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Kundgebung in Potsdam: Keine Toleranz für Intolerante
Kundgebung zum zweiten Jahrestag des Potsdamer Geheimtreffens
Fast über die gesamte Breite der großen Treppe zur Potsdamer Nikolaikirche wird am Dienstagabend ein Transparent ausgerollt. »Solidarisch gegen rechts«, steht darauf. Aus Lautsprechern dröhnt »Schüsse in der Luft«, ein Song von Kraftklub. Im Liedtext heißt es: »Bevor du etwas falsch machst, dann mach mal lieber gar nichts.«
Doch die 1500 bis 2000 Menschen, die sich auf dem Alten Markt von Potsdam versammelt haben, wollen dem Rechtsruck nicht tatenlos zusehen. Wer eine Demonstration anmelde, stelle sich die bange Frage, ob denn jemand komme, erklärt Landelin Winter von der Grünen Jugend. Die gute Nachricht sei jetzt, dass mehr Menschen da seien als im vergangenen Jahr.
Anlass der Kundgebung ist der zweite Jahrestag eines berüchtigten Geheimtreffens von Rechten in der Villa Adlon in Potsdam. Der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner hatte hier in der Stadt Überlegungen vorgestellt, wie Flüchtlinge aus der Bundesrepublik verdrängt werden könnten und sogar auch »nicht assimilierte« deutsche Staatsbürger, deren Eltern oder Großeltern eingewandert sind. Das enthüllte die Redaktion »Correctiv« im Januar 2024. Sie verwies dabei auf die Wannseekonferenz, bei der die Nazis 1942 über die bereits angelaufene Ermordung der europäischen Juden beraten hatten. Die Folge des Enthüllungsberichts waren bundesweit große Demonstrationen. Auch hier auf dem Alten Markt in Potsdam hatte es damals eine gegeben, bei der Kanzler Olaf Scholz (SPD) geredet hatte.
Am Dienstag hat nun nicht einmal Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) Zeit dafür. Er hat andere Termine. Landelin Winter bedauert das. Er hätte gern gehört, wie Woidke erklärt, dass er sich eine Zusammenarbeit mit der AfD vorstellen könne – wenn diese Partei alle Rechtsextremisten hinausschmeißen würde und viele andere, die Freiheit und Demokratie verachten.
Gekommen ist die neue Oberbürgermeisterin Noosha Aubel (parteilos). Sie steht in der Menge, wiegt sich zur Musik und läuft erst kurz vor ihrem Auftritt die Stufen zur Kirche hoch. Als Oberbürgermeisterin ist Aubel zugleich Chefin des Bündnisses »Potsdam bekennt Farbe«. Bei anderen Rollen, die sie übernehmen soll, habe sie ihre Zweifel, gesteht die Politikerin. Doch dieses Bündnis leite sie »voller Überzeugung«. Unter dem Jubel ihrer Zuhörer sagt Aubel, die Mehrheit der Bevölkerung lasse nicht zu, dass die Werte der Verfassung zur Disposition gestellt werden. Potsdam sei demokratisch und bleibe es. »Nicht mit uns, nicht in Potsdam, nicht in unserem Land«, sagt Aubel an die Adresse der Rechten. Sie fordert: »Keine Toleranz den Feinden der Toleranz!« Die Oberbürgermeisterin wertet die rege Beteiligung an der Demonstration als »starkes Zeichen«. Sie ist aber auch überzeugt, dass Demonstrieren allein nicht ausreiche. »Wir müssen raus aus unserer Blase.« Jeder trage Verantwortung, am Arbeitsplatz und am Küchentisch für ein offenes Miteinander zu werben.
Links von Aubel haben die Eltern gegen rechts auf der Treppe der Nikolaikirche einen kleinen Bereich für Kinder abgetrennt. Dort hüpfen die Kleinen, rutschen auf dem Geländer, blasen Trillerpfeifen und stimmen mit ein, wenn die Erwachsenen skandieren: »Wir, wir, wir sind die Brandmauer!« Sie strahlen, als die Menge sie im Chor mit einem »Hallo Kinder« grüßt. »Der Rechtsruck bedroht die Zukunft aller Kinder in Deutschland«, sagt eine Mutter.
Auch die Omas gegen rechts sind da, die am Mittwochabend von der SPD mit dem Regine-Hildebrandt-Preis ausgezeichnet werden sollen.
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