Acteal-Morde bleiben ohne Aufarbeitung

Gedenkveranstaltung in Mexikos Süden

  • Luz Kerkeling, Chiapas
  • Lesedauer: 3 Min.
Noch immer sind die Hintermänner des zehn Jahre zurückliegenden Massakers von Acteal nicht zur Verantwortung gezogen worden. Daran wurde jetzt in Chiapas erinnert.

In der kleinen indigenen Gemeinde Acteal im Hochland von Chiapas versammelten sich am 22. Dezember über 1000 Menschen aus 21 Ländern, um des dutzendfachen Mordes zu gedenken, der in diesem Ort vor zehn Jahren von regierungsnahen Paramilitärs verübt wurde. Die Veranstaltung kurz vor Weihnachten war eine Mischung aus politischer Kundgebung und katholisch-indigener Messfeier. Faustina Gómez, Angehörige der christlichen Organisation »Las Abejas« (»Die Bienen«), zu der die 45 Mordopfer gehörten, hielt die zentrale Rede der Gruppierung, die stark von der Befreiungstheologie geprägt ist. Auf pazifistische Weise kämpfen die Abejas für dieselben Ziele wie die zapatistische Bewegung: indigene Autonomie, Abkehr von der neoliberalen Politik und eine tiefgreifende Demokratisierung Mexikos.

Gómez kritisierte, dass in der Vergangenheit lediglich Lokalpolitiker oder paramilitärische Söldner verhaftet wurden. »Die wahren Verantwortlichen des Massakers sind der ehemalige Präsident Ernesto Zedillo sowie General Mario Renán Castillo.« Sie verlangte eine Bestrafung aller Verantwortlichen auf allen Ebenen von Politik und Militär. Unterstützung erfuhren die Abejas vom ehemaligen und vom amtierenden Bischof der Diözese, Samuel Ruiz und Felipe Arizmendi, sowie vom »Nationalen Treffen gegen die Straflosigkeit», das einen Tag zuvor stattgefunden hatte.

Michael Chamberlin vom Menschenrechtszentrum Fray Barto-lomé de las Casas betonte im Interview mit ND, dass das vierstündige Massaker, bei dem 45 Menschen durch Schüsse und Machetenhiebe getötet wurden, während die Polizei aus 200 Metern Entfernung zuschaute und nicht eingriff, bis heute nicht juristisch aufgearbeitet sei: »Wenn der Fall Acteal nicht gelöst wird, gehen die Straflosigkeit und die Menschenrechtsverletzungen weiter.« Er unterstrich, dass der Fall im Kontext der Regierungsstrategie stand, den Aufstand der zapatistischen Befreiungsarmee EZLN gewaltsam niederzuschlagen.

EZLN-Sprecher Marcos erklärte am 16. Dezember, dass die Zapatistas lange Zeit nicht an Aktivitäten außerhalb ihres Gebiets teilnehmen könnten, da sie sich auf Angriffe der staatlichen Sicherheitskräfte und paramilitärischer Gruppen vorbereiteten. »Unsere compañeros werden zur Zeit wie schon lange nicht mehr angegriffen. Dies ist schon zuvor passiert, das ist richtig. Aber es ist das erste Mal seit Januar 1994, dass die zivilgesellschaftliche Reaktion – national wie international – so gering oder gleich null war.« Marcos kritisierte auch die Medien, die nur berichteten, wenn es Tote gebe. Der EZLN-Sprecher unterstrich, dass die Zapatistas sich weiterhin auf zivile Weise für eine neue antikapitalistische Verfassung einsetzen würden.

Die antizapatistischen Kräfte in Chiapas sind so gut aufgestellt wie seit zehn Jahren nicht mehr. In vier von fünf Einflusszonen der EZLN ist die regierungsnahe »Organisation zur Verteidigung der indigenen und bäuerlichen Rechte« OPDDIC aktiv, die auch über paramilitärische Einheiten verfügt. Besonders delikat ist die Tatsache, dass die OPDDIC Kontakte bis in höhere Polizeikreise und ins Ministerium für Landreform pflegt. Auch in der fünften EZLN-Einflusszone um La Realidad nehmen Angriffe gegen zapatistische Gemeinden zu. Darüber hinaus hat der Gouverneur von Chiapas, Juan Sabines, in der Person Constantino Kanters einen einflussreichen Großgrundbesitzer und erklärten Gegner der Zapatisten in sein Kabinett berufen, für den es laut EZLN ein Leichtes sei, Gelder an paramilitärische Gruppen umzuleiten. Ziel dieser Bestrebungen ist, den Zapatistas das 1994 besetzte Land zu entreißen, die Bewegung zu schwächen und das Eindringen von Konzernen in die ressourcenreiche Region zu ermöglichen.

Als Reaktion auf die Repressionen gab es am 22. Dezember Demonstrationen in sechs Bundesstaaten Mexikos sowie Aktionen in Frankreich, Spanien, Italien und Deutschland. Dabei wurde ein Ende der Gewalt in Chiapas gefordert und die Solidarität mit der EZLN manifestiert.

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