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Wirtschaft und Finanzen: Paradigmenwechsel in Kuba
Das Land liberalisiert sich zunehmend und öffnet den Finanzsektor für ausländisches Kapital
Gebeutelt von einer schweren Wirtschafts- und Energiekrise sowie verschärften US-Sanktionen, beschleunigt Kuba die Dollarisierung seiner Wirtschaft und öffnet sie in einem bisher nicht gekannten Maße für ausländisches Kapital. Zum Auftakt der wichtigsten Handelsmesse des Landes versprach Außenhandelsminister Oscar Pérez-Oliva in der vergangenen Woche ein umfangreiches Maßnahmenbündel, das in vielfacher Hinsicht einen Paradigmenwechsel darstellt.
»Die kubanische Regierung verpflichtet sich, einfachere, flexiblere und transparentere Verfahren für ausländische Investoren einzuführen«, kündigte Pérez-Oliva an. Langwierige bürokratische Prozesse und Auflagen sorgten in der Vergangenheit für Frust bei potenziellen Investoren. Um die Produktion im Land anzukurbeln, erhalten ausländische Unternehmen künftig die Möglichkeit, nicht ausgelastete Industrien und Produktionsanlagen zu übernehmen, für deren Betrieb dem kubanischen Staat die Ressourcen fehlen. Die Idee sei, dass ausländische Investoren die Anlagen instand setzen, sie für eine vereinbarte Zeit nutzen, Gewinne erzielen und die Anlagen anschließend an den Staat zurückgeben, erläuterte der Minister.
Ein ähnliches Konzept wird in der Landwirtschaft bereits erprobt. In einem Pilotprojekt baut derzeit ein vietnamesisches Unternehmen in der Provinz Pinar del Río mit eigenem Saatgut und Betriebsmitteln Reis an und erzielt dabei viermal höhere Erträge als auf vergleichbaren kubanischen Flächen. Das Modell soll nun auf andere Landesteile ausgeweitet werden.
»Wenn ein ausländischer Investor nach Kuba kommt, sieht er sich zunächst dem Druck der US-Regierung ausgesetzt.«
Omar Everleny Pérez Villanueva Ökonom
Auch der in diesem Jahr gestartete Modellversuch, die Hotels des Landes an internationale Hotelkonzerne zu verpachten, die diese bisher nur verwaltet haben, und ihnen somit eine größere operative Autonomie zu geben, könnte Vorbildcharakter haben, erklärte Pérez-Oliva.
Überdies öffnet Kuba seinen Banken- und Finanzsektor für ausländisches Kapital. Einzelheiten nannte der Minister nicht, stellte aber ein neues Finanzierungsinstrument vor. Angesichts hoher Außenstände seinen Schuldnern gegenüber bietet Havanna ausländischen Kapitalgebern künftig Swaps an. In diesem Fall ist das ein Austausch von Verbindlichkeiten gegen die vorübergehende Abtretung von Vermögenserträgen. Als Ziel dieser Maßnahme nennt die Regierung den Zugang zu neuen Finanzierungsquellen und frischen Deviseneinnahmen.
»Der einzige Weg, wie das Land derzeit Zugang zu externen Finanzquellen erhält, sind ausländische Investitionen«, sagt der kubanische Ökonom Omar Everleny Pérez Villanueva. Weder Kredite noch andere Varianten würden wegen der hohen Verbindlichkeiten funktionieren. »Und genau hier muss meiner Meinung nach auch mehr getan werden, um die bestehenden Verpflichtungen, die seit Langem auf Eis liegen, wieder in Gang zu bringen.«
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Insgesamt hält Pérez Villanueva die angekündigten Maßnahmen für »einen Schritt in die richtige Richtung«. »Allerdings reichen sie angesichts der aktuellen Lage der kubanischen Wirtschaft nicht aus.« Man hätte zum Beispiel die staatliche Arbeitsvermittlungsagentur abschaffen können, sagt er. Doch das sei nicht geschehen. Ausländische Unternehmen auf Kuba beklagen seit Langem, dass sie Arbeitskräfte nur über eine staatliche Agentur einstellen dürfen. Diese Praxis wird nun flexibilisiert. Die Agentur bleibt zwar bestehen, künftig können Unternehmen aber nach einer Vorauswahl Arbeitskräfte direkt anstellen.
Bei Unternehmern wurde gerade dieser Aspekt positiv aufgenommen. Das erleichtere einiges, sagt Frank Peter Apel vom Hydraulik-Dienstleister PASI Mariel Service. »Die Ankündigungen sind offensichtlich eine Antwort auf die tiefe Krise. Sie zeigen für meine Begriffe Flexibilität und den Willen, etwas zu reformieren«, so seine Einschätzung. Man müsse aber abwarten, wie die neuen Regularien letztlich ausgestaltet werden. Wie Vize-Außenhandelsministerin Deborah Rivas Saavedra im Anschluss an die Rede von Pérez-Oliva gegenüber der Presse in Havanna erklärte, soll das zeitnah geschehen.
Pérez Villanueva hat bei seiner Bewertung eher Unternehmen im Blick, für die Kuba als Investitionsstandort attraktiver werden will. »Wenn ein ausländischer Investor nach Kuba kommt, sieht er sich zunächst dem Druck der US-Regierung ausgesetzt. [Mit den Maßnahmen] gelingt es, eine ganze Reihe von Hindernissen für die kubanische Wirtschaft zu sortieren.« Er glaube aber nicht, dass das angekündigte Maßnahmenpaket »attraktiv genug ist, um Kapital in der erforderlichen Größenordnung anzuziehen«.
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