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»Antifa-Ost« und Budapest-Komplex: Eine Chronologie
Der Prozess in Dresden ist weder Beginn noch Ende der Verfolgung von Antifaschist*innen
Dezember 2019, Eisenach: Nach Auseinandersetzungen mit einem Neonazi werden mehrere Antifaschist*innen festgenommen oder von der Polizei kontrolliert. Die »Sonderkommission Linx« des LKA Sachsen intensiviert im Anschluss ihre Ermittlungen. Wenige Monate später zieht die Bundesanwaltschaft das Verfahren an sich und konstruiert den Vorwurf der kriminellen Vereinigung »Antifa Ost«.
November 2020, Leipzig: Lina E. wird festgenommen. Ihr und drei weiteren Antifaschist*innen werden sechs »Überfälle« auf Neonazis vorgeworfen, die sie zwischen dem Herbst 2018 und dem Frühjahr 2020 begangen haben sollen. Die Taten sind auch Teil der Vorwürfe im aktuellen Dresdner Prozess. E. soll die angebliche Vereinigung mit dem jetzt in Dresden angeklagten Johann G. geführt haben.
September 2021 bis Mai 2023, Dresden: Der erste »Antifa-Ost«-Prozess mit fast 100 Verhandlungstagen startet. Die Anklage basiert auf Aussagen von Johannes D. Nach Vergewaltigungsvorwürfen gegen ihn diente er sich bei Behörden als Kronzeuge an. D. erhielt dafür im eigenen Verfahren nur eine Geldstrafe, Lina E. und ihre Mitangeklagten aber mehrjährige Haftstrafen. Im Frühjahr 2025 bestätigte der Bundesgerichtshof das Urteil gegen E.: fünf Jahre und drei Monate Haft.
Juni 2023, Leipzig: Am 3. Juni 2023 findet nach dem Urteil im ersten »Antifa-Ost«-Prozess ein »Tag X«-Protest in Leipzig statt. Dabei kesselt die Polizei über 1300 Menschen ein, eine Demonstration kann nicht stattfinden. Zwei Jahre nach dem Kessel sind über 800 deshalb eröffnete Strafverfahren eingestellt und nur wenige Anklagen gegen Demonstrierende erhoben.
Februar 2023, Budapest: Rund um den jährlichen Neonazi-Aufmarsch zum sogenannten Tag der Ehre kommt es zu körperlichen Auseinandersetzungen zwischen Antifaschist*innen und Neonazis. Ungarns Polizei nimmt am selben Wochenende vier Antifaschist*innen fest, zwei von ihnen stammen aus Deutschland. Ungarische Behörden ermitteln mit großem Aufwand und veröffentlichen Fotos von Tatverdächtigen. Auf deutscher Seite ermittelt die Bundesanwaltschaft. 13 Deutschen wird eine Beteiligung an den Auseinandersetzungen vorgeworfen. Das Verfahren gegen die »Antifa-Ost« weitet sich zum »Budapest-Komplex« aus. Im Dresdner-Prozess sind die Taten in Ungarn Teil der Anklage.
Dezember 2023 bis heute, Budapest: Im Dezember 2023 wird Maja T. in einem Berliner Hotel festgenommen. Im Februar 2024 entscheidet die Bundesanwaltschaft, dass in ihrem Fall eine Auslieferung nach Ungarn Vorrang vor einem Prozess in Deutschland habe. Die nicht-binäre Person klagt dagegen, wird aber trotzdem in einer Blitzaktion rechtswidrig nach Ungarn ausgeliefert. Dort steht sie seit Februar 2025 vor Gericht, ein Urteil wird im Januar 2026 erwartet. Beobachter*innen sprechen von einem Schauprozess.
Mai 2024, Budapest: Der von Ungarns Polizei wegen Angriffen am »Tag der Ehre« verhaftete Tobias E. wird, nachdem er ein Geständnis abgelegt hat, zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Im Dezember 2024 wird er nach Deutschland ausgeliefert – und wieder festgenommen. Er gehört zu den Angeklagten im nun beginnenden Dresdner Prozess.
November 2024, Thüringen: Johann G. wird in einer Regionalbahn festgenommen. Seine Festnahme wird von der damaligen Innenministerin Nancy Faeser (SPD) als Zeichen gegen »Linksextremismus« kommentiert. Die Bundesanwaltschaft erklärt ihn zum Anführer der »Antifa-Ost«.
Februar bis September 2025, München: Nachdem sie im Mai 2024 festgenommen wurde, wird Hanna Schiller in München wegen einer Tatbeteiligung in Budapest angeklagt. Ihr wird unter anderem versuchter Mord vorgeworfen. Das Gericht folgt der Anklage in diesem Punkt nicht, verurteilt die Künstlerin aber zu einer fünfjährigen Haftstrafe. Der Prozess stützt sich auf Indizien, unter anderem eine umstrittene 3D-Körpervermess, die schon im Prozess gegen Lina E. zum Einsatz kam und im Dresdner-Prozess wieder eine Rolle spielen wird.
Januar 2025, mehrere Städte: Sieben Antifaschist*innen, die wegen der Taten in Budapest zum Großteil mit Haftbefehl gesucht werden, stellen sich den Behörden. Gegen sechs von ihnen beginnt im Januar 2026 ein Prozess in Düsseldorf. Ein Sonderfall ist Zaid A. der aus Deutschland nach Frankreich flüchtete und dort gegen die Auslieferung nach Ungarn klagt.
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