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U-Bahn: Gelegenheit macht Brände
Nach dem Feuer im U9-Bahnhof Schloßstraße leidet der Handel und es stellen sich Sicherheitsfragen
Nils Busch-Petersen ist aufgebracht. »Für unsere Mitglieder ist es schockierend, dass eine mit drei U-Bahnhöfen eigentlich mustergültige Anbindung eines Standorts so leicht außer Betrieb zu setzen ist – und dann auch so lange außer Betrieb bleibt«, sagt der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Berlin-Brandenburg zu »nd«.
Er spricht über die Steglitzer Schloßstraße, die zweitwichtigste Einkaufsstraße Berlins. Seit dem Nachmittag des 28. November ist sie vom U-Bahn-Netz abgeschnitten. Zu dem Zeitpunkt brach ein Feuer in einem Technikraum des U-Bahnhofs Schloßstraße aus. Zwar wurde niemand verletzt, die Folgen sind dennoch verheerend. Die U9 fährt seitdem nicht mehr zwischen Bundesplatz und dem regulären Endbahnhof Rathaus Steglitz. Einen konkreten Termin für die Wiederinbetriebnahme können die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) bisher nicht nennen.
»Das Weihnachtsgeschäft läuft dieses Jahr sowieso sehr schleppend. Für unsere Mitglieder in der Schloßstraße kommt nun noch eine unbillige Härte hinzu«, so Busch-Petersen weiter. »Einige Mitglieder vor Ort berichten von Umsatzrückgängen im zweistelligen Prozentbereich im Vergleich zum Vorjahres-Weihnachtsgeschäft, was sie eindeutig auf die fehlende U-Bahn-Anbindung zurückführen«, sagt der Handels-Lobbyist. »Wir fordern dringendst, dass alles unternommen wird, um den U-Bahn-Betrieb vor Weihnachten wieder aufzunehmen.«
Das ist allerdings eher unwahrscheinlich. »Vor Jahresende dürfte es kaum möglich sein, den Betrieb wieder aufzunehmen«, sagt ein Insider zu »nd«. »Unsere Fach- und Sicherheitsexperten sowie die hinzugezogenen Spezialfirmen sind seit dem Vorfall durchgehend vor Ort und arbeiten mit Hochdruck«, heißt es von der Pressestelle der BVG auf Anfrage von »nd«. Und weiter: »Die zerstörten Kabeltrassen machen umfangreiche Reparatur- und Reinigungsarbeiten erforderlich, die absehbar noch einige Wochen andauern werden.«
Stundenlang war die Feuerwehr am Nachmittag des 28. November damit beschäftigt, den Brand in den Betriebsräumen des Bahnhofs Schloßstraße zu löschen. Sämtliche Kabel, die in diesem Bereich entlangführten, sind zerstört. Damit ist die komplette Signaltechnik südlich des Bahnhofs Bundesplatz vom zuständigen Stellwerk im Bahnhof Rathaus Steglitz abgeschnitten.
»Die Ermittlungen zur Brandursache dauern derzeit noch an«, teilt die Berliner Polizei auf Anfrage von »nd« mit. Daher könne man sich dazu nicht weiter äußern. Ermittelt werde wegen »fahrlässiger Brandstiftung«, hieß es ein paar Tage zuvor.
Betriebsangehörige der BVG gehen jedoch fest davon aus, dass eine obdachlose Person den Brand verursacht hat, die sich in ihrem Unterschlupf im Betriebsraum wärmen wollte. »An etwaigen Spekulationen beteiligen wir uns nicht«, antwortet die BVG auf eine Frage dazu. Selbstverständlich unterstütze man die Ermittlungen zur Brandursache in vollem Umfang.
Wenn es zutrifft, dass eine obdachlose Person das Feuer verursacht habe, was unter Hand unisono erzählt wird, hätte sich ein Szenario wiederholt, das sich vor knapp fünf Jahren bereits einmal am U-Bahnhof Schloßstraße abgespielt hat. Am 2. Januar 2021 gab es in einem Raum unter einer Fahrtreppe des Bahnhofs einen Brand. Auch damals wurden Signalkabel zerstört. Der Betrieb war bis zum 24. Januar unterbrochen.
Immerhin lag der Betrieb U9 nach diesem Feuer nur zwischen Walther-Schreiber-Platz und Rathaus Steglitz still. Damals war das neue elektronische Stellwerk am südlichen Ende der U9 noch nicht in Betrieb, das heute für den Bereich bis zum Bundesplatz zuständig ist.
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Fast sieben Wochen war die U6 nach einem Brand am 28. Februar 2024 unterbrochen, zwischen den Bahnhöfen Reinickendorfer Straße und Kurt-Schumacher-Platz. Auch hier traf es Signal- und Datenkabel, auch hier soll eine obdachlose Person Verursacher gewesen sein.
»Bis heute sind viele Betriebsbereiche der U-Bahn-Tunnel von den Bahnsteigen aus nahezu frei zugänglich«, schimpft ein Insider. Unverschlossene Wartungszugänge seien die Regel. Viele Obdachlose wüssten dies und nutzten die Möglichkeit, um Unterschlupf zu finden.
»Das Sicherheitsniveau wurde in den letzten Jahren zusätzlich erhöht«, heißt es von der BVG. »Unser Bereich Sicherheit hat zum Beispiel die Videoüberwachung in den vergangenen Jahren deutlich ausgebaut und auch auf nicht öffentlich zugängliche Bereiche erweitert.« Es gebe zwar Videoüberwachung in den Bahnhöfen, »aber da muss eben auch jemand im richtigen Moment hinsehen«, so der Insider.
Sicher würde eine Wiedereinführung der nach der Wende in West- wie Ost-Berlin abgeschafften Bahnsteigaufsichten helfen. Bei 175 Bahnhöfen lägen die jährlichen Personalkosten dafür allerdings, überschlagsweise gerechnet, heute bei rund 50 Millionen Euro.
»Natürlich gäbe es technische Möglichkeiten, die Bereiche, in denen Betriebsfremde nichts zu suchen haben, besser zu sichern«, sagt der Insider. »Das ist auch intern deutlich gefordert worden. Allerdings ist davon mit Blick auf die Kosten bisher immer Abstand genommen worden.« Nach dem dritten Brand mit einschneidenden Folgen gebe es nun großen Druck auf den Bereich.
»Bis heute sind viele Betriebsbereiche der U-Bahn-Tunnel von den Bahnsteigen aus nahezu frei zugänglich.«
BVG-Insider
Diese Haltung erinnert fatal an den 2021 bekannt gewordenen bizarren Rechtsstreit, den die BVG mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) anzettelte. Vom Bundesverwaltungsgericht wollte der Landesbetrieb feststellen lassen, dass er gegenüber dem Bundesamt nicht rechenschaftspflichtig sei, da man keine sogenannte kritische Infrastruktur sei.
Laut Bundesregelungen zählten dazu gemäß damaligem Stand Verkehrsbetriebe mit jährlich mindestens 125 Millionen Fahrgästen. Obwohl die BVG bereits zu jenem Zeitpunkt über eine Milliarde Fahrgäste pro Jahr vermeldete, zog man sich auf die Argumentation zurück, dass es sich ja um nur 30 Millionen physische Personen handele und man deswegen unter der Grenze liege.
Die BVG wollte so vermeiden, kostenträchtige Melde- und Zertifizierungspflichten sowie Mindeststandards einhalten und IT-Sicherheitskonzepte vorlegen sowie pflegen zu müssen. Die damalige BVG-Chefin Eva Kreienkamp zog die Klage schließlich zurück und erklärte, man sei »falsch abgebogen«.
»Die BVG muss als Teil kritischer Infrastruktur betrachtet werden, und demzufolge muss Sorge dafür getragen werden, dass sicherheitsrelevante Betriebsbereiche ausreichend geschützt werden«, sagt Kristian Ronneburg zu »nd«. Der Verkehrsexperte der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus erwartet, »dass die BVG mehr in Sicherheit investiert und dass auch der Senat als Aufgabenträger dem nachkommt«.
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