Besuch bei einem Verbrecher

Cyrus Salimi-Asl kritisiert den Merz-Besuch in Israel

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 4 Min.
Als Oppositionsführer und CDU-Chef hat Friedrich Merz den israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu schon 2024 in Israel getroffen. Jetzt kehrt er als Bundeskanzler zurück.
Als Oppositionsführer und CDU-Chef hat Friedrich Merz den israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu schon 2024 in Israel getroffen. Jetzt kehrt er als Bundeskanzler zurück.

Was will Bundeskanzler Friedrich Merz ausgerechnet jetzt in Israel? Die durch Kriege an mehreren Fronten vorangetriebene Hegemonialpolitik der israelischen Regierung im Nahen Osten unterstützen? Oder sich dafür bedanken, dass Israel im Wilden Nahen Osten die »Drecksarbeit« leistet und als Ordnungsmacht die Werte einer phantasmagorischen »abendländischen Leitkultur« verteidigt? Offensichtlich, denn der Bundesregierung fallen keine Gründe ein, warum man die regelmäßigen Luftangriffe der israelischen Armee im Libanon und Syrien verurteilen oder ein Wort der Kritik für den wiederholten Bruch der Waffenruhe im Gazastreifen hervorkramen sollte – von der Unterstützung für den genozidalen Krieg gar nicht zu reden. Die Wiederaufnahme von Waffenlieferungen an Israel sind ein klares Signal.

Eine Regierung, die bei eindeutigen Verstößen gegen das Völkerrecht und elementare Menschenrechte zusieht und dann dem Rechtsbrecher sogar noch einen Besuch abstattet, hat außenpolitisch die letzte Glaubwürdigkeit verloren und die ethischen Leitlinien einer den Menschen verpflichteten Politik verlassen. Sie macht sich mitschuldig an der immer schneller und brutaler voranschreitenden Erosion internationalen Rechts. Seit dem 21. November 2024 gibt es einen Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) gegen den israelischen Regierungschef, in Berlin scheint man das schon vergessen zu haben.

Deutschland rühmt sich gerne als Rechtsstaat, auch im Ausland, aber dieses Recht gilt eben nicht überall und uneingeschränkt. Da steht die Staatsräson vor, die bundesdeutschen Entscheidungsträgern den Verstand vernebelt und sie wie Maschinen handeln lässt, die nicht sehen wollen, was jeder jeden Abend in den Hauptnachrichtensendungen sehen kann: ein brutaler Krieg, im Gazstreifen, im Libanon, in Syrien. Kinder werden durch Bomben getötet oder verhungern, weil die israelischen Behörden den Zugang von Hilfsgütern einschränken. Das ist noch immer so, wie ein Bericht von Amnesty International vom 27. November belegt: »Israel schränkt die Lieferung von Waren und die Wiederherstellung von Dienstleistungen, die für das Überleben der Palästinenser*innen unabdingbar sind, weiterhin enorm ein. Das umfasst nährstoffreiche Nahrung, medizinische Versorgung und Strom. Medizinische notwendige Evakuierungen werden streng einschränkt.«

Dazu passt die vehemente, eiskalte Verweigerungshaltung, mit der die Bundesregierung der Initiative einiger deutscher Städte, verletzte Kinder aus dem Gazastreifen für eine medizinische Behandlung in Deutschland aufzunehmen, die Unterstützung verweigerte.

Und im von Israel besetzten Westjordanland machen die entfesselten Siedler Tabula Rasa, mit dem Segen der israelischen Regierung, brennen Häuser, Autos und Betriebe nieder, vernichten Olivenbäume und Brunnen. Die wachsweichen Worte der Kritik dazu können sich Merz und sein Außenminister auch sparen, denn verbale Verurteilungen, und seien sie noch so »scharf«, wie es im diplomatischen Jargon häufig heißt, schrecken keine organisierte Siedlerbewegung ab und werden auch nicht die israelische Regierung davon abhalten, das Westjordanland früher oder später zu annektieren. Der Landraub vollzieht sich vor den Augen der Weltöffentlichkeit, Tag für Tag. Ohne wirksame Sanktionen wird sich nichts bewegen.

Man darf sich fragen, wie Merz' Berater und die Spezialisten im Auswärtigen Amts den deutschen Bundeskanzler auf einen so umstrittenen Staatsbesuch vorbereiten? Kommt von denen keinerlei Anstoß, dass ein Besuch Israels zum derzeitigen Zeitpunkt nicht opportun ist? Erst vor wenigen Tagen hat Netanjahu frech gefordert, dass die syrische Übergangsregierung südlich von Damaskus keine Soldaten stationieren dürfe, sonst gäbe es kein Sicherheitsabkommen. Zur Erinnerung ein paar Zahlen: Seit Inkrafttreten des Waffenstillstands zwischen Israel und der Hisbollah hat die israelische Armee laut Angaben der Vereinten Nationen fast täglich Angriffe im gesamten Libanon durchgeführt und dabei mehr als 300 Menschen getötet, darunter mindestens 127 Zivilisten. Im Gazastreifen wurden seit Beginn der Waffenruhe am 10. Oktober bis Ende November mindestens 340 Menschen, darunter 136 Kinder, durch israelische Angriffe getötet, über 900 verletzt, schreibt Amnesty International. Nach Angaben des Medienbüros in Gaza hat Israel bis zum 2. Dezember 2025 mindestens 591 Verstöße gegen das von den USA vermittelte Waffenstillstandsabkommen begangen.Im Gaza-Krieg selbst sind rund 70 000 Palästinenserinnen und Palästinenser getötet worden.

All das sollte Friedrich Merz wissen, aber man versteht schnell, dass die Bundesregierung die Toten und das Leiden fast als notwendig zu erachtenden »Kollateralschaden« im Kampf gegen die Hamas begreift, so wie auch die israelische Regierung ebendieses Narrativ zu verkauft versucht.

- Anzeige -

Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser*innen und Autor*innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Dank der Unterstützung unserer Community können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen

Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.