oft sind von solcher Willkür marginalisierte Gefangene besonders betroffen, da sie schlecht Deutsch sprechen oder als Drogenkonsumenten vermehrt mit psychischen Ausnahmesituationen zu kämpfen haben. Umso wichtiger ist es untereinander solidarisch zu sein, unabhängig vom sozialen Status hier im Knast. Es gibt immer wieder die kleinen Momente des Widerstands und der Selbstermächtigung. Es ist wichtig, sie zu suchen und zu erleben. Gerade mit dem Wissen und dem allgegenwärtigen Gefühl, strukturell am System Knast nicht viel ändern zu können. Solidarität ist wichtig auf allen Seiten der Mauer.

Dem in Dresden angeklagten Thomas J., Spitzname Nanuk, wird keine direkte Beteiligung an den dort verhandelten Taten vorgeworfen. Als Sporttrainer steht er wegen der mutmaßlichen Unterstützung der Gruppe vor Gericht. Der Brief erschien zuerst unter: freenanuk.noblogs.org.

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