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Die Eugenik der Tech-Milliardäre
Wenn Eingriffe ins Erbgut von Babys als reproduktive Freiheit verkauft werden
Seit Entdeckung der Genschere Crispr-Cas9 wird auch über die Möglichkeit diskutiert, sie bei menschlichen Embryonen einzusetzen und so genetisch veränderte Kinder zu erschaffen. Dass die Wissenschafts-Community dies momentan noch für zu riskant befindet, hält Start-ups aus dem Silicon Valley nicht davon ab, Designerbabys auf den Markt bringen zu wollen. Dahinter stehen die Investments von prominenten Tech-Milliardären, die ihre eugenischen Gesellschaftsvorstellungen durch neue Reproduktionstechnologien umsetzen wollen.
War der Eugenik-Begriff lange Zeit vor dem Hintergrund seiner Auswüchse in Form von Zwangssterilisation in den USA und Massenmord in der NS-Zeit zu Recht negativ besetzt, erlebt er momentan ein Comeback. In der aktuellen, »liberalen« Version der US-amerikanischen Tech-Eliten steht eine vermeintliche reproduktive Freiheit im Vordergrund. Das Streben, möglichst optimierte Kinder zu bekommen, wird zu einem Akt des Self-Empowerment verklärt.
Eine Dystopie als Vorbild
So plant das Start-up Preventive aus San Francisco, Dank Investments von OpenAI-CEO Sam Altman sowie des Coinbase-Gründers und CEO Brian Armstrong, die genetische Veränderung von Embryonen zu kommerzialisieren. Auf seiner Internetseite beteuert das Unternehmen, dies nur tun zu wollen, wenn es sich als sicher erweist. Doch die Investoren erhoffen, nicht nur Gewinne zu erzielen, sondern handeln auch ideologisch motiviert. Armstrong schreibt in einem Post bei X, die Editierung von Embryonen und andere Reproduktionstechnologien würden sinkenden Geburtenraten entgegenwirken und die Evolution beschleunigen und bezieht sich dabei positiv auf den dystopischen Film »Gattaca«, in dem es um Diskriminierung aufgrund von Genanalysen geht. Laut Recherchen von »The Wall Street Journal« ist Preventive bereits in Gesprächen mit einem Wunschelternpaar, das an einer klinischen Studie des Unternehmens teilnehmen will – auch wenn solche Experimente in den USA verboten sind.
Weitere Start-ups in diesem Bereich sind Manhattan Genomics und Bootstrap Bio. Ersteres wurde von Cathy Tie, einer ehemaligen Stipendiatin von Tech-Milliardär Peter Thiel, mitbegründet. Bootstrap Bio wird unter anderem von Simone und Malcolm Collins finanziert, die ebenfalls aus dem Umfeld von Thiel stammen und als Stimmen für die Pronatalismus-Bewegung bekannt sind. Diese fordert mehr Nachwuchs zum Ausgleich für eine negative demografische Entwicklung. Dabei sind jedoch nicht die Geburtenraten von allen gemeint, sondern die der weißen Oberschicht. Die Collins’ sind auch dafür bekannt, dass sie seit ihrem dritten Kind polygene Embryoselektion nutzen, bei welcher der statistische Einfluss von Tausenden oder Millionen kleiner Genvarianten zusammengerechnet wird, um Vorhersagen über Eigenschaften des späteren Kindes zu treffen. Verschiedene Start-ups versprechen ihren wohlhabenden Kund*innen genetisch optimierten Nachwuchs durch diese neue Technologie. Einige behaupten, nicht nur Erkrankungen herauszufiltern, sondern werben auch damit, Embryonen nach Eigenschaften wie Intelligenz auswählen zu können. Diese Fantasie ist nicht nur eugenisch, sondern basiert auch auf einem unzureichenden Verständnis von Genetik.
Behindertenfeindliches Menschenbild
In der naiven Vorstellung der »Tech-Bros« wird die exponentielle Verbesserung von Computertechnologie der letzten Jahrzehnte auf die Biologie übertragen: Mit der richtigen Vision, genügend Geld und Risikobereitschaft erscheint alles möglich. Bei experimentellen Reproduktionstechnologien wie Genome Editing und polygener Embryoselektion geht es aber nicht um das nächste Uber, sondern die Körper von schwangeren Personen und Kinder. Dabei ist der genetische Einfluss auf komplexe Eigenschaften und das Zusammenspiel des Erbguts mit Umwelteinflüssen längst nicht ausreichend erforscht, um es zu »hacken«.
Auch die vermeintliche Entscheidungsfreiheit von Wunscheltern entpuppt sich bei näherer Betrachtung als Illusion, schließlich richtet sie sich an der Produktpalette der Unternehmen aus, die wiederum von dem behindertenfeindlichen Menschenbild der Gründer*innen und beteiligten Wissenschaftler*innen geprägt sind. Wie bei anderen Auswüchsen der Eugenik liegt auch hier die Annahme zugrunde, dass einige Leben mehr wert seien als andere. Menschen und ihre Eigenschaften werden hierarchisiert und die Komplexität des menschlichen Lebens wird auf genetische Marker reduziert. Die reproduktionstechnologisch unterstützte Eugenik fügt sich nahtlos ein in den momentanen politischen Rechtsruck – der Glauben an biologisch bestimmte Differenzen und unterschiedliche Wertigkeiten verbindet die Diskriminierungsformen, die momentan im Aufwind sind.
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