Sonder-Gebot

Der alljährliche Wahnsinn: Black Friday zur Weihnachtszeit

  • Jana Talke
  • Lesedauer: 4 Min.
Dieser Typ ist nicht auf Sonderangebote angewiesen. Aber könnte man ihn nicht mal endlich verramschen? Jedoch an wen?
Dieser Typ ist nicht auf Sonderangebote angewiesen. Aber könnte man ihn nicht mal endlich verramschen? Jedoch an wen?

Howdy aus Texas, liebe Lesende,

die besinnliche Zeit ist in den USA auch immer Shoppingzeit. Und egal, was die Börse sagt, Fehlinvestitionen in Form von überteuerten Geschenken werden weiterhin getätigt. Eigentlich liebe ich das Shopping ja, habe in meiner Zeit in den Staaten aber eine regelrechte Phobie vor den früher so geschätzten Sonderangeboten entwickelt. Es gibt sie nämlich ständig, sodass es mittlerweile unsinnig scheint, irgendetwas zum vollen Preis zu erstehen. Du kaufst zum ersten Mal online bei einer Firma? Abonniere E-Mails und erhalte einen Zehn-Prozent-Coupon! Spare 14,99 Versandgebühren, indem du für über 100 Dollar einkaufst! Da lohnt es sich, den Zehn-Prozent-Coupon wieder zu entfernen. Bist du Kunde in einem Laden, hast du Sparpunkte auf deinem Konto, die sich aber nicht für alle Marken einlösen lassen. Das Shoppen verlangt einem zunehmende Professionalität ab.

Sie denken sich vielleicht gerade: »So ähnlich ist es bei uns in Deutschland mittlerweile auch.« Sie haben jedoch garantiert nicht all unsere offiziellen Sale-Tage: Neujahrstag, Martin Luther King Jr. Day, Presidents Day, St. Patrick’s Day, Ostern, Arbor Day (wieso nicht am umweltfreundlichen Tag des Baumes Bäume shoppen?), Mutter- und Vatertag, Memorial Day, 4. Juli, Amazon Prime Day, Sales Tax Holiday, Labor Day, Halloween, Black Friday, Cyber Monday, Super Saturday (für Last-Minute-Weihnachtsgeschenke) und auch noch Silvester.

Talke talks

News aus Fernwest: Jana Talke lebt in Texas und schreibt über amerikanische und amerikanisierte Lebensart.

Am schlimmsten ist es, wenn etwas, das man schon heruntergesetzt gekauft hat, nochmals reduziert und man darüber per SMS unterrichtet wird (schließlich hat man die Handynummer einst gegen einen einmaligen 20-Prozent-Gutschein getauscht). Das ist mir gerade passiert: Ich kaufte Mitte November einen Weihnachtsbaum für 200 Dollar – fake natürlich, wir sind ja schließlich in Texas –, reduziert von angeblich 400. Eine Woche später hieß es in der SMS des Geschäfts, der »Pre-Black-Friday-Sale« sei da (dieser beginnt eine Woche vor Thanksgiving): »Alle Bäume bis zu 70 Prozent runtergesetzt!«

Ich überlegte: Man könnte den Baum wieder wegschicken und einen neuen bestellen, aber das ist mühsam. Man könnte auch den Kundenservice anrufen und anbetteln, dass er den Preis anpasst, was logistisch einfacher, aber emotional noch mühsamer ist, wenn man wie ich das Telefonieren und Anbetteln hasst. Ich begab mich erst mal ins Netz, um den Baum-Sale eingehend zu analysieren. Mein Baum war nicht mehr da, was mich kurzzeitig sehr freute – wer will denn nicht etwas Begehrenswertes und Ausverkauftes ergattert haben, sei es auch nur einen faken Weihnachtsbaum? Doch dann fand ich ihn: nicht im Supersale, sondern in einer Art Purgatoriums-Ausverkauf (roter Preis, aber kein alter dabei), für 400 Dollar. Der Ursprungspreis war in diesem Fall wohl doch keine Erfindung – eine überraschende Wendung! Meine Erleichterung darüber, nichts mehr unternehmen zu müssen, war größer als die Freude über die (fake) Ersparnis.

The same procedure as every year: Black Friday in New York.
The same procedure as every year: Black Friday in New York.

Wie es mittlerweile um den Baum steht, wage ich nicht mehr zu googeln. Die Gefahr einer neuen Reduktion ist groß, denn wir befinden uns gerade in der Cyber-Woche, die auf den Black Friday, den wichtigsten Shoppingtag der USA, folgt. Der »Schwarze Freitag«, der Tag nach dem Erntedankfest und Brückentag, wird seit vielen Jahrzehnten zum Geschenkekaufen genutzt. 1939 ließ Präsident Franklin D. Roosevelt das Thanksgiving-Fest gar um eine Woche vorverschieben, um den Bürgern mehr Zeit zum Feiertagsshopping zu geben. Der (bis jetzt) einzige US-Präsident, der viermal im Amt war, hatte wohl Angst, nicht wiedergewählt zu werden, wenn er Weihnachten später terminierte.

Der Black Friday ist aber nicht mehr das, was er mal war. Vor einigen Jahren kampierten Menschen noch in der Thanksgiving-Nacht vor Läden, um sich nach vielen Stunden in der Kälte mit ihren Gerade-Noch-Nachbarn um irgendwelche Fernseher zu kloppen, die längst in der Mülldeponie gelandet sind. Es war aufregend, gefährlich und hatte ein Ende. Heutzutage sitzen wir alle daheim vorm PC und bestellen, ohne physische Gewalt oder Kälte zu erfahren, aber dafür unter den fluktuierenden, niemals endenden Sales leidend. Vielleicht erlässt ein US-Präsident irgendwann ein Sondershopping-Jahr? Es wäre eine Erlösung.

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