Gängige Polizeipraxis bei Abschiebungen ist rechtswidrig

Asylunterkünfte müssen von der Polizei wie Wohnraum behandelt werden – auch dort gelten laut Karlsruhe Grundrechte

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Auch Asylunterkünfte sind Wohnraum – für ihre Durchsuchung ist laut einem wegweisenden Urteil auch ein richterlicher Beschluss nötig.
Auch Asylunterkünfte sind Wohnraum – für ihre Durchsuchung ist laut einem wegweisenden Urteil auch ein richterlicher Beschluss nötig.

Karlsuhe. Die Polizei durfte einen abgelehnten Asylbewerber nicht ohne Anordnung eines Richters aus seinem Zimmer in einer Berliner Gemeinschaftsunterkunft ergreifen, um ihn abzuschieben. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden und damit einer Verfassungsbeschwerde des betroffenen Mannes stattgegeben. Das Karlsruher Gericht stellte klar, dass es sich grundsätzlich um eine Durchsuchung handelt, wenn ein Betroffener zum Zwecke der Abschiebung in seinem Zimmer in einer Gemeinschaftsunterkunft aufgesucht wird, solange vorher nicht sicher ist, wo er sich aufhält. Für eine Durchsuchung ist laut Grundgesetz eine richterliche Anordnung notwendig.

Die Verfassungsbeschwerde des guineischen Staatsangehörigen wurde von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und dem Verein Pro Asyl unterstützt. Demnach waren Polizisten 2019 mit einem Rammbock morgens in das Zimmer des Klägers in einem Übergangswohnheim eingedrungen, um ihn abzuschieben. Einen entsprechenden Durchsuchungsbeschluss gab es nicht.

Nach einer Regelung im Aufenthaltsgesetz darf die Polizei zum Zwecke einer Abschiebung auch ohne Durchsuchungsbeschluss eine Wohnung »betreten«, wenn Tatsachen dafür vorliegen, dass sich die gesuchte Person dort aufhält. Strittig war, ob die Polizei in diesem Fall »betreten« oder »durchsucht« hatte.

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hatte in dem Vorgehen der Beamten keine Durchsuchung gesehen und die Klage des Betroffenen daher abgewiesen. Auch sein Antrag auf Zulassung der Revision blieb beim Bundesverwaltungsgericht ohne Erfolg. Mit »Durchsuchung« sei die Suche nach Personen oder Sachen oder die Ermittlung eines Sachverhalts in einer Wohnung gemeint, lautete das Argument. Das sei hier nicht passiert.

Das Bundesverfassungsgericht sieht das anders. Den Polizeibeamten sei bis zum Aufbrechen der Zimmertür nicht bekannt gewesen, »ob sich der Beschwerdeführer überhaupt im Zimmer der Gemeinschaftsunterkunft aufhielt, und schon gar nicht, wo genau in diesem Zimmer«. Es fehle daher nicht an einem »Element des Suchens nach etwas Verborgenem«.

Weil es für die Durchsuchung keine richterliche Anordnung gab, wurde der Beschwerdeführer durch das Vorgehen der Beamten in seinem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung verletzt, erklärte das Gericht. Die zuständige Kammer hob das Urteil des Oberverwaltungsgerichts auf und verwies die Sache zur neuen Entscheidung an das Gericht zurück.

Die GFF begrüßte das Urteil. »Abschiebungen sind kein Freibrief und Schlafzimmer von Geflüchteten keine rechtsfreie Zone, sondern als einziger und elementarer Rückzugsraum grundrechtlich besonders geschützt«, sagte GFF-Juristin Sarah Lincoln. Das Bundesverfassungsgericht habe der aktuellen Abschiebepraxis der Polizei mit seinem Beschluss eine Absage erteilt.

Ähnlich äußerte sich auch Pro Asyl. »Geflüchtete Menschen haben Grundrechte, die nicht einfach ignoriert werden können, nur weil es um eine Abschiebung geht«, kommentierte Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin bei Pro Asyl. Die Entscheidung aus Karlsruhe sei »ein wichtiger Denkzettel für die Regierung, in ihrer Migrationspolitik Grund- und Menschenrechte zu achten«.

Erst kürzlich hatte das Bundesverfassungsgericht in einem anderen Verfahren klargestellt, dass auch für Festnahmen im Zusammenhang mit geplanten Abschiebungen grundsätzlich vorher ein Richter die Abschiebehaft anordnen muss. Eine nachträgliche Haftanordnung sei nur in Ausnahmefällen erlaubt und müsse dann unverzüglich nachgeholt werden. dpa/nd

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