- Wirtschaft und Umwelt
- Fischer in Gambia
Kein Land in Sicht
Für Fischer in Gambia lohnt es sich kaum mehr, mit dem Boot auf die See zu fahren
Die Mittagssonne steht hoch am Strand von Gunjur. Auf dem Wasser drängen sich die bunten Fischerboote, während an Land Möwen kreischend über den Markt fliegen und Händlerinnen nach frischer Ware Ausschau halten. Auf Höhe des weißen Fabrikgebäudes am Fuße des Strands legt ein Boot an. Eine endlos wirkende Kolonne von Arbeitern wuchtet Kiste um Kiste an Land und trägt sie im Laufschritt durch die Tore der Fischmehlfabrik.
Aus dem Schornstein quellen dunkle Rauchwolken, die plötzlich abreißen, bevor die nächste Ladung Fisch den Maschinen neuen Schub gibt. »Sobald genug ankommt, läuft alles auf Hochtouren«, sagt Malang Jatta. Der 51-jährige Fischer und Musiker steht ein paar Meter weiter am Strand und dirigiert mit knappen Handzeichen die Männer, die die Körbe aus dem Boot seiner Familie heben. An die Fabrik verkaufe er nur selten, betont er – erst, wenn der lokale Bedarf gedeckt sei oder der Fisch nicht mehr ganz frisch. »Das Werk macht unser Leben schwer«, sagt er und presst die Lippen zusammen.
Beißender Geruch
Drei Monate habe er selbst in der Anlage gearbeitet, erzählt Jatta. Die Bezahlung sei miserabel gewesen, die Arbeitsbedingungen hart. »Was man da drinnen einatmet, macht krank«, sagt er. »Sogar unsere Kinder werden krank von den Abgasen.« Und dann sei da noch der Gestank. »Manchmal sitzt man zu Hause und fragt sich, ob jemand ins Haus gepisst hat.«
Auf seinem Grundstück hat Jatta Blumen und Büsche gesetzt, die den Geruch zumindest etwas filtern sollen. Eigentlich plant er, das Gelände zu einer kleinen Unterkunft für Tourist*innen auszubauen. Doch das Werk erschwert das. Auch die wenigen Gäste, die bereits kommen, beschweren sich über die schlechte Luft.
Die Fischmehlfabrik in Gunjur ist eine von drei Anlagen dieser Art in Gambia. Seit ihrer Eröffnung im Jahr 2016 entstanden weitere Betriebe: Ein chinesisch-mauretanisch geführtes Unternehmen im benachbarten Kartong ein Jahr später und 2018 eine mauretanische Anlage in Sanyang. Die Fabrik in Gunjur, betrieben von dem chinesischen Unternehmen Golden Lead, ist die größte von ihnen.
Hier wird der Fang zu Fischmehl und Fischöl verarbeitet und anschließend nach Asien, Europa oder Südamerika exportiert. Dort wird das Öl weiter raffiniert und – wie auch das Fischmehl – zu Tierfutter verarbeitet. In chilenischen, chinesischen oder norwegischen Aquakulturen landet dieses Futter schließlich in den Becken von Zuchtlachs oder Garnelen, die später auch in deutschen Supermärkten angeboten werden.
In einer offenen Hütte sitzt Fischer Famara Ndure und ruht sich im Schatten aus. Neben ihm knüpft ein Kollege schweigend ein Netz; ein paar Meter weiter trocknen Fisch und Meeresfrüchte in der Sonne, dahinter steigen Rauchschwaden aus den Räucheröfen. Auch Ndure hält wenig von der Fischmehlfabrik am Strand. »Wir wollen sie hier nicht«, sagt er knapp. »Sie bedroht unser Geschäft.«
Er selbst liefert nicht an die Fabrik – er fischt vor allem nach Hummer, Ladyfisch und Barrakuda. Doch er weiß, dass viele seiner Kollegen die Gelegenheit nutzen und ihre weniger frischen Bonga-Fische oder Sardinellen an die Anlage verkaufen.
Das Hauptproblem sieht Ndure jedoch bei den saisonalen Vertragsfischern, die wegen ihres Know-hows und ihrer größeren Boote häufig aus dem Senegal angeworben werden. Sie hielten sich nicht immer an die Regeln, sagt er. »Sie benutzen engmaschigere Netze und fangen dabei auch Jungtiere. Und die Fabrik nimmt alles – klein, groß, frisch, sogar halb verrottet. Egal.« So könnten sich in den ohnehin überfischten Gewässern keine ausreichenden Bestände mehr erholen.
Zerschnittene Netze
Hinzu kommt, dass diese Fischer regelmäßig die Netze der einheimischen Boote beschädigen oder durchtrennen. Und sie seien nicht die einzigen: Auch industrielle Trawler verirren sich immer wieder in die eigentlich geschützte Zone der lokalen Fischer, erzählt Ndure. Auch sie reißen Netze auseinander – eine Entwicklung, die ihm sichtlich zu schaffen macht. »Manchmal liege ich nachts wach und frage mich, ob mein Netz am nächsten Morgen noch ganz ist.«
Wird ein Täter auf frischer Tat ertappt, kann der betroffene Fischer zur Polizei gehen und Schadensersatz verlangen. Doch meistens bemerken sie die Beschädigung zu spät – und bleiben auf den Kosten sitzen.
»Diese Netze hier sind die teuersten«, sagt Ndure und deutet auf das, was sein Kollege neben ihm gerade knüpft. »Damit fischen wir bestimmte Arten am Meeresboden.« Etwa 60 Euro kostet ihn ein solcher Ballen. In einer Ecke der Hütte liegen stapelweise billigere Nylonnetze in Säcken, sie kosten rund zehn Euro pro Ballen. Um daraus ein Netz in ausreichender Größe zu knüpfen, braucht er allerdings zehn bis zwanzig Stück – bei den heutigen Beständen sei das kaum anders möglich.
Vorsorglich teilt er deshalb jeden Tag seine Einnahmen in gleich große Teile auf: für sich selbst, seinen Gehilfen, die Reparaturen am Boot, Treibstoff – und Netze. Wie viel am Ende übrig bleibt, hängt von der Saison und vom Glück des Tages ab. Manchmal seien es fünf bis 20 Euro pro Anteil. Heute jedoch war der Fang schlecht. Für ihn bleiben gerade einmal 90 Cent, genug für ein Frühstück und etwas Tee. »Wir warten auf morgen«, sagt er ruhig – fast schon stoisch.
Fischerboote gehören zum alltäglichen Bild entlang der rund 80 Kilometer langen Küste Gambias. Die kleinen handbetriebenen Boote versorgen häufig die lokale Bevölkerung; in den meisten Haushalten kommt Fisch mehrmals pro Woche auf den Teller. Die reichen Bestände im Meer ziehen seit jeher auch Fischer aus dem benachbarten Senegal an, wo die Fischerei vielerorts eine noch größere Rolle spielt als in Gambia. Einige senegalesische Familien leben bereits seit Generationen hier, andere kommen nur saisonal und kehren wieder zurück.
Nach Schätzungen des Fischereiministeriums lebten 2018 in dem rund 2,7-Millionen-Einwohner-Land etwa 200 000 Menschen direkt oder indirekt vom Fischfang. Damals lag der Anteil der Fischerei am Bruttoinlandsprodukt bei 6,2 Prozent. 2022 sprach der damalige Minister sogar von 12,1 Prozent und rund 300 000 Arbeitsplätzen.
Dass die Fischmehlfabrik einen spürbaren Beitrag zum wirtschaftlichen Aufschwung vor Ort leistet, glaubt Anwohner Alage Dabo jedoch keine Sekunde. Der freundliche Mann mit dem Fischerhut hat sich zu Famara Ndure in die Hütte gesetzt. Vor dem Bau der Anlage seien viele Versprechen gemacht worden, sagt er, wenig davon sei am Ende eingehalten worden.
Zwar sei die Firma einigen Bitten zur Investition in die örtliche Infrastruktur nachgekommen – etwa beim Ausbau der Straße, die zur Küste führt. Doch das reiche bei Weitem nicht, meint Dabo. Unter dem Strich profitiere die Gemeinde kaum von der Anlage. »Geld geht vielleicht an die Regierung, aber hier kommt es nicht an«, sagt er. Wenn es nach ihm ginge, bräuchte es die Fabrik nicht. »Wir sind ja auch zurechtgekommen, bevor sie gekommen ist.«
Zusammenstöße auf See
Auf dem Meer haben sich inzwischen mehrere Frontlinien verfestigt. »Die Fabrikfischer flüchten vor den industriellen Trawlern, und wir wiederum vor ihnen«, erklärt Famara Ndure. Früher hätten sich manche Kleinfischer gegen die großen Schiffe heftig gewehrt und sogar Molotow-Cocktails eingesetzt. »Wenn sie Feuer geworfen haben, drehten die Trawler manchmal ab«, erzählt er. Seit die Schiffe jedoch mit Dieselkraftstoff betrieben werden, sei das kaum noch wirksam.
Trotzdem kommt es immer wieder zu gefährlichen Konfrontationen – manchmal mit tödlichem Ausgang. Vor einigen Monaten, berichtet der 14-jährige Mohamed, der gerade an Ndures Hütte vorbeikommt, sei es erneut zu einem Unfall gekommen. Es war bereits Abend, als er mit seiner Crew hinausfuhr. Nachdem sie gegessen hatten, legten sich alle schlafen – bis auf den 38-jährigen Bassiri, der Wache hielt. Als er bemerkte, wie ein Trawler auf sie zuhielt, begann er hastig, die anderen zu wecken. Doch bevor jemand richtig reagieren konnte, rammte das große Schiff ihr Boot. Bassiri stürzte über die Reling und verschwand im dunklen Wasser. »Drei Tage später sahen wir seinen leblosen Körper auf dem Meer treiben«, sagt Mohamed. In der Hütte wird es still.
Ob er seither Angst vor den Trawlern hat? Ndure antwortet für ihn: »Natürlich. Wir haben alle Angst.« Einmal seien er und einige Kollegen zum Fischereiministerium in Banjul gefahren, um ihren Unmut zu äußern, erzählt er. »Und was haben die Mitarbeiter uns dort gesagt?« Seine Stimme klingt bitter. »Ihr habt nur kleine Boote. Ein Trawler bringt uns mehr ein, als ihr alle zusammen je könntet.« Ndure macht eine wegwerfende Handbewegung. »Also stellen sie sich eher hinter die Trawler als hinter uns. Dabei ernähren wir die Menschen hier. Die Trawler fischen tonnenweise ab – und alles landet im Ausland.«
Der Tag neigt sich in Gunjur dem Ende zu. Nach dem Nachmittagsgebet sitzen Famara Ndure und Alage Dabo bei einer Runde Tee zusammen und erzählen von früher. Mit der Unabhängigkeit Gambias 1965 sei sein Vater als junger Mann aus dem Senegal hierhergezogen, berichtet Ndure. »Er war einer der ersten Fischer, die sich hier niedergelassen und alles aufgebaut haben.«
Seit er selbst die beiden Boote seines Vaters übernommen hat, beobachtet er, wie die Fischbestände Jahr für Jahr zurückgehen. Vor zehn, fünfzehn Jahren sei alles noch anders gewesen, erinnert er sich. »Wenn wir damals während der Regenzeit die Netze eingeholt haben, war das Boot auf einen Schlag voll.«
Heute werde es von Tag zu Tag schwerer, den Lebensunterhalt aus dem Meer zu holen. Doch eine Alternative gebe es für ihn und seine Kollegen nicht. »Fischen ist nun mal das, was wir tun«, sagt er und sieht auf den langsam dunkler werdenden Strand. »Egal, wie hart es auch ist.«
»Das Ministerium stellt sich eher hinter die Trawler als hinter uns. Dabei ernähren wir die Menschen hier. Die Trawler fischen tonnenweise ab – und alles landet im Ausland.«
Famara Ndure Fischer aus Gunjur
Wir haben einen Preis. Aber keinen Gewinn.
Die »nd.Genossenschaft« gehört den Menschen, die sie ermöglichen: unseren Leser*innen und Autor*innen. Sie sind es, die mit ihrem Beitrag linken Journalismus für alle sichern: ohne Gewinnmaximierung, Medienkonzern oder Tech-Milliardär.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen sichtbar machen, die sonst untergehen
→ Stimmen Gehör verschaffen, die oft überhört werden
→ Desinformation Fakten entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und vertiefen
Jetzt »Freiwillig zahlen« und die Finanzierung unserer solidarischen Zeitung unterstützen. Damit nd.bleibt.