Hoffnung der Solar­glas­firma zerbricht

Investor für Werk in Tschernitz springt ab, 215 Beschäftigte verlieren ihre Arbeit

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 3 Min.
Mitarbeiter Heiko Wagner im Jahr 2009, als das alte Fernseh­glaswerk in Tschernitz mit Solar­glas gerade eine neue Perspektive hatte
Mitarbeiter Heiko Wagner im Jahr 2009, als das alte Fernseh­glaswerk in Tschernitz mit Solar­glas gerade eine neue Perspektive hatte

Als moderne Flachbildschirme das Aus für das alte Fernsehglaswerk in Tschernitz (Spree-Neiße) bedeuteten, kam als Rettung 2009 die Umrüstung auf die Herstellung von Spezialglas für Solaranlagen. Doch das ist jetzt, wiewohl von hoher Qualität und an sich kostengünstig produziert, gegen subventioniertes chinesisches Solarglas nicht mehr konkurrenzfähig. Der indische Mutterkonzern der Glasmanufaktur Brandenburg GmbH steigt aus, und ein Investor, der an einer Übernahme Interesse zeigte, ist abgesprungen, wie der vorläufige Insolvenzverwalter Knut Rebholz der Deutschen Presse-Agentur sagte.

Im Insolvenzverfahren befindet sich der Betrieb bereits seit Juli. Nun wird den 215 Mitarbeitern gekündigt. Sie sollen nach Angaben der Gewerkschaft IG Bergbau, Chemie, Energie bereits zum 1. Dezember freigestellt werden. »Nach Monaten voller Hoffnungen, Gespräche, Prüfungen und intensiver Verhandlungen ist das ein schwerer Schlag für die Belegschaft«, sagt Anis Ben-Rhouma, stellvertretender Bezirksleiter der Gewerkschaft. »Dass der Investor jetzt aussteigt, lässt die Menschen im Stich und zerstört das Vertrauen, das viele in den Prozess gesetzt haben.« Dem Mutterkonzern Borosil wirft Ben-Rhouma vor: »Kurzarbeit, dann Insolvenz, dann haut man ab und zieht sich aus der Verantwortung.« Das will sich die Gewerkschaft nicht gefallen lassen und ruft die Beschäftigten zu einer Protestaktion am Montag auf.

»Ich kann die grenzenlose Enttäuschung nachempfinden und habe volles Verständnis für die große Wut und Verärgerung der Beschäftigten«, erklärt Brandenburgs Wirtschaftsminister Daniel Keller (SPD). Das Aus für den Betrieb sei eine »schreckliche Nachricht« für die Mitarbeiter und ihre Familien. »Wir haben bis zuletzt und bis an die Grenzen des rechtlich Vertretbaren an Möglichkeiten weiterer Unterstützung gearbeitet«, beteuert der Politiker. »Der Rückzug des Investors lässt leider keinen Zweifel, dass nun auch der letzte noch verbliebene europäische Solarglashersteller seinen Betrieb endgültig einstellen muss.« Dies sei umso bedauerlicher, als das Produkt zu den hochwertigsten am Weltmarkt zähle. Nun laufe die EU sehenden Auges in eine Abhängigkeit von China, was in dem besonders sensiblen Bereich der Energie fahrlässig sei.

Keller hatte sich nach eigenen Angaben bereits im Februar schriftlich an EU-Handelskommissar Maroš Šefčovič gewandt und sich für einen sogenannten Resilienzbonus zum Schutz der heimischen Solarglasindustrie eingesetzt. Solch einen Bonus hatte auch der Bundestagsabgeordnete Christian Görke (Linke) gefordert, der bereits im März 2024 die Glasmanufaktur besucht und dabei gewarnt hatte: »Es ist fünf Minuten nach zwölf.«

Nun kann Wirtschaftsminister Keller lediglich versprechen: »Wir werden die Beschäftigten und Tschernitz nicht alleinlassen.« Die Arbeitsagentur werde die Leute in andere Jobs vermitteln oder ihnen neue Perspektiven aufzeigen, und die Wirtschaftsfördergesellschaft des Landes Brandenburg werde sich für eine gewerbliche Nachnutzung des Standorts einsetzen.

84 273 Brandenburger waren im November erwerbslos gemeldet. Die Arbeitslosenquote ist im Vergleich zum Vorjahresmonat um 0,1 Prozentpunkte auf 6,2 Prozent gestiegen. In Berlin waren 217 967 Arbeitslose registriert. Hier kletterte die Erwerbslosenquote im Vergleich zum Vorjahr um 0,5 Prozentpunkte auf 10,2 Prozent. »Der Arbeitsmarkt in der Region stagniert weiterhin, von der saisonüblichen Herbstbelebung ist auch im November kaum etwas zu spüren«, analysiert am Freitag Ramona Schröder. Die Regionaldirektionschefin der Arbeitsagentur bedauert: »Es mangelt der Wirtschaft an Impulsen, die die Unternehmen zu Neueinstellungen bewegen würden.«

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