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Kreuzritter in Sektenlaune
Zum Glück fällt unter letztere Kategorie nur ein einziger Verein: Scientology. Wahlweise als Krake, Moloch, Seelenfänger oder Psychokonzern etikettiert, wurde die 1954 vom US-amerikanischen Science-Fiction-Autor L. Ron Hubbard gegründete Glaubenstruppe in den vergangenen 20 Jahren hierzulande zu einer Bedrohung für die Demokratie hochstilisiert.
Scientology, schrieb letzte Woche der »Freitag«, sei »in 163 Nationen mit insgesamt mehr als zehn Millionen Mitgliedern vertreten«. Eine beeindruckende Zahl - die allerdings von den Propagandisten der Sektenzentrale in Los Angeles kommt. Seriöse Schätzungen wie die der Columbia University New York gehen davon aus, dass die Hubbard-Bewegung sogar in den USA selbst lediglich rund 55 000 Mitglieder hat (laut Scientology: 3,5 Millionen). Und der Verfassungsschutz - in diesem Fall der Untertreibung eher unverdächtig - setzt die Mitgliedszahlen in Deutschland auf seit Jahren konstante 5000 bis 6000 an.
Um Missverständnissen gleich zu begegnen: Nein, harmlos ist die Scientology Church nicht. Sie zieht Willigen Unsummen aus der Tasche für dubiose Produkte und Leistungen und beutet die ihr Verfallenen gnadenlos aus. Typisch kapitalistisch eben. Sie strebt zudem massiv nach Einfluss in Politik, Wirtschaft und Kultur, um ihre sozialdarwinistische Elite-Ideologie gesellschaftlich zu etablieren - dabei stets auf der Suche nach Prominenten, die der sperrigen Heilslehre Hubbards ein medienwirksames Gesicht geben sollen.
Deren Bester ist zweifellos der Hollywood-Schauspieler Tom Cruise, der sich seit Jahren zu Scientology bekennt. Hierzulande interessierte das die Öffentlichkeit nie sonderlich, auch wenn die Junge Union bereits 1996 zum Boykott von »Mission: Impossible« aufrief - was dem Erfolg dieses Films und folgender Streifen des Mimen keinen Abbruch tat.
Seit Cruise allerdings in seiner Rolle als Hitler-Attentäter Stauffenberg für den US-Film »Walküre« in Deutschland drehte, entbehrt das hiesige Mediengebaren nicht des Grotesken. Was die Filmrolle mit »Courage« zu tun hat, für die der Darsteller den Bambi des Verlegerhauses Burda erhielt, erschließt sich ebenso wenig wie die Rede seines Laudators Frank Schirrmacher. Cruise, faselte der FAZ-Herausgeber, werde »das Bild, das die Welt sich von uns Deutschen macht, verändern«.
Der nicht weniger bizarre Gegenschlag erfolgte jetzt. »Tom Cruise der Kreuzritter« titelte der »Stern« und zeigte einen Glaubensfanatiker, der für seine Sekte den Standort Deutschland sozusagen im »Walküren«-Ritt erobern will. Die Story basiert auf dem Buch »Tom Cruise - Der Star und die Scientology-Verschwörung« des Briten Andrew Morton, dessen deutsche Übersetzung bei Droemer Knaur erschien. Am selben Tag wie der »Stern«. Und der ZDF-Haushistoriker Guido Knopp entdeckte an Cruise prompt Züge von NS-Propagandaminister Goebbels.
Die Kreuzritter-Metapher enthält indes einen gewiss unbeabsichtigten Querverweis. Denn in Kreuzzügen kennen sich wohl am besten die Großkirchen aus, die eifrig über ihre angemaßte Deutungshoheit in Religionsfragen wachen. Was sie nicht nur über »Sektenbeauftragte« und eine »Zentralstelle für Weltanschauungsfragen« tun, sondern auch mit einer cleveren Medienstrategie. Da ist es zumindest nicht uninteressant zu wissen, dass Mortons Enthüllungsbuch in einem deutschen Verlag erschien, der zur Hälfte der katholischen Kirche gehört.
»Die Gewässer der Religion«, meinte Friedrich Nietzsche, »fluten ab und lassen Sümpfe oder Weiher zurück.« Mit reichlich Sumpfblüten, so kann man hinzufügen. Scientology ist nur eine davon.
Der Autor ist Redakteur des ND und schreibt unter anderem zu den Themen Religion und Kirchen.
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